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»Ich rutsche nicht mehr ab, Josh. Das schwöre ich.«

»Das würde ich dir gern glauben, aber ich hab das schon mal gehört. Und was ist, wenn sich deine Dämonen wieder melden, Nate? Beim letzten Mal fehlten nur ein paar Minuten, und du wärst tot gewesen.«

»So was kommt nicht wieder vor.«

»Das nächste Mal wird das letzte Mal sein, Nate. Dann gibt es eine feierliche Beisetzung, wir nehmen Abschied von dir und sehen zu, wie man dich ins Grab runterlässt. Das möchte ich nicht miterleben.«

»Soweit kommt es nicht. Das schwöre ich.«

»Wenn du das ernsthaft willst, schlag dir die Sache mit dem Büro aus dem Kopf. Der Druck ist viel zu groß für dich.«

Am meisten waren Nate bei den Entziehungskuren die langen Perioden der Stille zuwider, der Meditation, wie Sergio es nannte. Man erwartete von den Patienten, dass sie sich wie Mönche ins Halbdunkel hockten, die Augen schlössen und inneren Frieden fanden. Das mit dem Hocken und den geschlossenen Augen kriegte Nate hin, aber hinter den Lidern kämpfte er alte Prozesse noch einmal durch, legte sich mit dem Internal Revenue Service an und schmiedete Ränke gegen seine früheren Ehefrauen. Vor allem aber machte er sich Sorgen um die Zukunft. Dieses Gespräch mit Josh hatte er in Gedanken schon viele Male durchgespielt.

Aber jetzt fielen ihm seine klugen Antworten und seine schlagfertigen Erwiderungen nicht ein. Er hatte nahezu vier Monate lang so gut wie allein gelebt, und das hatte seine Reflexe erschlaffen lassen. Er brachte lediglich einen trübseligen Blick zustande. »Na hör mal, Josh. Du kannst mich nicht einfach auf die Straße setzen.«

»Du hast über zwanzig Jahre lang Prozesse geführt, Nate. Das ist ungefähr der Durchschnitt. Es ist Zeit, was anderes zu machen.«

»Heißt das, ich soll als Lobbyist mit den PR-Leuten von tausend kleinen Kongressabgeordneten zum Mittagessen gehen?«

»Wir finden was für dich. Aber nicht im Gerichtssaal.«

»Ich tauge nicht für solche Arbeitsessen. Ich möchte Prozesse führen.«

»Kommt nicht in Frage. Du kannst in der Kanzlei bleiben, eine Menge Geld verdienen, deine Gesundheit pflegen, anfangen, Golf zu spielen, und ein schönes Leben führen, immer vorausgesetzt, dass dich der IRS nicht ins Gefängnis schickt.«

Einige angenehme Augenblicke lang hatte er den IRS ganz vergessen. Jetzt ergriff er wieder von seinem Bewusstsein Besitz, und Nate setzte sich. Er drückte aus einer Portionspackung etwas Honig in seinen lauwarmen Kaffee; eine so auf Gesundheit bedachte Einrichtung wie Walnut Hill duldete weder Zucker noch Süßstoff.

»Ein paar Wochen im brasilianischen Schwemmland klingen eigentlich ganz gut«, sagte er.

»Heißt das, du gehst?«

»Ja.«

Da Nate reichlich Zeit zu lesen hatte, ließ ihm Josh eine dicke Akte über den Phelan-Nachlaß und dessen geheimnisvolle neue Erbin da, außerdem zwei Bücher über fern von der Zivilisation lebende Indianerstämme in Südamerika.

Nate las acht Stunden lang ohne Pause und ließ sogar das Abendessen ausfallen. Mit einem Mal wollte er unbedingt fort, sein Abenteuer möglichst bald beginnen. Als ihn Sergio um zehn Uhr noch einmal aufsuchte, saß er wie ein Mönch mitten auf dem Bett, von Papieren umgeben, gedankenverloren in einer anderen Welt.

»Es ist Zeit für mich zu gehen«, sagte Nate.

»Das stimmt«, gab Sergio zur Antwort. »Ich fang morgen an, die Formulare auszufüllen.«

NEUN

Das Gerangel wurde schlimmer. Die Phelan-Erben redeten immer weniger miteinander und verbrachten immer mehr Zeit in den Kanzleien ihrer Anwälte. Eine ganze Woche verging, in der weder der Inhalt des Testaments bekannt gegeben, noch genaue Pläne für einen Antrag auf Feststellung seiner Gültigkeit gemacht wurden. Je dichter die Erben das Vermögen vor Augen sahen, das gerade außerhalb ihrer Reichweite lag, desto größer wurde ihre Nervosität. Mehrere Anwälte wurden in die Wüste geschickt und ebenso rasch durch andere ersetzt. Mary ROSS Phelan Jackman entzog ihrem Anwalt das Mandat, weil ihr sein Stundensatz nicht hoch genug war. Ihr Mann war ein erfolgreicher orthopädischer Chirurg mit zahlreichen Kontakten in der Geschäftswelt, der täglich mit Anwälten zu tun hatte. Ihr neuer Anwalt war ein Energiebündel namens Grit, der sich für sechshundert Dollar pro Stunde mit vollem Einsatz ins Getümmel stürzte.

Während sie auf das Erbe warteten, häuften sie immense Schulden an. Kaufverträge für hochherrschaftliche Villen wurden unterschrieben. Neue Autos wurden geliefert. Berater für die unterschiedlichsten Dinge wurden beauftragt. Da war ein Badehäuschen zu entwerfen, ein privates Düsenflugzeug aufzutreiben und eine Empfehlung auszusprechen, welches Rennpferd man kaufen sollte. Wenn sich die Erben nicht in den Haaren lagen, kauften sie in großem Stil ein. Die einzige Ausnahme war Ramble, aber auch nur deshalb, weil er noch minderjährig war. Er drückte sich fortwährend in Gesellschaft seines Anwalts herum, der sicherlich die Schulden seines Mandanten vergrößerte.

Eine Prozesslawine wird häufig dadurch ausgelöst, dass die Leute dem Gericht die Tür einrennen. Da sich Josh Stafford weigerte, das Testament offenzulegen, und gleichzeitig geheimnisvolle Hinweise über Troys mangelnde Testierfähigkeit fallen ließ, gerieten die Anwälte der Phelan-Erben schließlich in Panik.

Zehn Tage nach Troys Selbstmord reichte Hark Gettys beim Gericht des Fairfax County im Staat Virginia eine Klage ein, um zu erzwingen, dass Troy L. Phelans Testament öffentlich bekannt gemacht wurde. Mit der Ve r-schlagenheit eines ehrgeizigen Anwalts, mit dem man rechnen muss, gab er einem Reporter der Washington Post einen Wink. Sie unterhielten sich eine Stunde lang, nachdem er den Antrag eingereicht hatte, und dabei ließ Gettys neben Äußerungen, die ihn ins rechte Licht rücken sollten, auch die eine oder andere vertrauliche Angabe durchsickern. Ein Fotograf machte einige Aufnahmen.

Sonderbarerweise stellte Hark seinen Antrag im Namen aller Phelan-Erben und gab ihre Namen und Anschriften an, als wären sie seine Mandanten. Nachdem er in die Kanzlei zurückgekehrt war, faxte er ihnen Kopien des Antrags durch. Wenige Minuten später war bei ihm telefonisch kein Durchkommen mehr.

Der Bericht in der Post vom nächsten Morgen wurde von einem großen Foto ergänzt, auf dem sich Hark mit nachdenklicher Miene den Bart strich. Der Artikel war noch länger, als er es sich erträumt hatte. Er las ihn bei Sonnenaufgang in einem Cafe in Chevy Chase und fuhr dann rasch in seine neue Kanzlei.

Einige Stunden später, kurz nach neun, herrschte im Geschäftszimmer des für den Bezirk Fairfax zuständigen Gerichts ein noch größeres Gedränge von Anwälten als sonst. Sie kamen in kleinen Gruppen, redeten in abgehackten Sätzen auf die Mitarbeiter der Geschäftsstelle ein und gaben sich große Mühe, einander nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sosehr sich ihre Anträge unterschieden, so wollten doch alle ein und dasselbe - im Fall Phelan als zuständig anerkannt werden und einen Blick in das Testament werfen.

Nachlassangelegenheiten wurden im Bezirk Fairfax nach dem Zufallsprinzip unter einem Dutzend Richter verteilt, und so landete der Fall Phelan auf dem Schreibtisch F. Parr Wycliffs. Dieser sechsunddreißigjährige Richter besaß nur wenig Erfahrung auf dem Gebiet, war aber äußerst ehrgeizig und hoch erfreut, einen so wichtigen Fall übertragen zu bekommen.

In seinem Amtszimmer im Gericht beschäftigte er sich den ganzen Vormittag über mit der Akte. Seine Sekretärin legte ihm die Anträge vor, die er sogleich las.

Nachdem sich seine erste Aufregung gelegt hatte, rief er Josh Stafford an, um sich mit ihm bekannt zu machen. Wie es in solchen Fällen unter Juristen üblich ist, unterhielten sie sich höflich, aber steif und zurückhaltend, weil noch wichtige Dinge auf sie zukommen würden. Von einem Richter namens Wycliff hatte Josh noch nie gehört. »Liegt ein Testament vor?« fragte Wycliff schließlich.