Er verbrachte eine herrliche Stunde damit, die Veranda, die Auffahrt und den Bürgersteig von Schnee zu befreien, bis er sich schließlich zu seinem Wagen vorgearbeitet hatte.
Es überraschte ihn nicht, dass das aufgeräumte Haus, in dem alles an seinem Platz zu sein schien, voller Gegenstände aus der Zeit seiner Entstehung war. Josh hatte gesagt, dass jeden Mittwoch eine Frau zum Putzen und Staubwischen komme. Normalerweise wohnte Joshs Frau zwei Wochen im Frühling und eine Woche im Herbst darin. Josh hatte in den letzten achtzehn Monaten drei Nächte dort verbracht. Es gab vier Schlafzimmer und vier Bäder. Ein Häuschen eben.
Aber nirgendwo fand sich Kaffee - ein echter Notfall. Nate schloß das Haus ab und machte sich auf den Weg in den Ort. Die Bürgersteige waren geräumt und naß vom geschmolzenen Schnee. Wenn man dem Thermometer im Fenster des Friseurladens glauben durfte, waren es zwei Grad über Null. Alle Läden waren geschlossen. Im Vorübergehen sah Nate in ihre Schaufenster. Vor ihm ertönten die Kirchenglocken.
Dem Merkblatt zufolge, das ihm der ältliche Kirchendiener in die Hand drückte, hieß der Gemeindepfarrer Phil Lancaster. Dieser kleine, drahtige Mann mit einer dicken Hornbrille und rotgrau meliertem, gelocktem Haar konnte ebenso gut fünfunddreißig wie fünfzig Jahre alt sein. Die Gemeinde, die sich zum Elf-Uhr-Gottesdienst versammelt hatte, war nicht eben zahlreich, was vermutlich auf das Wetter zurückzuführen war. Nate zählte einundzwanzig Menschen, Pfarrer und Organist eingerechnet. Viele Köpfe waren schon ergraut.
Es war eine hübsche kleine Kirche mit einer gewölbten Decke und Buntglasfenstern. Bänke und Fußboden bestanden aus dunklem Holz. Als der Kirchendiener in der letzten Bank Platz nahm, erhob sich der Pfarrer in seinem schwarzen Talar und hieß die Besucher in der Dreifaltigkeits-Kirche willkommen, in der jeder zu Hause sei.
Er sprach laut und mit näselnder Stimme; ein Mikrophon brauchte er nicht. In seinem Gebet dankte er Gott für den Schnee und den Winter, für die Jahreszeiten, die uns daran erinnern sollten, dass Er stets die Fäden in der Hand hat.
Die Gemeinde stolperte durch die Lieder und Gebete. Während der Predigt fiel der Blick des Pfarrers auf Nate,
den einsamen Besucher in der vorletzten Reihe. Sie lächelten beide, und einen kurzen Moment lang fürchtete Nate, er wolle ihn der kleinen Gemeinde vorstellen.
Das Thema der Predigt war Begeisterungsfähigkeit. Es kam ihm angesichts des Durchschnittsalters der Gemeinde merkwürdig vor. Nate gab sich große Mühe zuzuhören, doch ließ seine Aufmerksamkeit bald nach. Seine Gedanken kehrten zur kleinen Kirche in Corumba zurück, deren Türen und Fenster offengestanden hatten, so dass die heiße Luft hindurchstrich, zum sterbenden Christus, der am Kreuze litt, zu dem jungen Mann mit der Gitarre.
Um den Pfarrer nicht zu kränken, hielt er den Blick auf einen dunklen Lichtkreis an der Wand hinter der Kanzel gerichtet. Angesichts der dicken Brillengläser des Predigers nahm er an, dass seine mangelnde Anteilnahme nicht auffallen werde.
Während er so in der Wärme der kleinen Kirche saß, endlich in Sicherheit vor den Ungewissheiten seines großen Abenteuers, vor Fieber und Unwettern, den Gefahren der Stadt Washington, vor seiner Sucht, in Sicherheit davor, seelisch zu verkümmern, hatte Nate zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, den Eindruck, im Frieden mit sich selbst zu leben. Er fürchtete nichts. Gott zog ihn irgendwohin. Er wusste nicht, in welche Richtung, aber er empfand auch keine Angst. Hab Geduld, mahnte er sich.
Dann flüsterte er ein Gebet. Er dankte Gott, weil dieser sein Leben bewahrt hatte, und betete für Rachel, weil er wusste, dass auch sie für ihn betete.
Die innere Gelassenheit veranlasste ihn zu lächeln. Als das Gebet vorüber war, öffnete er die Augen und sah, dass ihm der Pfarrer zulächelte.
Nach dem Segen gingen alle am Pfarrer vorüber zum Ausgang, dankten ihm für die gelungene Predigt und äußerten sich zu dieser oder jener Neuigkeit aus der Gemeinde. Langsam schob sich die Schlange voran; es war ein allsonntäglich geübtes Ritual.
»Wie geht es Ihrer Tante?« fragte der Pfarrer jemanden aus seiner Herde und hörte dann aufmerksam zu, als die Gebrechen der Tante beschrieben wurde. »Wie geht es der Hüfte?« fragte er einen anderen. »Wie war es in Deutschland?« Er schüttelte jedem die Hand und beugte sich vor, um sich kein Wort entgehen zu lassen. Er wusste, was diese Menschen beschäftigte.
Nate wartete geduldig am Ende der Schlange. Kein Grund zur Eile. Er hatte nichts weiter zu tun. »Willkommen«, sagte der Geistliche, als er Nate schließlich an Hand und Unterarm ergriff. »Willkommen in der Dreifaltigkeitsgemeinde.« Er drückte Nate die Hand so fest, dass er sich fragte, ob er der erste Besucher seit Jahren war. »Ich heiße Nate O'Riley«, sagte er und fügte hinzu, »aus Washington«, als sei das irgendwie bezeichnend für ihn.
»Ich freue mich, dass Sie heute morgen bei uns waren«, sagte der Pfarrer, wobei seine großen Augen hinter den Brillengläsern tanzten. Aus der Nähe betrachtet, ließ sich an den Falten seines Gesichts erkennen, dass er mindestens fünfzig war. Er hatte mehr graue Locken als rote.
»Ich bin für ein paar Tage im Häuschen der Staffords«, sagte Nate.
»Ja, ja, ein herrliches Haus. Wann sind Sie gekommen?«
»Heute morgen.«
»Sind Sie allein?«
»Ja.«
»Nun, in dem Fall müssen Sie mit uns zu Mittag essen.«
Nate musste über diese unverblümte Gastfreundschaft lachen. »Nun, äh, danke, aber -«
Der Pfarrer erwiderte lächelnd: »Nein, wirklich! Wenn es schneit, macht meine Frau immer Lammeintopf. Er steht schon auf dem Herd. Wir haben im Winter kaum Gäste. Bitte, das Pfarrhaus ist gleich hinter der Kirche.« Nate war in den Händen eines Mannes, der seinen sonntäglichen Mittagstisch schon mit Hunderten geteilt hatte. »Wirklich, ich habe nur hereingeschaut, und ich -«
»Es würde uns große Freude machen«, sagte Phil, der Nate bereits am Ärmel zupfte und zurück zur Kanzel führte. »Was tun Sie in Washington?«
»Ich bin Anwalt«, sagte Nate. Eine ausführliche Antwort würde kompliziert werden.
»Und was führt Sie zu uns nach St. Michaels?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Wunderbar! Laura und ich lieben Geschichten. Wir wollen ganz gemütlich zu Mittag essen und uns gegenseitig Geschichten erzählen. Das wird sicher sehr interessant.« Seine Begeisterung war unwiderstehlich. Der arme Kerl war offensichtlich ausgehungert nach Gesprächsstoff. Warum eigentlich nicht? dachte Nate. In Joshs Häuschen gab es nichts zu essen, und alle Geschäfte schienen geschlossen zu sein.
Sie gingen an der Kanzel vorüber und durch eine Tür in den hinteren Teil der Kirche. Die Frau des Pfarrers löschte die Lichter. »Das ist Mr. O'Riley aus Washington«, sagte Phil mit lauter Stimme zu ihr. »Er hat sich bereit erklärt, mit uns zu Mittag zu essen.«
Lächelnd schüttelte sie ihm die Hand. Sie hatte kurzes, graues Haar und sah mindestens zehn Jahre älter aus als ihr Mann. Sofern ein Überraschungsgast an ihrem Tisch sie aus dem Konzept brachte, ließ sie sich das nicht anmerken. Nate hatte den Eindruck, dass so etwas ständig geschah. »Nennen Sie mich bitte Nate«, sagte er.
»In Ordnung«, erklärte der Pfarrer und zog sich den Talar aus.
Das Pfarrhaus, das auf eine Nebenstraße ging, stieß gleich an das Kirchengelände. Vorsichtig gingen sie durch den Schnee. »Wie war meine Predigt?« fragte der Pfarrer seine Frau, während sie zur Veranda emporstiegen. »Glänzend, mein Schatz«, sagte sie ohne die Spur von Begeisterung. Nate hörte lächelnd zu. Bestimmt hatte sein Gastgeber diese Frage seit Jahren jeden Sonntag an derselben Stelle und zum selben Zeitpunkt gestellt und immer wieder dieselbe Antwort bekommen.