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Doch in der Stille seines Autos und der Dunkelheit der Nacht schämte er sich jetzt. Er empfand Mitgefühl für Troy Phelans Kinder, und sogar Snead tat ihm leid, ein trauriger, unbedeutender Mensch, der zu überleben versuchte. Nate wünschte, er hätte die neuen Gutachter nicht so heftig angegriffen.

Er freute sich, dass sein Schamgefühl zurückgekehrt war. Er war stolz, dass er wieder so empfinden konnte. Immerhin war er ein Mensch.

Um Mitternacht machte er an einem billigen Motel nahe Knoxville halt. Im Mittleren Westen, in Kansas und lowa, gab es heftige Schneefälle. Während er im Bett lag, plante er mit dem Straßenatlas seine Route durch den Südwesten.

Die zweite Nacht verbrachte er in Shawnee im Staat Oklahoma; die dritte in Kingman, Arizona, und die vierte in Redding, Kalifornien.

Austin und Angela, seine Kinder aus zweiter Ehe, waren zwölf und elf Jahre alt und gingen in die siebte und sechste Klasse. Zuletzt hatte er sie im Juli des vergangenen Jahres gesehen, drei Wochen vor seinem letzten Rückfall, als er mit ihnen zu einem Spiel der Orioles gefahren war. Was als schöner Ausflug begonnen hatte, hatte ein hässliches Ende genommen. Im Verlauf des Spiels hatte Nate sechs Bier getrunken - die Kinder hatten mitgezählt, da ihre Mutter sie dazu angehalten hatte - und war in diesem Zustand zwei Stunden von Baltimore nach Arlington gefahren.

Damals stand der Umzug der Kinder mit ihrer Mutter Christi und deren zweitem Mann Theo nach Oregon bevor. Der Besuch des Baseball-Spiels wäre für eine geraume Zeit die letzte Begegnung mit seinen Kindern gewesen, doch statt das Zusammensein mit ihnen zu genießen, hatte er sich betrunken. Er hatte sich vor den Augen der Kinder, die solche Szenen nur allzu gut kannten, mit seiner früheren Frau auf der Auffahrt ihres Hauses gestritten, und Theo hatte ihm mit einem Besenstiel gedroht. Später war Nate, einen leeren Sechserpack auf dem Beifahrersitz neben sich, in seinem Auto aufgewacht, das auf einem Behindertenparkplatz vor einem McDonald's stand, ohne dass er hätte sagen können, wie es dorthin gekommen war.

Als er Christi vierzehn Jahre zuvor als eine der Geschworenen bei einem Prozess kennengelernt hatte, in dem er

als Anwalt auftrat, war sie Leiterin einer Privatschule in Potomac gewesen. Am zweiten Prozesstag trug sie einen kurzen schwarzen Rock, und die Verhandlung kam praktisch zum Stillstand. Eine Woche später hatten sie ihre erste Verabredung. Drei Jahre lang hielt sich Nate von Alkohol und Drogen fern, was genügte, um wieder zu heiraten und zwei Kinder in die Welt zu setzen. Als der Damm erste Risse zeigte, bekam Christi Angst und wollte davonlaufen, und als er wirklich brach, floh sie mit den Kindern. Sie kehrte ein ganzes Jahr nicht zurück. Die Ehe dauerte zehn chaotische Jahre.

Jetzt arbeitete sie an einer Schule in Salem, wo Theo als Anwalt in einer kleinen Kanzlei tätig war. Nate war überzeugt, dass er Christi und die Kinder aus Washington vertrieben hatte. Er konnte ihnen keinen Vorwurf machen, dass sie an die Westküste geflohen waren.

Als er in Medford angekommen war, etwa vier Autostunden von ihrem Wohnort entfernt, rief er aus dem Wagen in der Schule an. Er musste fünf Minuten warten - sicher brauchte sie die Zeit, um ihre Tür abzuschließen und sich zu sammeln. »Hallo«, sagte sie schließlich.

»Christi, ich bin's, Nate.« Er kam sich albern vor, dass er einer Frau, mit der er zehn Jahre zusammengelebt hatte, am Telefon sagte, wer er war.

»Wo bist du?« fragte sie, als stehe ein Angriff bevor.

»In der Nähe von Medford.«

»In Oregon?«

»Ja. Ich möchte gern die Kinder besuchen.«

»Wann?«

»Heute abend oder morgen. Ich hab's nicht eilig. Ich bin seit ein paar Tagen ohne festen Reiseplan unterwegs und sehe mir die Gegend an.«

»Bestimmt können wir was arrangieren, Nate. Aber die Kinder haben reichlich zu tun, du weißt schon, Schule, Ballett, Fußball.«

»Wie geht es ihnen?«

»Sehr gut. Schön, dass du fragst.«

»Und dir?«

»Gut. Uns gefällt es in Oregon.«

»Mir geht es auch gut. Schön, dass du fragst. Ich bin clean und nüchtern, Christi, wirklich. Ich habe den Alkohol und die Drogen für immer zum Teufel gejagt. Vermutlich höre ich als Anwalt auf, aber es geht mir wirklich gut.«

Das hatte sie schon früher gehört. »Das ist schön, Nate.« Es klang zurückhaltend. Offenbar überlegte sie immer zwei Sätze im voraus, was sie sagen würde.

Sie verabredeten sich für den folgenden Abend zum Essen. Das gab ihr genug Zeit, die Kinder vorzubereiten, im Haus aufzuräumen, und auch Theo konnte sich überlegen, wie er sich zu der Sache stellen wollte. Es war genug Zeit, sich Ausflüchte zu überlegen und Ausreden einzustudieren.

»Ich will euch nicht zur Last fallen«, versprach Nate und legte auf.

Theo beschloss, bis zum späten Abend zu arbeiten und sich das Zusammentreffen zu ersparen. Nate drückte Angela kräftig an sich. Austin schüttelte ihm einfach die Hand. Nate hatte sich vorgenommen, auf keinen Fall sein Erstaunen darüber zu äußern, wie sehr die Kinder gewachsen waren. Christi trödelte eine geschlagene Stunde in ihrem Zimmer herum, während Nate seine Bekanntschaft mit den Kindern erneuerte.

Er war entschlossen, sie nicht mit Entschuldigungen für Dinge zu überhäufen, an denen er nichts mehr ändern konnte. Sie saßen im Wohnzimmer auf dem Fußboden und unterhielten sich über Schule, Ballett und Fußball. Salem war ein hübsches Städtchen, viel kleiner als Washington, die Kinder hatten sich gut ein- "| gelebt, hatten viele Freunde, eine gute Schule und angenehme Lehrer.

Zum Abendessen, das eine volle Stunde dauerte, gab es Spaghetti und Salat. Nate berichtete, was er im brasilianischen Urwald auf der Suche nach seiner Mandantin erlebt hatte. Offensichtlich hatte Christi nicht die richtigen Zeitungen gelesen, denn sie wusste nichts von der Phelan-Sache.

Um Punkt sieben sagte Nate, er müsse gehen. Die Kinder hatten Hausaufgaben zu erledigen und mussten am nächsten Morgen früh zur Schule. »Ich habe morgen ein Fußballspiel, Papa«, sagte Austin. Nate wäre fast das Herz stehen geblieben. Er konnte sich nicht erinnern, wann jemand zuletzt Papa zu ihm gesagt hatte.

»Es ist in der Schule«, sagte Angela. »Könntest du da nicht kommen?«

Einen Augenblick lang sahen alle einander unbehaglich an. Nate wusste nicht, was er sagen sollte.

Christi rettete die Situation, indem sie sagte: »Ich gehe hin. Wir könnten uns dann dort unterhalten.«

»Natürlich komme ich«, sagte Nate. Die Kinder umarmten ihn zum Abschied. Während er fortfuhr, argwöhnte Nate, dass Christi ihn nur deshalb an zwei aufeinanderfolgenden Tagen sehen wollte, um seine Augen zu studieren. Sie kannte die Anzeichen.

Er blieb drei Tage in Salem. Er sah sich das Fußballspiel an und platzte vor Stolz auf seinen Sohn. Als er wieder zum Abendessen eingeladen wurde, erklärte er, nur kommen zu wollen, wenn auch Theo teilnähme. Zu Mittag aß er mit Angela und ihren Freundinnen in der Schulkantine.

Nach drei Tagen war es Zeit zum Aufbruch. Die Kinder brauchten ihren normalen Tagesablauf, ohne die Komplikationen, die Nates Besuch mit sich brachte. Christi hatte es satt, so tun zu müssen, als wäre nie etwas zwischen ihnen geschehen, und Nate fühlte sich zu sehr zu seinen Kindern hingezogen. Er versprach anzurufen, E-

Mails zu schicken und sie bald wieder zu besuchen.

Er verließ Salem mit gebrochenem Herzen. Wie tief konnte ein Mann sinken, dass er eine so großartige Familie aufgab? Er konnte sich an fast nichts aus Angelas und Austins früher Kindheit erinnern - keine Schultheaterauf-führungen, Halloween-Verkleidungen, Weihnachtsbescherungen, gemeinsame Fahrten zum Einkaufszentrum.