Jetzt brauchten sie doch nicht auf den Gehirntumor zu warten.
Es dauerte rund eine Minute, bis sich Joshua Stafford von seinem Entsetzen erholt hatte und wieder wie ein Anwalt denken konnte. Er wartete, bis die Angehörigen der dritten und letzten Familie unten zu sehen waren, dann bat er Snead und Durban in den Raum zurück.
Snead stellte sich vor die immer noch eingeschaltete Kamera, und nachdem er geschworen hatte, die Wahrheit zu sagen, berichtete er, was er soeben mit angesehen hatte. Dabei musste er gegen seine Tränen ankämpfen. Stafford öffnete den Umschlag und hielt die gelben Blätter so nahe vor die Kamera, dass die Schrift lesbar war.
»Ich habe gesehen, wie er diese Blätter vor wenigen Sekunden unterschrieben hat«, bestätigte Snead.
»Und erkennen Sie das als seine Unterschrift?« fragte Stafford.
»Ja, ja, das ist sie.«
»Hat er erklärt, dass es sich dabei um seine letztwillige Verfügung handelt?«
»Er hat es als sein Testament bezeichnet.«
Stafford nahm die Blätter wieder an sich, bevor Snead lesen konnte, was darauf stand. Er ließ Durban dieselbe Aussage machen, stellte sich dann selbst vor die Kamera und erklärte, was er zum Ablauf der Ereignisse zu sagen hatte. Die Kamera wurde abgeschaltet, und die drei fuhren nach unten, um Mr. Phelan die letzte Ehre zu erweisen. Der Fahrstuhl war voller Angestellter der Firma, die zwar tief betroffen waren, es sich aber auf keinen Fall entgehen lassen wollten, den Alten ein letztes Mal zu sehen, noch dazu in dieser sonderbaren Situation. Allmählich leerte sich das Gebäude. In einer Ecke hörte man Snead erstickt schluchzen.
Wachmänner hatten die Menge abgedrängt. Man hörte eine Sirene näherkommen. Jemand machte letzte Erinnerungsfotos von Troy Phelan, der in einer Blutlache lag, dann wurde eine schwarze Decke über den Leichnam ausgebreitet.
Bei den Angehörigen überlagerte schon bald leichter Kummer das Entsetzen über den Tod. Gesenkten Hauptes standen sie da, den Blick betrübt auf die Decke gerichtet, und dachten an das, was zu erledigen sein würde. Es war unmöglich, Troy anzusehen und nicht an das viele Geld zu denken. Die Trauer um einen Verwandten, dem man entfremdet ist, hält nicht lange an, wenn man damit rechnen darf, eine halbe Milliarde Dollar zu erben -auch nicht, wenn es der eigene Vater ist.
Bei den Angestellten trat Verwirrung an die Stelle des Entsetzens. Zwar hieß es, er wohne da oben über ihnen, aber kaum jemand hatte ihn je gesehen. Er galt als exzentrisch, verrückt und krank - aber alles gründete sich auf Gerüchte, auch, dass er ein Menschenfeind sei. Wichtige Mitglieder der Unternehmensspitze sahen ihn einmal im Jahr. Wenn die Firma ohne sein Eingreifen so erfolgreich war, durften die Angestellten ihre Arbeitsplätze getrost für sicher halten.
Die Psychiater - Zadel, Flowe und Theishen - sahen sich mit einem Mal in einer beklemmenden Lage. Da erklärt man, jemand sei bei klarem Verstand, und gleich darauf geht er hin und springt in den Tod. Doch auch ein Ve r-rückter hat gelegentlich einen lichten Augenblick - diese rettende Formel wiederholten sie unaufhörlich, während sie inmitten der Menge zitterten. Während so jemand kurzzeitig bei klarem Verstand ist, kann er ohne weiteres ein gültiges Testament errichten. Von dieser Position würden sie auf keinen Fall abrücken. Gott sei Dank war alles auf Band aufgenommen worden. Der alte Troy war ein Fuchs, und er war bei klarem Verstand gewesen.
Und die Anwälte überwanden ihren Schock rasch und ohne Kummer zu empfinden. Mit entschlossener Miene betrachteten sie, neben ihren Mandanten stehend, das klägliche Bild, das sich ihnen bot. Das Honorar würde gewaltig sein.
Ein Rettungswagen fuhr auf die gepflasterte Fläche und blieb in unmittelbarer Nähe des Leichnams stehen. Stafford kroch unter dem Absperrband durch und flüsterte den Wachmännern etwas zu.
Rasch wurde Troy auf eine Bahre geladen und fortgebracht.
Zwanzig Jahre zuvor hatte Troy Phelan seinen Firmensitz in den Norden des Staates Virginia verlegt, um der hohen Besteuerung in New York zu entgehen. Die vierzig Millionen, die er für das Grundstück und das Hochhaus hatte aufwenden müssen, hatte er durch den Wechsel des Firmensitzes nach Virginia mehrfach eingespart. Den aufstrebenden Washingtoner Anwalt Joshua Stafford hatte er im Zusammenhang mit einem üblen Prozess kennengelernt, den er verloren hatte. Stafford hatte die Gegenseite vertreten und gewonnen. Troy, der seine Art des Vorgehens und seine Beharrlichkeit bewunderte, hatte ihn fortan mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Im zurückliegenden Jahrzehnt hatte Stafford die Größe seiner Kanzlei verdoppelt und mit den Einnahmen aus den juristischen Scharmützeln, die er für Troy führte, ein Vermögen gemacht.
Niemand hatte Troy Phelan in seinen letzten Lebensjahren nähergestanden als Josh Stafford. Er kehrte jetzt mit Durban ins Konferenzzimmer im dreizehnten Stock zurück, verschloss die Tür und schickte Snead mit der Anweisung fort, sich hinzulegen.
Vor laufender Kamera öffnete Stafford den Umschlag und entnahm ihm die drei gelben Bogen. Der erste enthielt eine für ihn bestimmte Mitteilung Troys. Er sagte in die Kamera: »Dieser an mich gerichtete handschriftliche Brief Troy Phelans trägt das Datum des heutigen Tages, Montag, 9. Dezember 1996. Er besteht aus fünf Absätzen. Ich lese ihn im Wortlaut vor:
>Lieber Josh, ich bin jetzt tot. Nachstehend meine Anweisungen, die ich Sie genau zu befolgen bitte. Ich möchte, dass meine Wünsche ausgeführt werden. Notfalls müssen Sie vor Gericht gehen, um sie durchzusetzen. Erstens soll aus Gründen, deren Bedeutung sich später zeigen wird, eine baldige Autopsie durchgeführt werden. Zweitens will ich keinerlei Beisetzungsfeierlichkeit, Gedenkgottesdienst oder eine ähnliche Veranstaltung. Man soll mich verbrennen und meine Asche aus der Luft über meiner Ranch in Wyoming verstreuen.
Drittens möchte ich, dass der Inhalt meines Testaments bis zum 15. Januar 1997 vertraulich bleibt. Dem Gesetz nach sind Sie nicht verpflichtet, es sogleich offen zulegen. Halten Sie es also einen Monat zurück.
Bis dann. Troy.<«
Bedächtig legte Stafford das erste Blatt auf den Tisch und nahm das zweite zur Hand. Er überflog es und sagte dann in die Kamera: »Das hier ist ein aus einer Seite bestehendes Dokument, das als Letzter Wille des Troy L. Phelan gekennzeichnet ist. Ich lese es im Wortlaut vor:
>Letztwillige Verfügung von Troy L. Phelan. Ich, Troy L. Phelan, widerrufe hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte nachdrücklich jedes früher von mir abgefasste Testament sowie alle Nachträge dazu und verfüge über mein Vermögen wie folgt:
Meinen Kindern Troy Phelan jun., Rex Phelan, Libbigail Jeter, Mary ROSS Jackman, Geena Strong sowie Ramble Phelan hinterlasse ich einen Geldbetrag, der ausreicht, ihre jeweiligen Schulden in der Höhe zu begleichen, die sie am heutigen Tag aufweisen. Nach dem heutigen Datum anfallende Schulden werden davon nicht gedeckt. Sollte einer der genannten Nachkommen den Versuch unternehmen, dieses Testament anzufechten, entfällt das für ihn vorgesehene Geldgeschenk vollständig.
Meine ehemaligen Ehefrauen Lillian, Janie und Tira bekommen nichts. Sie sind bei der Scheidung jeweils angemessen versorgt worden.
Mein verbleibendes Vermögen hinterlasse ich meiner am 2. November 1954 im katholischen Krankenhaus von New Orleans, Louisiana, geborenen Tochter Rachel Lane. Ihre Mutter, eine Frau namens Evelyn Cunningham, ist zwischenzeitlich verstorben.«