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»Ich sage Ihnen«, sagte Jevy, »ich habe mich überall auf dem Fluss umgehört. Die Frau war nicht in Corumba.

Sie war nicht im Krankenhaus. Sie haben das geträumt, mein Freund.«

Nate war nicht bereit, darüber zu diskutieren. Er war seiner Sache selbst nicht mehr sicher.

Der Eigner der Santa Loura hatte Jevy im ganzen Städtchen angeschwärzt. Zwar stimmte es, dass sie gesunken war, während er die Verantwortung für sie hatte, aber alle Welt wusste, dass das Unwetter schuld war. Der Mann war ohnehin ein Dummkopf.

Wie nicht anders zu erwarten, wandte sich das Gespräch schon bald Jevys Zukunftsplänen in den Vereinigten Staaten zu. Er hatte ein Visum beantragt, brauchte aber einen Bürgen und einen Arbeitsplatz. Nate antwortete ausweichend und hinhaltend, weil er nicht den Mut aufbrachte, ihm zu sagen, dass auch er sich bald nach einer Arbeit würde umsehen müssen.

»Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte er schließlich.

Jevys Vetter in Colorado suchte gleichfalls Arbeit.

Eine Stechmücke kreiste über Nates Hand. Instinktiv wollte er sie mit einem kräftigen Schlag töten, doch dann beobachtete er sie lieber, um einschätzen zu können, wie wirksam sein Superinsektenschutzmittel war. Als die Mücke keine Lust mehr hatte, ihr Zielgebiet aus der Luft zu beobachten, tauchte sie plötzlich im Sturzflug dem Rücken seiner rechten Hand entgegen, drehte aber in fünf Zentimetern Entfernung schlagartig bei und verschwand. Nate lächelte. Er hatte auch Ohren, Hals und Gesicht mit dem Öl eingerieben.

Bei jemandem, der zum zweiten Mal an Denguefieber erkrankt, treten gewöhnlich innere Blutungen auf. Es ist viel schlimmer als beim ersten Mal und verläuft oft tödlich. Soweit würde Nate O'Riley es nicht kommen lassen.

Sie ließen das Dorf nicht aus den Augen, während sie miteinander sprachen. Nate entging keine Bewegung. Er rechnete damit, dass Rachel jeden Augenblick mit elegantem Schritt zu ihrer Begrüßung zwischen den Hütten über den Pfad auf sie zukam. Bestimmt wusste sie inzwischen, dass der weiße Mann zurückgekehrt war.

Aber war ihr klar, dass es sich um Nate handelte? Was würde geschehen, wenn der Ipica ihn und Jevy nicht erkannt hatte und Rachel fürchtete, jemand anders hätte sie gefunden?

Dann sahen sie den Häuptling langsam auf sich zukommen. Er trug einen langen Zeremonialspeer. Ihm folgte ein Ipica, den Nate erkannte. Sie blieben am Rande des Pfads stehen, gut fünfzehn Meter von der Bank entfernt. Sie lächelten nicht. Es kam Nate ganz so vor, als mache der Häuptling einen ausgesprochen finsteren Eindruck.

Auf portugiesisch fragte er: »Was wollt ihr?«

» Sagen Sie ihm, dass wir mit der Missionarin sprechen wollen «, sagte Nate, und Jevy dolmetschte das. »Warum?« kam die Antwort.

Jevy erklärte, dass der Amerikaner eine lange Strecke zurückgelegt hätte, und dass es sehr wichtig sei, mit der Frau zu sprechen. Wieder fragte der Häuptling: »Warum?«

Weil sie über Dinge miteinander reden müssten, wichtige Dinge, die weder Jevy noch der Häuptling verstünden. Es sei von größter Bedeutung, sonst wäre der Amerikaner nicht gekommen.

Soweit sich Nate erinnerte, war der Häuptling lebhaft gewesen, hatte häufig gelächelt und oft laut gelacht. Jetzt war sein Gesicht fast ausdruckslos, und aus fünfzehn Meter Entfernung wirkten seine Augen hart. Er hatte einmal darauf bestanden, dass sie sich zu ihm ans Feuer setzten und sein Frühstück mit ihm teilten. Jetzt hielt er sich möglichst weit von ihnen entfernt. Irgend etwas stimmte nicht. Etwas hatte sich verändert.

Der Häuptling forderte die Besucher auf zu warten und ging dann langsam wieder ins Dorf zurück. Eine halbe Stunde verging. Jetzt musste Rachel wissen, wer sie waren, der Häuptling hatte es ihr bestimmt mitgeteilt. Und sie schien nicht kommen zu wollen.

Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und Nate sah aufmerksam hin. Sie war weiß und faserig, nicht im geringsten bedrohlich, trotzdem jagte sie ihm Angst ein. Wenn er den leisesten Donner in der Ferne hörte, würde er aufbrechen. Im Boot aßen sie einige Waffeln und ein wenig Käse.

Mit einem Pfiff unterbrach der Häuptling ihren Imbiss. Er war allein aus dem Dorf zurückgekommen. Sie be-gegneten einander auf halbem Wege und folgten ihm etwa dreißig Meter, dann änderten sie die Richtung und gingen auf einem anderen Pfad hinter den Hütten vorbei. Nate konnte den offenen Dorfplatz sehen. Er war verlassen, kein einziger Ipica ging umher. Keine Kinder spielten. Keine jungen Frauen fegten den Platz um die Hütten frei. Niemand kochte und wusch. Man hörte keinen Laut. Die einzige Bewegung kam vom aufsteigenden Rauch der Feuer.

Dann sah er Gesichter in den Türöffnungen. Man beobachtete sie. Der Häuptling hielt sie von den Hütten fern, als litten sie an einer schlimmen ansteckenden Krankheit. Er schlug wieder einen anderen Pfad ein, der zwischen den Bäumen hindurchführte. Als sie auf eine Lichtung traten, befanden sie sich vor Rachels Hütte.

Von Rachel war nichts zu sehen. Er führte sie seitwärts an der Tür vorbei. Dort sahen sie im tiefen Schatten der Bäume die Gräber.

ZWEIUNDFÜNFZIG

Die Indianer hatten sorgfältig vier weiße Holzstücke zurecht-geschnitzt, poliert und mit Ranken zu zwei völlig gleichen Kreuzen zusammengebunden. Sie waren klein, keine dreißig Zentimeter hoch, und steckten am unteren Ende beider Gräber in der frischen Erde. Nichts stand darauf, weder ein Name noch ein Hinweis auf den Zeitpunkt des Todes.

Unter den Bäumen war es dunkel. Nate stellte seine Tasche auf den Boden zwischen den Gräbern und setzte sich darauf. Der Häuptling begann leise und rasch zu reden.

»Die Frau liegt links, Lako rechts. Sie sind vor etwa zwei Wochen am selben Tag gestorben «, dolmetschte Jevy. Der Häuptling sprach weiter. »Seit unserer Abreise sind zehn Menschen an Malaria gestorben«, sagte Jevy.

Der Häuptling sprach lange, ohne eine Pause zum Dolmetschen zu machen. Nate hörte die Worte, und doch hörte er nichts. Er sah auf den ordentlich angehäufelten und von geschälten Ästen umrandeten schwarzen Erdhügel zur Linken, der ein genaues Rechteck bildete. Dort lag Rachel Lane, der tapferste Mensch, dem er je begegnet war, denn sie hatte nicht die geringste Angst vor dem Tod gehabt. Im Gegenteil, sie hatte ihn willkommen geheißen. Sie hatte ihren Frieden gefunden. Endlich war ihre Seele bei ihrem Gott, und ihr Leib ruhte auf alle Zeiten inmitten der Menschen, die sie geliebt hatte.

Neben ihr lag Lako, sein himmlischer Leib frei von jeglichem Makel und Leiden.

Der Schock kam und ging. Ihr Tod war tragisch, und auch wieder nicht. Sie war keine junge Mutter und Gattin, die Angehörige hinterließ. Sie hatte keinen großen Kreis von Freunden, die zusammenkamen, um ihren Hingang zu betrauern. Nur eine Handvoll Menschen in ihrer Heimat würde je erfahren, dass sie nicht mehr lebte. Sie hatte als Fremde unter den Menschen gelebt, die sie begraben hatten.

Er hatte sie gut genug gekannt, um zu wissen, dass sie nicht betrauert werden wollte. Tränen wären ihr nicht recht, und Nate konnte um sie auch keine vergießen. Eine Weile sah er ungläubig auf das Grab, dann aber meldete sich die Realität. Sie war keine alte Freundin, mit der er oft zusammengewesen war; er hatte sie kaum gekannt. Seine Gründe, sie zu finden, waren ausschließlich selbstsüchtiger Art gewesen. Er war in ihre Privatsphäre eingedrungen, und sie hatte ihn gebeten, nicht zurückzukehren.

Trotzdem schmerzte es ihn, dass sie nicht mehr lebte. Er hatte jeden Tag, seit er das Pantanal verlassen hatte, an sie gedacht. Er hatte von ihr geträumt, ihre Berührung gespürt, ihre Stimme gehört, sich an ihre Weisheit erinnert. Sie hatte ihn beten gelehrt und ihm Hoffnung gegeben. Sie war in Jahrzehnten der erste Mensch gewesen, der Gutes in ihm erkannt hatte.

Nie zuvor war er einem Menschen wie Rachel Lane begegnet, und er vermisste sie schmerzlich.