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Neben diesem Mittelsaale, im hinteren Theile des Mausoleums, dehnte sich der runde Chorbau aus, erhellt durch ein großes Fenster, dessen Scheiben erglühten, wenn die Sonne nahe ihrem Untergange sie mit ihren schrägen Strahlen traf. Auch dieser Chorraum war ganz in modernstem Geschmack möbliert. Gewöhnliche Stühle, Arm-und Schaukelstühle und Sophas füllten ihn in künstlerischer Unordnung. Auf einem Tische lagen Bücher und Broschüren, Journale und Revuen der Vereinigten Staaten und des Auslands bunt durcheinander. Hinter seinen Glasthüren bot ein mit allem Tafelgeschirr ausgestatteter Speiseschrank verschiedene, im Bedarfsfalle täglich erneuerte Leckerbissen, schmackhafte Conserven, saftige Sandwiches, trockene Kuchen, Flaschen mit seinen Weinen, kleinere Flaschen mit allerlei Liqueuren der besten Marken u. s. w. Wahrlich, ein mit Geschmack und Ueberlegung hergerichteter Raum, darin zu lesen, zu ruhen und zu frühstücken!

In der Mitte des Hauptsaales und gebadet im Lichte, das durch die Glasdecke einströmte, erhob sich eine weiße, durch reiche Bildhauerarbeit verzierte Marmorgrabstätte, an deren Ecken heraldische Thierfiguren Wache hielten. Das von einem Kreise lichtschimmernder Ampeln umgebene Grab stand offen; daneben lag die für die heutige Feierlichkeit abgehobene Deckplatte. Hier sollte der Sarg seinen Platz finden, worin der Körper William I. Hypperbone’s auf weißem Atlaspolster ruhte.

Ein Mausoleum dieser Art konnte natürlich keine Trauerstimmung aufkommen lassen; es erweckte eher freudige, heitere Vorstellungen. In seiner reinen Luft verspürte man nichts von dem Flügelschlage des Todes, der sonst die Leidtragenden neben einem offenen Grabe streift. Doch, ehrlich gesprochen, war das Monument nicht würdig des originellen Amerikaners, dem man das so wenig Trauer erweckende Programm seines Begräbnisses verdankte, und vor dessen sterblichen Ueberresten jetzt die Feier vor sich gehen sollte, bei der lustige Gesänge sich dem freudigen Hurrah der Menge beimischten?

Wir fügen hier ein, daß es William I. Hypperbone niemals unterlassen hatte, zweimal wöchentlich, Dienstags und Freitags, einige Stunden im Innern seines Mausoleums zuzubringen. Gelegentlich begleiteten ihn auch mehrere seiner Collegen nach diesem gewiß behaglichen und ganz stillen Raume. Auf den Divans des Choranbaues ausgestreckt oder vor dem Tische sitzend, lasen die ehrbaren Leutchen, unterhielten sich über die Tagespolitik, den Curs der Werthpapiere und Waaren, über die Zunahme des Jingoismus, der in den verschiedenen Gesellschaftsclassen sonst Chauvinismus genannt wurde, oder über die Vortheile und Nachtheile der Mac Kinley Bill, mit der sich ernsthafte Geister unausgesetzt beschäftigten. Und während sie in dieser Weise verhandelten, boten die Diener die Schüsseln mit dem Lunch herum. Nachher, wenn der Nachmittag so angenehm hingebracht war, rollten die Equipagen wieder die Grove Avenue hinauf und beförderten die Mitglieder des Excentric Club nach deren Wohnstätten.

Selbstverständlich konnte außer dem Eigenthümer niemand in dessen »Cottage der Oakswoods«, wie er sie nannte, eintreten. Nur der mit der Instandhaltung der genannten »Cottage« betraute Friedhofswärter hatte dazu einen zweiten Schlüssel.

Hatte sich William I. Hypperbone also auch bei Lebzeiten nicht durch auffallende Thaten von seinesgleichen unterschieden, so lange er seine Zeit zwischen dem Club in der Mohawk Street und dem Mausoleum in den Oakswoods theilte, so kamen jetzt doch noch einzelne Sonderlichkeiten zu Tage, die es erlaubten, ihn den excentrischen Geistern seiner Zeit zuzurechnen.

Um die Excentricität bis zur äußersten Spitze zu treiben, hätte nur noch gefehlt, daß der zu Begrabende nicht wirklich gestorben wäre. Darüber konnten seine Erben, wer diese auch sein mochten, aber ruhig sein. Hier lag kein Fall von Scheintod, sondern einer von wirklichem Tode vor.

Jener Zeit benützte man überdies schon die Ultra-X-Strahlen des Professors Friedrich von Elbing (Preußen), die unter dem Namen »Kritiskhalhen« bekannt sind. Diese Strahlen haben eine so mächtige Durchdringungskraft, daß sie durch den menschlichen Körper gehen, und es kommt ihnen die besondere Eigenschaft zu, je nachdem der durchleuchtete Körper todt oder lebend ist, verschiedene photographische Bilder zu erzeugen.

Diese Probe war auch mit William I. Hypperbone angestellt worden, und die erhaltenen Bilder konnten bei den Aerzten keinen Zweifel an dem endgiltigen Ableben des Untersuchten übrig lassen. Die »Verstorbenheit« – dieses Ausdrucks bedienten sie sich – war gewiß, und sie brauchten sich nicht vor dem spätern Vorwurfe einer überhasteten Bestattung zu fürchten.

Um dreiviertel sechs war es, als der Leichenwagen durch das Thor der Oakswoods einfuhr, und zwar in die mittlere Abtheilung des Friedhofs, wo sich an der Spitze des Weihers das prächtige Mausoleum erhob. Das in unveränderter Ordnung gebliebene Gefolge, dem sich jetzt eine drängende und von den Polizisten nur mühsam zurückgehaltene Menge angeschlossen hatte, bewegte sich im Schatten der großen Bäume nach dieser Wasserfläche hin.

Der Wagen selbst hielt vor dem Gitter, dessen Candelaber bei der schon anbrechenden Dunkelheit aus ihren Bogenlampen ein blendendes Licht verbreiteten.

Im Innern des Mausoleums konnten nur höchstens hundert Theilnehmer der letzten Feierlichkeit Platz finden. Enthielt das Bestattungsprogramm noch einige mehr allgemeine Vorschriften, so mußte diesen im Freien nachgekommen werden.

In der That sollte das der Fall sein. Als der Leichenwagen still stand, zog sich die Begleitung enger zusammen und ließ nur den sechs Guirlandenträgern, die dem Sarge bis zur Grabstätte folgen sollten, freien Raum.

Noch lärmte und tobte die übrige Menge, die ja hier etwas sehen, etwas hören wollte. Nach und nach legte sich indeß das Getöse, die Zuschauer bewegten sich nicht mehr und rings um das Gitter trat eine feierliche Stille ein.

Der Pfarrer Bingham, der dem Entschlafenen bis zu dessen Ruhestätte gefolgt war, hielt eine angemessene, kurze Rede, die Umstehenden lauschten seinen Worten mit Andacht, und in diesen Minuten, doch auch nur in diesen, nahm die Bestattung einen würdigen, religiösen Charakter an.

Als die weithin vernehmbare Stimme des geistlichen Herrn verklungen war, wurde der für derartige Feierlichkeiten so geeignete, berühmte Trauermarsch von Chopin vorgetragen. Das Orchester nahm ihn vielleicht aber in etwas schnellerem Tempo, als der große Tonsetzer es sich gedacht und vorgeschrieben hatte – ein Tempo, das hier freilich der Stimmung der Anwesenden und den letzten Willensäußerungen des Verstorbenen mehr als das richtige zu entsprechen schien. Hier herrschten nicht die Gefühle, die Paris bei der Bestattung eines der Begründer der Republik beseelten, als die bestrickende Tonfülle der Marseillaise in Moll übertragen erklang.

Nach jenem Stücke von Chopin, dem Glanzpunkte des Programms, trat einer der Collegen William I. Hypperbone’s, der, mit dem er in engster Freundschaft verbunden gewesen war, der Clubvorsitzende Georges B. Higginbotham aus dem Kreise der nächsten Umstehenden hervor, nahm neben dem Leichenwagen Platz und entrollte in glänzender Rede ein getreues, lobspendendes Bild vom Lebenslaufe seines Freundes. »Schon mit fünfundzwanzig Jahren im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, hatte William I. Hypperbone das immer nutzbringend zu verwenden verstanden. Seine verständigen Ankäufe von Bauland, das jetzt so hoch im Preise steht, daß man es dicht mit Goldstücken bedecken müßte… seine Erhebung in den Rang der Millionäre der Stadt, was so viel heißt, wie in den der großen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika… der stets gut unterrichtete Actionär der mächtigsten Eisenbahngesellschaften des Bundesstaates… der kluge Speculant, der sich nur in sicheren Gewinn bringende Geschäfte einließ… der freigebige Mann, stets bereit, sich an den Anleihen des Vaterlandes sofort zu betheiligen, wenn dieses einen Bedarf an solchen hätte, was ja freilich nicht eingetreten ist… der hervorragende College, den der Excentric Club an ihm verloren hat, das Mitglied, auf das man zählte, den Verein zu verherrlichen… der Mann, der, wäre es ihm vergönnt gewesen, sein Dasein über die Fünfzig zu verlängern, die Welt gewiß noch erstaunen gemacht hätte…« und in solchen Wendungen bewegte sich die Rede weiter. – »Er gehört übrigens zu der Classe von Genies, fuhr der Lobredner fort, die sich erst offenbaren, wenn sie nicht mehr sind. Ohne weiter sein Begräbniß hervorzuheben, das unter den bekannten Umständen und dem Zulaufe der ganzen Stadtbevölkerung bis hierher vor sich gegangen ist, war zu erwarten, daß der letzte Wille William I. Hypperbone’s seinen Erben ganz besondere Bedingungen auferlegen werde. Ohne Zweifel enthält das Testament auch Klauseln, die die Bewunderung der beiden Amerika – und diese wiegen ja allein die andern vier Erdtheile auf – herausfordern dürften.«