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Nate bombardierte ihn mitleidlos mit Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Als Snead am Spätnachmittag erschöpft und benommen war, sagte Nate unmittelbar nach der tausendsten Frage über das Finanzwesen der Phelan-Gruppe ohne Vorankündigung: »Haben Sie eigentlich mit den Anwälten einen Vertrag unterzeichnet, als

Sie die halbe Million genommen haben?«

Ein schlichtes »Nein« hätte als Antwort genügt, aber Snead war überrascht worden. Er zögerte, sah zu Hark und dann zu Nate hin, der erneut in Papieren blätterte, als hätte er eine Kopie des Vertrags vor sich. Zwei Stunden lang hatte Snead nicht einmal gelogen, und so antwortete er nicht rasch genug.

»Äh, natürlich nicht«, stotterte er, überzeugte aber niemanden.

Nate erkannte zwar, dass er die Unwahrheit sagte, ließ die Sache aber auf sich beruhen. Es gab andere Möglichkeiten, ein Exemplar des Vertrags in die Hände zu bekommen.

Anschließend trafen sich die Phelan-Anwälte in einer dunklen Bar, um ihre Wunden zu lecken. Nach zwei Runden starker Drinks schien ihnen Sneads katastrophales Abschneiden noch schrecklicher als zuvor. Zwar konnte man ihn für die Fortsetzung der Befragung noch ein wenig trainieren, aber die bloße Tatsache, dass man ihm so viel gezahlt hatte, würde entwerten, was auch immer er sagte.

Woher hatte O'Riley das nur gewusst? Er war so sicher gewesen, dass Snead bezahlt worden war.

»Das muss Grit gewesen sein«, sagte Hark. Grit, wiederholte jeder für sich. Bestimmt war Grit zur Gegenseite übergelaufen.

»Das kommt davon, wenn man jemandem die Mandanten abspenstig macht«, sagte Wally Bright nach langem Schweigen.

»Halten Sie den Mund«, sagte Ms. Langhorne.

Hark war zu müde zum Kämpfen. Er leerte sein Glas und bestellte ein weiteres. Über all den Aussagen hatten die anderen Phelan-Anwälte gar nicht mehr an Rachel gedacht. In den Unterlagen des Gerichts gab es nach wie vor keine amtliche Bestätigung ihrer Existenz.

SIEBENUNDVIERZIG

Die Befragung der Sekretärin Nicolette dauerte acht Minuten. Sie gab Namen, Anschrift und eine kurze Darstellung ihrer bisherigen Arbeitsplätze zu Protokoll, und die Phelan-Anwälte auf der anderen Seite des Tisches machten es sich auf ihren Stühlen bequem, um sich keine Einzelheit ihrer sexuellen Eskapaden mit Mr. Phelan entgehen zu lassen. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und verfügte, abgesehen von einem schlanken Körper, einer beachtlichen Oberweite und einem hübschen Gesicht mit strohblondem Haar, kaum über Qualifikationen.

Sie konnten es gar nicht abwarten, mit anzuhören, wie sie ein paar Stunden über Sex redete.

Ohne Umwege steuerte Nate auf die Frage zu. »Hatten Sie je geschlechtliche Beziehungen mit Mr. Phelan?«

Sie gab sich Mühe, den Eindruck zu erwecken, als sei ihr die Frage peinlich, sagte aber ja.

»Wie oft?«

»Ich habe nicht gezählt.«

»Wie lange?«

»Gewöhnlich zehn Minuten.«

»Nein, ich meine, über welchen Zeitraum hat sich die Beziehung erstreckt? In welchem Monat hat sie angefangen, und wann war sie zu Ende?«

»Ich habe nur fünf Monate dort gearbeitet.«

»Rund gerechnet zwanzig Wochen. Wie oft pro Woche hatten Sie durchschnittlich Sex mit Mr. Phelan?«

»Ich glaube, zweimal.«

»Also insgesamt vierzigmal.«

»Möglich. Das klingt nach ziemlich viel, was?«

»Finde ich nicht. Hat sich Mr. Phelan dabei ausgezogen?«

»Klar. Wir haben uns beide ausgezogen.«

»Das heißt, er war vollständig nackt?«

»Ja.«

»Hatte er irgendwelche Muttermale?«

Zeugen, die sich aufs Lügen verlegen, übersehen oft das Nächstliegende. Das gilt auch für ihre Anwälte. Sie beschäftigen sich so gründlich mit allem, was sie sich aus den Fingern saugen, dass sie dabei die eine oder andere Tatsache übersehen. Hark und seine Kollegen hätten von Phelans früheren Ehefrauen - Eillian, Janie und Tira - ohne die geringste Mühe erfahren können, dass Troy unmittelbar unter der Taille auf dem rechten Oberschenkel ein rundes Muttermal von der Größe eines Silberdollars gehabt hatte.

»Soweit ich mich erinnere, nicht«, antwortete Nicolette.

Die Antwort überraschte Nate erst, doch als er darüber nachdachte, kam sie ihmweniger überraschend vor. Er hätte ohne weiteres geglaubt, dass Troy seine Sekretärin umlegte - das hatte er jahrzehntelang getan. Ebenso konnte er sich vorstellen, dass Nicolette log.

»Keine sichtbaren Muttermale?« fragte Nate erneut.

»Nein.«

Die Phelan-Anwälte beschlich Angst. War es möglich, dass da der nächste ihrer Hauptzeugen vor ihren Augen demontiert wurde?«

»Keine weiteren Fragen«, sagte Nate und verließ den Raum, um sich eine weitere Tasse Kaffee einzugießen. Nicolette sah zu den Anwälten hinüber. Sie hatten die Blicke auf den Tisch gesenkt und überlegten angestrengt, was für ein Muttermal Troy wohl gehabt haben mochte.

Nachdem sie gegangen war, schob Nate seinen verwirrten Gegnern wortlos ein Foto über den Tisch, das bei der Obduktion gemacht worden war. Es war nicht nötig, etwas dazu zu sagen. Der alte Troy lag auf dem Seziertisch, ein Haufen verwelktes und übel zugerichtetes Fleisch, von welchem dem Betrachter das Muttermal entgegenstarrte.

Sie brachten den Rest des Mittwochs und den ganzen Donnerstag mit den vier neuen Psychiatern zu, die mit dem Auftrag verpflichtet worden waren zu sagen, dass die drei ersten keine Ahnung hatten. Ihre Außage war vorhersehbar und wiederholte immer dasselbe: Kein geistig gesunder Mensch springt über eine Terrassenbrüstung.

Sie waren auf ihrem Gebiet keine solchen Koryphäen wie Flowe, Zadel und Theishen. Zwei waren pensioniert und verdienten sich hier und da als Gutachter etwas hinzu. Einer lehrte an einem nicht besonders angesehenen College, und der letzte schlug sich mit einer kleinen Beratungspraxis in einem Vorort Washingtons recht und schlecht durchs Leben.

Aber man hatte sie auch nicht dafür bezahlt, dass sie Eindruck machten; sie sollten lediglich mit ihrer Außage die Sache noch verworrener erscheinen lassen. Es war allgemein bekannt, dass Troy Phelan wunderlich und sprunghaft gewesen war. Vier Gutachter erklärten, dass er nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war und daher kein gültiges Testament hatte abfassen können, drei hingegen sagten das Gegenteil. Wenn man die Sache nur lange genug als kompliziert und verwickelt darstellte, durfte man darauf hoffen, dass diejenigen, die das Testament als gültig ansahen, der Auseinandersetzung eines Tages müde wurden und sich zu einem Vergleich bereit fanden. Falls aber nicht, würde es Aufgabe einer Gruppe fachunkundiger Geschworener sein, sich durch den Wust von Fachbegriffen durchzuarbeiten und zu entscheiden, welche der widersprüchlichen Äußerungen richtig sein mochte.

Die neuen Gutachter bekamen ein großzügiges Honorar dafür, dass sie bei ihrer Meinung blieben, und Nate gab sich keine Mühe, sie davon abzubringen. Er hatte genug Ärzte verhört, um zu wissen, dass es sinnlos gewesen wäre, auf fachlicher Ebene mit ihnen in ein Streitgespräch einzutreten. Statt dessen konzentrierte er sich auf ihre Zeugnisse, Referenzen und Berufserfahrung. Er verlangte, dass sie sich das Videoband ansahen und die drei früheren Psychiater kritisierten.

Als man sich am Donnerstag Nachmittag trennte, waren fünfzehn Befragungen durchgeführt. Eine weitere Runde war für Ende März vorgesehen, und das gerichtliche Verfahren, das die Entscheidung bringen würde, hatte Wycliff für Mitte Juli angesetzt. Dieselben Zeugen würden noch einmal Aussagen müssen, dann aber im Gerichtssaal, wo das Publikum und die Geschworenen jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen würden.

Nate floh aus der Stadt. Er fuhr in westlicher Richtung durch Virginia, dann nach Süden durch das Shenandoah-Tal. Er war wie benommen von den neun Tagen, an denen er rücksichtslos im Privatleben anderer herumgestochert hatte. Zu irgendeinem Zeitpunkt in seinem Leben, an den er sich nicht mehr erinnern konnte, hatte er unter dem Druck seiner Arbeit und seiner Sucht jedes Schamgefühl und jeden Anstand verloren. Er hatte gelernt, ohne den geringsten Anflug von Schuldbewusstsein zu lügen, zu täuschen, zu betrügen, Versteck zu spielen sowie unschuldige Zeugen in die Enge zu treiben und ihnen erbarmungslos zuzusetzen.