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Cody wie Geena waren unreif, führten mit dem Geld eines Dritten ein sorgloses Leben und träumten davon, eines Tages den ganz großen Erfolg zu landen.
Am Ende ihrer Befragung erklärte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, dass ihre Anfechtungsklage gegen das Testament nicht das geringste mit Geld zu tun habe. Nate ließ sie gewähren. Sie fügte hinzu, dass sie ihren Vater sehr geliebt habe, wie er übrigens auch sie, und dass er seine Kinder im Testament bedacht hätte, wenn er bei klarem Verstand gewesen wäre. Dass er einer Unbekannten alles hinterlassen habe, sei ein klarer Hinweis auf seine Geisteskrankheit. Ihr einziges Bestreben sei es, für den guten Ruf ihres Vaters zu kämpfen.
Es war eine gut einstudierte Ansprache, die niemanden überzeugte. Nate ließ es dabei bewenden. Es war fünf Uhr am Freitag Nachmittag, und er hatte keine Lust mehr zu kämpfen.
Als er die Stadt verließ und sich durch den dichten Verkehr auf dem Interstate 95 in Richtung Baltimore vorarbeitete, dachte er an die Kinder Troy Phelans. Er hatte so tief in ihr Leben geblickt, dass es ihm peinlich war. Er empfand Mitleid mit ihnen, es tat ihm leid, dass sie ohne Werte aufgewachsen waren, dass sich ihr sinnloses Leben um nichts als Geld drehte.
Doch er war überzeugt, dass Troy sehr wohl gewusst hatte, was er tat, als er sein handschriftliches Testament aufsetzte. Größere Geldbeträge in den Händen seiner Kinder würden das reinste Chaos und unvorstellbares Leid hervorrufen. Er hatte sein Vermögen Rachel vermacht, die nichts davon wissen wollte, und die anderen ausgeschlossen, denen der Sinn nach nichts anderem stand.
Nate war entschlossen, für die Gültigkeit von Troys letztem Testament zu kämpfen, doch war ihm durchaus klar, dass niemand, der auf der nördlichen Halbkugel lebte, darüber entscheiden würde, was am Ende mit dem Geld geschah.
Er erreichte St. Michaels ziemlich spät. Als er an der Dreifaltigkeitskirche vorüberkam, hatte er das Bedürfnis anzuhalten, hineinzugehen, niederzuknien und Gott im Gebet um Vergebung für die Sünden zu bitten, die er im Laufe der Woche auf sich geladen hatte. Nach fünf Tagen der Befragung war ein solches Sündenbekenntnis ebenso dringend erforderlich wie ein heißes Bad.
SECHSUNDVIERZIG
Als geplagter Großstadtanwalt hatte Nate nie gelernt, ruhig irgendwo zu sitzen, während Phil in dieser Fertigkeit viel Übung besaß. Zwei ältere Männer seiner Gemeinde erwarteten von Phil, dass er einmal in der Woche vorbeikam und sich eine Stunde zu ihnen setzte, während sie am Kamin dösten. Ein Gespräch war angenehm, aber nicht erforderlich. Es genügte, einfach dazusitzen und die Stille zu genießen. Wenn ein Gemeindemitglied erkrankte, wurde vom Pfarrer erwartet, dass er die Familie besuchte und längere Zeit im Hause verbrachte, bei Todesfällen tröstete er die Hinterbliebenen, und wann immer jemand aus der Nachbarschaft ins Pfarrhaus kam, setzten sich Laura und er mit dem Besucher hin und plauderten, ganz gleich, welche Tageszeit es sein mochte. Bisweilen saßen sie auch ganz allein auf der Veranda in der Schaukel.
Doch Nate holte rasch auf. Er setzte sich in einem dicken Pullover mit Phil auf die Stufen vor dem Häuschen der Staffords und trank mit ihm Kakao, den er in der Mikrowelle heiß gemacht hatte. Dabei ließen sie den Blick auf der Bucht ruhen, die sich unter ihnen erstreckte, auf dem kleinen Hafen und dem schaumgekrönten Meer dahinter. Gelegentlich sagten sie etwas, aber meist wurde geschwiegen. Phil wusste, dass sein Gefährte eine anstrengende Woche hinter sich hatte. Inzwischen hatte Nate ihn in die meisten Einzelheiten der Erbschaftssache Phelan eingeweiht. Sie vertrauten einander.
»Ich möchte eine kleine Reise unternehmen«, kündigte Nate ruhig an. »Wollen Sie mitkommen?«
»Wohin?«
»Ich muss meine Kinder sehen. Wahrscheinlich fahre ich zuerst nach Salem in Oregon. Da wohnen meine beiden jüngsten, Austin und Angela. Mein älterer Sohn studiert an der Northwestern University in Evanston, und seine jüngere Schwester Kaitlin in Pittsburgh. Es wird eine hübsche kleine Rundreise.«
»Wie lange soll sie dauern?«
»Ich habe keine Eile. Zwei Wochen. Ich fahre mit dem Auto.«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Die beiden aus der ersten Ehe schon über ein Jahr nicht. Mit den Kleinen habe ich im Juli ein Spiel der Orioles besucht. Dabei habe ich mich betrunken. Ich wusste nicht mal mehr, dass ich anschließend nach Arlington zurückgefahren war.«
»Fehlen sie Ihnen?«
»Na klar. Eigentlich hab ich nie viel Zeit mit ihnen verbracht. Ich weiß kaum etwas über sie.«
»Sie haben viel gearbeitet.«
»Das stimmt, und noch mehr getrunken. Ich war nie zu Hause. Wenn ich mir ab und zu etwas freie Zeit gegönnt hab, bin ich mit den Kollegen nach Las Vegas gefahren, habe Golf gespielt oder war zum Hochseeangeln auf den Bahamas. Die Kinder habe ich nie mitgenommen.«
»Daran können Sie nichts ändern.«
»Nein. Warum kommen Sie nicht mit? Wir können uns stundenlang unterhalten.«
»Vielen Dank, aber das geht nicht. Ich habe da unten im Keller endlich etwas in Gang gebracht und möchte nicht aus dem Tritt kommen.«
Nate hatte einige Stunden zuvor einen Blick in den Keller geworfen. Der Pfarrer schien dort unten tatsächlich mit der Arbeit vorangekommen zu sein.
Phils und Lauras einziges Kind war ein Sohn von gut zwanzig Jahren, der das College ohne Abschluß verlassen hatte und sich irgendwo an der Westküste herumtrieb. Laura hatte einmal beiläufig gesagt, sie hätten keine Ahnung, wo. Er hatte sich seit über einem Jahr nicht zu Hause gemeldet.
» Rechnen Sie damit, dass Ihre Reise ein Erfolg wird?« fragte Phil.
»Ich habe keine Ahnung, womit ich rechnen soll. Ich möchte meine Kinder in den Arm nehmen und um Entschuldigung dafür bitten, dass ich ein so schlechter Vater war, aber ich weiß nicht recht, ob ihnen das jetzt hilft.« »Ich würde das lassen. Dass Sie ein schlechter Vater waren, wissen sie selbst. Zerknirschung nützt da überhaupt nichts. Aber es ist wichtig, dass Sie da sind und den ersten Schritt zu einer neuen Beziehung unternehmen.«
»Ich habe meinen Kindern gegenüber so schrecklich versagt.«
»Sie können sich nicht gut selbst dafür schlagen, Nate. Sie dürfen die Vergangenheit vergessen. Gott hat es bestimmt vergessen. Paulus hat Christen getötet, bevor er selbst einer wurde, und er hat sich für seine früheren Taten nicht gegeißelt. Alles ist vergeben. Zeigen Sie Ihren Kindern, was Sie jetzt sind.«
Ein kleines Fischerboot verließ den Hafen und fuhr in die Bucht hinaus. Es war der einzige bewegliche Punkt auf dem Bild, das sie sahen, und sie beobachteten es mit gespannter Aufmerksamkeit. Nate musste an Jevy und Welly denken, die vermutlich gerade mit einer cbalana voller landwirtschaftlicher Erzeugnisse und anderer Waren den Paraguay befuhren und vom stetigen Takt des Diesels immer tiefer ins Pantanal getrieben wurden. Jevy würde am Steuerruder stehen und Welly auf der Gitarre klimpern. Bestimmt herrschte in ihrer Welt Frieden.
Später, lange nachdem Phil ins Pfarrhaus zurückgekehrt war, setzte sich Nate ans Kaminfeuer und begann einen weiteren Brief an Rachel. Es war der dritte. Nachdem er geschrieben hatte, »Samstag, 22. Februar«, fuhr er fort: »Liebe Rachel, ich habe soeben eine sehr unerfreuliche Woche mit Ihren Halbgeschwistern zugebracht.«
Er schilderte ihr die Brüder und Schwestern, begann mit Troy Junior und endete drei Seiten später mit Ramble.
Er machte kein Hehl aus ihren Schwächen und dem Schaden, den sie sich selbst und anderen antun würden, wenn sie das Geld bekämen. Doch er zeigte zugleich, dass er Mitleid für sie empfand.
Er legte einen für die Missionsgesellschaft bestimmten Scheck über fünftausend Dollar bei, der die Kosten für ein Boot, einen Motor, Medikamente und Verbandsmittel decken sollte, und teilte ihr mit, es stehe noch weit mehr Geld zur Verfügung, wenn sie welches brauche. Ihr Vermögen werfe täglich etwa zwei Millionen Dollar an Zinsen ab, Geld, mit dem sich viel Gutes tun lasse.