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Das hier ist ein Abenteuer, wiederholte sich Nate immer wieder. Wo bleibt dein Sinn für Humor?

Er packte das Telefon wieder in seinen Kasten und verschloss ihn. Milton und Jevy gingen noch einmal zum Flugzeug hinüber. Die Frau kehrte ins Haus zurück. Marco hatte etwas hinter dem Haus zu tun. Nate suchte erneut den Schatten auf und überlegte, wie hübsch es wäre, bei einem Glas Schampus nur eine einzige Strophe von »White Christmas« zu hören.

Luis tauchte mit drei Pferden auf, die struppiger waren als alles, was Nate je gesehen hatte. Eins trug einen Sattel, ein Marterwerkzeug aus Leder und Holz. Das leuchtend orangefarbene Kissen darunter schien aus einem alten zotteligen Teppich herausgeschnitten zu sein. Wie sich zeigte, war der Sattel für Nate bestimmt. Ohne die geringste Mühe sprangen Luis und Oli auf ihre ungesattelten Pferde, waren im Nu oben und saßen völlig sicher. Nate betrachtete sein Pferd. »Onde?« fragte er. Wohin?

Luis zeigte auf einen Pfad. Aus den beim Mittagessen und danach geführten Gesprächen wusste Nate, dass der Pfad zum Fluss führte, an dem Marcos Boot lag.

Warum nicht? Es war ein Abenteuer. Was sonst hätte er tun können, während sich die Stunden dahinschleppten? Er holte sein Hemd von der Wäscheleine und schaffte es dann, sein armes Pferd zu besteigen, ohne herunterzufallen oder sich zu verletzen.

Ende Oktober waren er und einige andere Insassen von Walnut Hill an einem schönen Sonntag durch das Blue-Ridge-Gebirge geritten und hatten die Farbenpracht des Herbstes in sich aufgenommen. Zwar hatte er damals seine Oberschenkel und sein Hinterteil noch eine ganze Woche lang schmerzhaft gespürt, aber seine Angst vor den Tieren überwunden. Jedenfalls mehr oder weniger.

Er kämpfte mit den Steigbügeln, bis seine Füße fest darin steckten, dann fasste er das Tier am Zaum, damit es stillhielt. Die Jungen sahen äußerst belustigt zu und trabten dann davon. Auch Nates Pferd setzte sich schließlich in langsamen Trab, wobei ihn jeder Schritt zwischen den Beinen schmerzte und ihn von einer Seite zur anderen warf. Da er es vorzog, dass es im Schritt ging, riss er am Zaum, und das Tier verlangsamte das Tempo. Die Jungen kamen im großen Bogen zurückgeritten und ließen ihre Pferde neben ihm ebenfalls in Schritt fallen.

Der Pfad führte über eine kleine Kuhweide und machte eine Biegung, so dass das Haus bald nicht mehr zu sehen war. Vor ihnen lag Wasser - ein Sumpfgebiet, wie Nate zahllose aus der Luft gesehen hatte. Die Jungen schreckte das nicht. Der Weg führte mitten hindurch, und die Pferde, die ihn schon oft gegangen waren, zögerten nicht eine Sekunde. Zuerst stand das Wasser lediglich eine Handbreit tief, dann waren es ungefähr dreißig Zentimeter, und schließlich reichte es bis zu den Steigbügeln. Natürlich waren die Jungen barfuss, hatten eine wettergegerbte Haut und machten sich nicht das geringste aus dem Wasser oder aus dem, was sich darin befinden mochte. Nate trug seine Lieblings-Sportschuhe, die schon bald durchnässt waren.

Das ganze Pantanal war voll von Piranhas, den tückischen kleinen Fischen mit rasiermesserscharfen Zähnen.

Er wäre am liebsten umgekehrt, wusste aber nicht, wie er den Jungen das mitteilen sollte. »Luis«, sagte er mit einer Stimme, der die Angst anzuhören war. Die Jungen sahen ihn ohne die geringste Spur von Besorgnis an.

Als das Wasser den Pferden bis zur Brust reichte, gingen sie von selbst ein wenig langsamer. Kurz darauf sah Nate seine Füße wieder. Die Tiere stiegen auf der anderen Seite des Sumpfes aus dem Wasser, wo der Weg seinen Fortgang nahm.

Zu ihrer Linken wurden die Reste eines Zaunes sichtbar, und dann ein verfallenes Gebäude. Der Pfad erweiterte sich und wurde ein breiter Karrenweg. Vor vielen Jahren war die Fazenda wohl größer gewesen, mit vielen Stück Vieh und zahlreichen Knechten.

Nate wusste aus seiner Sammlung von Lesestoff, dass das Pantanal vor über zweihundert Jahren besiedelt worden war und sich seither wenig geändert hatte. Es war erstaunlich, wie einsam die Menschen dort lebten. Man sah nicht den geringsten Hinweis auf Nachbarn oder andere Kinder, und immer wieder musste Nate an Schulen und Ausbildung denken. Was taten die Kinder aus dem Pantanal eigentlich, wenn sie älter wurden - machten sie sich dann nach Corumba auf, um Arbeit und Ehepartner zu finden, oder führten sie den kleinen landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern weiter und zogen die nächste Generation pantaneiros auf? Konnten Marco und seine Frau überhaupt lesen und schreiben, und falls ja, brachten sie es auch ihren Kindern bei?

Er nahm sich vor, Jevy diese Fragen zu stellen. Vor ihnen lag jetzt erneut Wasser, ein größerer Sumpf mit Gruppen verfaulter Bäume zu beiden Seiten. Natürlich verlief der Pfad mitten hindurch. Jetzt, in der Regenzeit, stand das Wasser überall hoch, doch war der Sumpf in den trockenen Monaten lediglich eine Schlammfläche, auf der selbst ein Neuling dem Pfad folgen konnte, ohne fürchten zu müssen, er würde aufgefressen. Dann sollte ich wiederkommen, sagte sich Nate. Nicht sehr wahrscheinlich.

Die Pferde arbeiteten sich voran wie Maschinen, ohne auf den Sumpf und das Wasser zu achten, das dicht unter Nates Knien aufspritzte. Je tiefer das Wasser wurde, desto langsamer gingen die Tiere. Als es Nate über die Knie stieg und er gerade Luis voll Verzweiflung etwas zurufen wollte, wies Oli mit großer Gelassenheit nach rechts auf eine Stelle, wo sich zwei verrottete Baumstümpfe drei Meter hoch erhoben. Zwischen ihnen lag ein großes schwarzes Reptil im Wasser.

»Jacare«, sagte Oli gleichsam über die Schulter, als ob ihn Nate danach gefragt hätte. Ein Kaiman.

Die Augen des Tieres ragten über den Kopf hinaus, und Nate war sicher, dass sie vor allem ihm folgten. Sein Herz raste, und er hätte am liebsten laut um Hilfe geschrien. Dann drehte sich Luis um und grinste breit, weil ihm klar war, dass sein Gast Angst hatte. Also versuchte dieser zu lächeln, als wäre er ganz begeistert, endlich eins dieser Tiere so nahe zu sehen.

Die Pferde hoben den Kopf, als das Wasser noch tiefer wurde. Nate trat dem seinen unter Wasser in die Weichen, aber nichts geschah. Langsam ließ sich das Reptil ins Wasser gleiten, bis man außer seinen Augen nichts mehr sehen konnte. Dann nahm es Richtung auf die Gruppe und verschwand im Wasser. Nate riß die Füsse aus den Steigbügeln und zog die Knie bis zur Brust hoch, so dass er im Sattel hin und her schwankte. Die Jungen sagten etwas und kicherten. Es war ihm gleichgültig.

Als sie die Mitte des Sumpfes hinter sich hatten, reichte das Wasser den Pferden nur noch bis zu den Beinen, dann bis zu den Hufen. Als sie das andere Ufer sicher erreicht hatten, entspannte sich Nate. Dann lachte er über sich selbst. Diese Geschichte würde sich zu Hause gut machen. Eine ganze Reihe seiner Bekannten begeisterte sich für jede Art von Abenteuerurlaub: Sie unternahmen Floßfahrten im Wildwasser, Safaris zur Beobachtung von Gorillas, zogen mit dem Rucksack durch die Wildnis. Alle versuchten, einander mit den Berichten von Erlebnissen am anderen Ende der Welt zu übertrumpfen, bei denen sie um ein Haar ums Leben gekommen wären. Wenn man ihnen noch den ökologischen Aspekt nahe brachte, würden sie sich für zehntausend Dollar mit Begeisterung auf ein Pferd setzen und im Pantanal durch Sümpfe waten und dabei Schlangen und Kaimane fotografieren.

Als immer noch kein Fluss in Sicht kam, fand Nate, dass es an der Zeit sei umzukehren. Er wies auf seine Uhr, und Luis führte die Gruppe nach Hause zurück.

Der Kommandant wurde ans Telefon geholt. Jevy unterhielt sich fünf Minuten lang mit ihm über Dinge, die das Militär betrafen - Orte, an denen sie stationiert gewesen waren, Leute, die sie kannten -, während es immer bedenklicher um den Ladezustand der Batterie für das Satellitentelefon stand. Nate wies auf die rasch gegen Null sinkende Anzeige; daraufhin erklärte Jevy dem Kommandanten, dass das ihre letzte Gelegenheit sei.

Zum Glück war alles kein Problem. Ein Hubschrauber, erklärte der Kommandant, stehe bereit, eine Besatzung werde zusammengetrommelt. Wie schlimm die Verletzungen seien?