Der alte Troy würde ja wohl nicht wollen, dass sie vor Kummer vergingen, oder? Die älteren Enkel tranken mehr als ihre Eltern.
Ein Fernsehgerät im Wohnzimmer war auf CNN geschaltet, und alle halbe Stunde kamen sie zusammen, um die letzten Meldungen über Troys dramatischen Tod zu verfolgen. Ein Finanzkorrespondent äußerte sich zehn Minuten lang über Phelans gewaltiges Vermögen, und alle lächelten.
Lillian bewahrte Haltung und lieferte eine recht glaubwürdige Vorstellung in der Rolle der bekümmerten Witwe ab. Morgen würde sie sich um die Einzelheiten der Beisetzung kümmern.
Hark Gettys kam gegen zehn und erklärte den Versammelten, dass er mit Josh Stafford gesprochen habe. Es werde weder eine Beisetzung noch irgendeine andere Feier geben; nach einer Autopsie werde man den Verstorbenen einäschern und die Überreste verstreuen. So habe dieser es schriftlich verlangt, und Stafford sei bereit, notfalls vor Gericht zu ziehen, um den Wünschen seines Mandanten Geltung zu verschaffen.
Zwar war es Lillian und ihren Kindern ziemlich gleichgültig, was mit Troy geschah, doch erhoben sie Einwände
und redeten auf Gettys ein. Es sei nicht recht, dem Toten seine Gedenkfeier zu verweigern. Libbigail brachte sogar ein winziges Tränchen und eine brechende Stimme zustande.
»Ich an Ihrer Stelle würde nicht dagegen angehen«, riet ihnen Gettys mit Nachdruck. »Mr. Phelan hat das unmittelbar vor seinem Tod schriftlich festgelegt, und die Gerichte werden seinen Willen achten.«
Sie fügten sich rasch. Es war sinnlos, einen Haufen Zeit und Geld für ein Gerichtsverfahren aufzuwenden, und ebenso sinnlos war es, die Trauer in die Länge zu ziehen. Warum die Sache verschlimmern? Troy hatte immer schon seinen Kopf durchgesetzt, und wer von ihnen versucht hatte, sich mit Josh Stafford anzulegen, hatte sich eine blutige Nase geholt.
»Wir werden uns seinen Wünschen fügen«, sagte Lillian, und die anderen vier nickten traurig dazu.
Die Frage nach dem Inhalt des Testaments und wann sie es sehen könnten, wurde nicht angesprochen, brodelte aber dicht unter der Oberfläche. Am besten war es, noch einige Stunden lang zu trauern, wie es sich gehörte, dann konnte man sich dem Geschäftlichen zuwenden. Da es weder Totenwache noch Beisetzungsfeierlichkeiten geben würde, konnten sie unter Umständen schon am nächsten Tag zusammenkommen und über den Nachlass reden.
»Wozu eigentlich die Autopsie?« fragte Rex.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte Gettys. »Stafford hat gesagt, dass das schriftlich festgelegt ist, aber was dahintersteckt, weiß er selbst nicht genau.«
Gettys ging, und sie tranken weiter. Da keine Besucher mehr kamen, legte sich Lillian schlafen. Libbigail und Mary ROSS brachen mit ihren Kindern auf. TJ und Rex gingen ins Billardzimmer im Keller, wo sie die Tür hinter sich abschlössen und auf Whisky umstiegen. Um Mitternacht stießen sie stockbetrunken die Billardkugeln über den Tisch und feierten ihren unermesslichen neuen Reichtum.
Am Tag nach Mr. Phelans Tod stand Josh Stafford um acht Uhr vor den besorgten Direktoren der Phelan-Gruppe. Mr. Phelan hatte ihn zwei Jahre zuvor in den Vorstand des Unternehmens berufen, doch diese Rolle gefiel ihm nicht.
In den vergangenen sechs Jahren hatte das Unternehmen ohne größere Mitwirkung seines Gründers ordentliche Gewinne abgeworfen. Aus irgendeinem Grund, vermutlich altersbedingter Depression, hatte Troy jegliches Interesse an den mit seinem Imperium verbundenen Alltagsgeschäften verloren. Es genügte ihm, die Märkte und die Gewinnberichte im Auge zu behalten.
Vorstandssprecher war Pat Solomon, ein Mann, den Troy fast zwanzig Jahre zuvor eingestellt hatte und der seither im Unternehmen aufgestiegen war. Als Stafford hereinkam, war er ebenso unruhig wie die sieben anderen Mitglieder der Firmenleitung.
Gründe zur Unruhe gab es reichlich. Im Unternehmen waren zahlreiche phantasievolle Gerüchte um Troys Nachkommen und seine Frauen im Umlauf. Die leiseste Andeutung, die Firmengruppe könne auf irgendeine Weise diesen Leuten in die Hände fallen, hätte jeden Unternehmensvorstand in Angst und Schrecken versetzt. Als erstes gab Josh Mr. Phelans Wünsche hinsichtlich seiner Bestattung bekannt. »Es wird keine Beisetzungsfeier geben«, sagte er ernst. »Offen gestanden werden Sie keine Möglichkeit haben, ihm die letzte Ehre zu erweisen.«
Sie nahmen das wortlos zur Kenntnis. Beim Tod eines normalen Sterblichen hätte man eine solche Haltung sonderbar gefunden, doch von Troy noch überrascht zu werden war schwierig.
»Wer bekommt die Verfügungsgewalt über die Firmengruppe?« fragte Solomon.
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen«, erwiderte Stafford. Ihm war klar, wie unbefriedigend die Antwort war und dass sie wie eine Ausflucht wirkte. »Troy hat, wenige Augenblicke bevor er gesprungen ist, ein Testament unterschrieben und mich angewiesen, dessen Inhalt eine gewisse Zeit für mich zu behalten. Ich darf mich unter keinen Umständen darüber äußern, jedenfalls nicht im Moment.«
»Wann?«
»Bald, aber nicht jetzt.«
»Heißt das, es bleibt alles beim alten?«
»So ist es. Die Zusammensetzung des Vorstands ändert sich nicht; jeder behält seinen Arbeitsplatz. Im Unternehmen geht alles seinen gewohnten Gang.«
Das klang zwar gut, aber niemand glaubte es. Ein Eigentümerwechsel stand bevor. Troy hatte nie viel von Mitbestimmung gehalten. Er zahlte seinen Leuten ordentliche Gehälter, war aber nicht bereit gewesen, wie viele andere Unternehmen Belegschaftsaktien auszugeben. Etwa drei Prozent der Aktien befanden sich in den Händen einiger seiner bevorzugten Mitarbeiter.
Sie stritten sich eine Stunde lang über den Wortlaut einer Presseerklärung, dann vertagten sie sich auf den nächsten Monat.
Stafford traf Tip Durban im Foyer, und sie fuhren gemeinsam zum Gerichtsmediziner in McLean. Die Autopsie war beendet.
Die Todesursache war offenkundig. Es gab keinerlei Hinweise auf Alkohol oder irgendwelche Drogen.
Und es gab keinen Tumor. Keine Spur von Krebs. Troy war zum Zeitpunkt seines Todes in guter körperlicher Verfassung gewesen, nur ein wenig unterernährt.
Während sie auf der Roosevelt-Brücke den Potomac überquerten, brach Tip das Schweigen. »Hat er Ihnen gesagt, dass er einen Gehirntumor hatte?« »Ja. Mehrfach.« Stafford fuhr, ohne groß auf Brücken, Straßen oder den Verkehr zu achten. Welche Überraschungen hielt Troy noch für sie bereit?
»Warum hat er gelogen?«
»Wer weiß? Sie versuchen das Denken eines Mannes zu analysieren, der vor kurzem von einem Hochhaus heruntergesprungen ist. Der Gehirntumor hat alles schrecklich dringend gemacht. Jeder, auch ich, war überzeugt, dass sein Tod unmittelbar bevorstand. Sein Zustand ließ es als großartigen Einfall erscheinen, die Psychiater hinzuzuziehen. Er hat die Falle gestellt, seine Verwandten sind hineingerannt, und jetzt schwören ihre eigenen Psychiater Stein und Bein, dass Troy bei völlig klarem Verstand war. Außerdem wollte er Mitgefühl.«
»Aber er war doch verrückt, oder nicht? Schließlich ist er gesprungen.«
»Troy war in vieler Hinsicht komisch, aber er hat genau gewusst, was er tat.«
»Und warum ist er dann gesprungen?«
»Weil er depressiv war. Ein sehr einsamer alter Mann.«
Während sie im dichten Verkehr auf der Constitution Avenue festsaßen und auf die Rücklichter vor ihnen starrten, versuchten sie den Fall zu durchdenken.
»Das riecht nach Betrug«, sagte Durban. »Er lockt sie mit der Aussicht auf Geld; er stellt ihre Psychiater zufrieden und unterschreibt dann in letzter Sekunde ein Testament, das ihnen so gut wie nichts hinterlässt.«
»Stimmt, das ist betrügerisch. Aber hier geht es um ein Testament und nicht um einen Vertrag. Ein Testament ist ein Geschenk. Niemand ist nach den Gesetzen des Staates Virginia verpflichtet, seinen Kindern auch nur einen roten Heller zu hinterlassen.«