Als Hark Gettys und seine Mitverschwörer auf die Dienste von Dr. Flowe, Dr. Zadel und Dr. Theishen verzichteten, begingen sie einen schweren Fehler. Die Anwälte hatten den Psychiatern Vorwürfe gemacht, sie beleidigt und nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet.
Die neu verpflichteten Psychiater konnten ihr Urteil auf Sneads jüngste Aussagen stützen. Flowe, Zadel und Theishen hatten diesen Vorteil nicht gehabt. Als Nate sie am Montag befragte, befolgte er bei allen dreien die gleiche Taktik. Er begann mit Zadel und zeigte ihm das Videoband, das bei Troy Phelans Begutachtung aufgenommen worden war. Er fragte ihn, ob er irgendeinen Grund sehe, seine Meinung zu ändern. Wie nicht anders zu erwarten, verneinte Zadel die Frage. Wenige Stunden nach der Videoaufnahme und dem Selbstmord hatten die Psychiater auf Betreiben Harks und der anderen Phelan-Anwälte ihr achtseitiges Gutachten abgefaßt und mit einer eidesstattlichen Versicherung unterzeichnet. Nate forderte Zadel nunmehr auf, es der Protokollbeamtin des Gerichts vorzulesen.
»Haben Sie irgendeinen Grund, von einer der in diesem Gutachten enthaltenen Ansichten abzurücken?« fragte Nate.
»Nein«, sagte Zadel mit einem Blick auf Hark.
»Heute ist der vierundzwanzigste Februar: Ihre Begutachtung Mr. Phelans liegt also über zwei Monate zurück. Sind Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ansicht, dass sein damaliger Geisteszustand die Abfassung eines gültigen Testaments zuließ?«
»Allerdings«, sagte Zadel und lächelte Hark an.
Flowe und Theishen lächelten ebenfalls; es schien beide aufrichtig zu freuen, den Anwälten, die sie zuerst beauftragt und ihnen dann den Auftrag wieder entzogen hatten, Schwierigkeiten machen zu können. Nate zeigte einem nach dem anderen das Videoband, stellte jedem dieselben Fragen und bekam dieselben Antworten. Jeder verlas das gemeinsam abgefasste Gutachten für das Protokoll. Am Montag Nachmittag um vier wurde die Befragung vertagt.
Pünktlich um halb neun am nächsten Morgen wurde Snead in den Raum geführt und auf den Ehrenplatz gesetzt. Zu seinem braunen Anzug trug er eine Fliege, die ihm eine unverdiente intellektuelle Note verlieh. Die Anwälte hatten große Sorgfalt auf die Auswahl seiner Kleidung verwendet. Sie hatten den Armen wochenlang programmiert und auf seine Rolle festgelegt, bis er selbst daran zweifelte, ob er auch nur ein einziges spontanes oder ehrliches Wort herausbringen würde. Jede Silbe musste sitzen. Er musste Zuversicht außtrahlen, durfte aber zugleich nicht im entferntesten den Verdacht erwecken, überheblich zu sein. Er und er allein bestimmte, was als zutreffend zu gelten hatte, und daher war von grundlegender Bedeutung, dass alles, was er sagte, glaubwürdig
war.
Josh kannte Snead seit vielen Jahren. Oft hatte Mr. Phelan davon gesprochen, dass er sein Faktotum loswerden wollte. Lediglich in einem einzigen der elf Testamente, die Josh für Troy Phelan ausgearbeitet hatte, war der Name Malcolm Snead aufgetaucht. Darin war ihm eine Million Dollar zugedacht gewesen, doch hatte ein Monate später abgefasstes neues Testament diese Zuwendung rückgängig gemacht. Mr. Phelan hatte seinen Namen gestrichen, weil Snead sich erkundigt hatte, mit wie viel Geld er nach seinem Ableben rechnen dürfe.
Snead war für den Geschmack seines Arbeitgebers zu sehr hinter dem Geld her gewesen. Dass sein Name auf der Zeugenliste derjenigen stand, die das Testament anfochten, konnte nur einen Grund haben - Geld. Er wurde für seine Außage bezahlt, und das wusste Josh. Zwei Wochen der Beschattung durch einen Privatdetektiv hatten ergeben, dass sich Snead einen neuen Range Rover zugelegt, eine Flugreise nach Rom in der ersten Klasse gegönnt und eine Wohnung in einem Gebäude gemietet hatte, in dem die Mieten bei achtzehnhundert Dollar pro Monat begannen.
Snead saß vor der Videokamera und fühlte sich einigermaßen sicher. Er hatte den Eindruck, ein volles Jahr lang nichts anderes getan zu haben, als in eine Videokamera zu blicken. Den ganzen Samstag und den halben Sonntag war er in Harks Kanzlei noch einmal auf Herz und Nieren geprüft worden. Er hatte sich die Videoaufnahmen seiner Aussagen stundenlang angesehen und Dutzende von Seiten erdachter Ereignisse aus den letzten Tagen von Troy Phelans Leben zu Papier gebracht. Außerdem hatte er mit der hirnlosen Puppe Nicolette geprobt.
Snead war bereit. Die Anwälte hatten vorausgesehen, dass man ihn fragen würde, ob Geld im Spiel sei, und ihn angewiesen, zu lügen, wenn man ihn fragte, ob er für seine Aussagen bezahlt werde. So einfach war das. Es gab keine andere Möglichkeit. Snead musste bestreiten, die halbe Million bekommen zu haben, die er bereits hatte, wie auch, dass er im Falle eines günstigen Ausgangs weitere viereinhalb Millionen Dollar bekommen würde. Er musste die Existenz des zwischen ihm und den Anwälten geschlossenen Vertrags bestreiten. Da er über Mr. Phelan log, konnte er sicher auch über das Geld lügen.
Nate stellte sich vor und fragte dann mit lauter Stimme: »Mr. Snead, wie viel Geld bekommen Sie für Ihre Au-
ßage?«
Sneads Anwälte hatten mit der Frage gerechnet: »Bekommen Sie Geld für Ihre Außage?« Die mit Snead einstudierte Antwort darauf lautete: »Nein, natürlich nicht!« Aber auf die Frage, die jetzt noch im Räume hing, fiel ihm keine rasche Antwort ein. Er zögerte und schien lautlos zu keuchen, während er verzweifelt zu Hark hinübersah, der wie versteinert und mit starrem Blick dasaß.
Man hatte Snead darauf hingewiesen, dass sich Mr. O'Riley gründlich vorbereiten und den Anschein erwecken würde, schon alles zu wissen, bevor er seine Fragen stellte. In den langen, qualvollen Sekunden, die auf diese erste Frage folgten, sah er Snead mit gerunzelten Brauen und zur Seite geneigtem Kopf an, wobei er einige Blätter hob.
»Na hören Sie, Mr. Snead, ich weiß doch, dass Sie Geld bekommen. Wie viel ist es?«
Snead knackte mit den Fingerknöcheln, als wolle er sie durchbrechen. Schweißperlen standen in den Falten seiner Stirn. »Hm, äh, ich bekomme kein -«
»Ach was, Mr. Snead. Haben Sie im vergangenen Monat einen neuen Range Rover gekauft oder nicht?«
»Nun ja, ehrlich gesagt -«
»Eine Dreizimmerwohnung in Palm Court gemietet?«
»Ja.«
»Und Sie sind doch auch erst kürzlich von einer zehntägigen Flugreise nach Rom zurückgekehrt. Das stimmt doch?«
»Ja.«
Er wusste alles! Die Phelan-Anwälte sanken auf ihren Sitzen in sich zusammen, duckten sich, als könnten sie so den Querschlägern von Nates Fragen ausweichen.
»Wie viel zahlt man Ihnen?« fragte Nate wütend. »Vergessen Sie nicht, dass Sie unter Eid stehen.« »Fünfhunderttausend Dollar«, platzte Snead heraus. Nate sah ihn ungläubig an. Selbst die Protokollbeamtin erstarrte.
Zwei der Phelan-Anwälten gelang es, leicht auszuatmen. So entsetzlich der Augenblick war, es hätte viel schlimmer kommen können. Was, wenn Snead noch mehr in Panik geraten wäre und die vollen fünf Millionen zugegeben hätte?
Aber das war nur ein schwacher Trost. Im Augenblick sah es ganz so aus, als sei ihre Sache damit, dass sie dem Zeugen eine halbe Million Dollar gezahlt hatten, zum Scheitern verurteilt.
Nate suchte in seinen Papieren herum, als brauche er ein bestimmtes Blatt. Die Worte klangen noch in den Ohren aller im Raum Anwesenden nach.
»Vermutlich haben Sie das Geld bereits bekommen?« fragte er.
Unsicher, ob er lügen oder bei der Wahrheit bleiben sollte, sagte Snead: »Ja.«
Einer Eingebung folgend, fragte Nate ihn: »Eine halbe Million gleich. Und wie viel soll es später geben?«
Darauf bedacht, die einstudierten Lügen abzuspulen, sagte Snead: »Nichts.« Das wirkte beiläufig und glaubwürdig. Auch die beiden anderen Phelan-Anwälte atmeten auf.
»Sind Sie sich da auch ganz sicher?« fragte Nate aufs Geratewohl. Wenn ihm danach gewesen wäre, hätte er Snead auch fragen können, ob man ihn je wegen Grabräuberei verurteilt hätte.