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»Großartig. Wo?« Die Erleichterung auf Wycliffs Zügen war unübersehbar.

» Sie will, dass wir das nicht bekannt geben. Jedenfalls nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.«

»Ist sie hier im Lande?« Der Richter vergaß, in sein mit Corned beef belegtes Brötchen zu beißen.

»Nein. Sie befindet sich an einem sehr abgelegenen Ort der Erde und möchte auch sehr gern dort bleiben.«

»Wie haben Sie sie gefunden?«

»Ihr Anwalt hat sie aufgespürt.«

»Wer ist das?«

»Ein früherer Partner meiner Kanzlei, der aber schon im August ausgeschieden ist. Er heißt Nate O'Riley.«

Wycliff kniff die Augen zusammen und dachte darüber nach. »Was für ein sonderbarer Zufall. Sie läßt sich von einem ehemaligen Partner der Kanzlei vertreten, mit der ihr Vater verbunden war.«

»Von einem Zufall kann keine Rede sein. Als Nachlaßverwalter musste ich unbedingt mit ihr in Kontakt treten. Also habe ich O'Riley gebeten, sie zu suchen. Er hat sie gefunden, und sie hat ihn mit ihrer Vertretung beauftragt. Eigentlich ist das ganz einfach.«

»Wann wird sie vor Gericht auftreten?«

»Ich bezweifle, dass sie persönlich erscheinen wird.«

»Und was ist mit der Annahme - oder Verzichtserklärung?«

»Wird nachgereicht. Die Frau ist sehr sprunghaft. Offen gestanden kenne ich zur Zeit ihre Pläne überhaupt noch nicht.«

»Wir haben es mit einer Anfechtungsklage zu tun, Josh. Die Sache lässt sich nicht länger hinauszögern. Sie muss dem Gericht zur Verfügung stehen.«

»Sie wird von einem Anwalt vertreten, der ihre Interessen wahrnimmt. Wir können also den Kampf eröffnen. Ich schlage vor, wir teilen der Gegenseite mit, dass wir die Erbin gefunden haben. Dann wird man ja sehen, was sie dagegen aufbieten können. «

»Kann ich mit ihr sprechen?«

»Unmöglich.«

»Na hören Sie, Josh!«

»Ich schwöre es. Sehen Sie, sie ist als Missionarin in einer sehr entlegenen Gegend tätig, in einer anderen Hemisphäre. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Ich möchte mit Mr. O'Riley sprechen.«

»Wann?«

Wycliff trat an seinen Schreibtisch und griff nach einem der Terminkalender, die seinen Lebensrhythmus bestimmten: Anhörungen, Prozesse, Anträge. Außerdem führte seine Sekretärin einen Kalender für die allgemeinen Termine. »Wie war's mit diesem Mittwoch?«

»Schön. Zum Mittagessen. Nur wir drei, ganz unter uns.«

»Klar.«

Nate O'Riley hatte vorgehabt, den ganzen Vormittag hindurch zu lesen und zu schreiben. Dies Vorhaben aber durchkreuzte ein Anruf des Pfarrers. »Sind Sie gerade sehr beschäftigt?« fragte er mit seiner kräftigen Stimme. »Eigentlich nicht«, sagte Nate. Er saß mit einer Steppdecke auf den Knien in einem bequemen Ledersessel am Kamin, trank Kaffee und las Mark Twain.

»Bestimmt nicht?«

»Bestimmt nicht.«

»Nun, ich bin gerade im Keller unter der Kirche mit einem kleinen Umbau beschäftigt und könnte Hilfe gebrauchen. Da ist mir der Gedanke gekommen, dass Sie sich vielleicht langweilen könnten, denn hier in St. Michaels gibt es ja nicht viel zu tun, jedenfalls nicht im Winter. Es soll heute übrigens wieder schneien.«

Der Lammeintopf kam Nate in den Sinn, von dem ziemlich viel übriggeblieben war. »Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen.«

Der Keller lag unmittelbar unter dem Altarraum. Als Nate vorsichtig die wacklige Holztreppe hinabging, hörte er Hämmern. Schon seit längerer Zeit plante der Pfarrer, von dem großen, niedrigen Raum entlang der Außenmauern mehrere kleine Räume abzuteilen. Ein Bandmaß in der Hand und Sägemehl auf den Ärmeln, stand Phil in Arbeitshose, Arbeitsschuhen und Flanellhemd da. Man hätte ihn ohne weiteres für einen Zimmermann halten können.

»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte er lächelnd.

»Gern geschehen. Ich hab mich sowieso gelangweilt«, sagte Nate.

»Ich bin dabei, Trennwände aus Pressspan einzusetzen«, erklärte der Pfarrer und wies mit einem Arm auf die Rahmenkonstruktion. »Das geht zu zweit einfacher. Früher hat mir Mr. Fuqua bei solchen Dingen geholfen, aber der ist mittlerweile achtzig Jahre alt, und sein Rücken macht nicht mehr richtig mit.«

»Was soll das werden?«

»Sechs kleine Räume für Bibelarbeit. Der große Raum in der Mitte soll als Gemeindesaal dienen. Mit dem Projekt haben wir vor zwei Jahren angefangen, aber da unser Etat für solche Vorhaben nicht besonders üppig ist, mache ich alles allein. Außerdem bleibe ich so in Form.«

Pfarrer Phil war seit Jahren nicht mehr in Form gewesen. »Sagen Sie mir, was ich tun soll«, sagte Nate, »und vergessen Sie nicht, dass ich Anwalt bin.«

»Nicht gewohnt an ehrliche Arbeit, was?«

»Nein.«

Jeder nahm ein Ende der Spanplatte von einem Meter zwanzig auf einen Meter achtzig, die sie gemeinsam dorthin trugen, wo einer der Gruppenräume für Bibelarbeit entstehen sollte. Als sie die schwere Platte einsetzten, merkte Nate, dass das wirklich eine Arbeit für zwei Leute war. Phil verzog das Gesicht, biß sich auf die Zunge und sagte, als die Platte an Ort und Stelle saß: »Halten Sie bitte mal fest.« Rasch schlug er einige Nägel ein, um die Platte mit den Kanthölzern der Rahmenkonstruktion zu verbinden. Als er fertig war, bewunderte er das Werk seiner Hände, nahm dann das Bandmaß zur Hand und maß die Fläche für die nächste Platte aus.

»Wo haben Sie diese Arbeit gelernt?« fragte Nate, während er interessiert zusah.

»Das habe ich im Blut. Auch Joseph war Schreiner.«

»Wer ist das?«

»Der Vater von Jesus.«

»Ach so, der Joseph.«

»Lesen Sie in der Bibel, Nate?«

»Nicht oft.«

»Das sollten Sie aber tun.«

»Das täte ich auch gern.«

»Ich kann Ihnen dabei helfen, wenn Sie möchten.«

»Vielen Dank.«

Mit einem Zimmermannsbleistift schrieb Phil die Maße auf die Platte, die sie gerade eingesetzt hatten, maß dann sorgfältig nach und sicherheitshalber gleich noch einmal. Schon bald merkte Nate, warum das Projekt nicht so recht vorankam. Phil ließ sich reichlich Zeit und unterbrach die Arbeit immer wieder mit Kaffeepausen.

Nach einer Stunde gingen sie nach oben in die Sakristei, wo auf einer Warmhalteplatte eine Kanne mit starkem Kaffee stand. Phil goß zwei Tassen ein und suchte mit den Augen die Bücherreihen auf den Regalen ab. »Hier ist ein wundervolles Stundenbuch. Es gehört zu meinen Lieblingsschriften«, sagte er, nahm das Buch heraus, wischte es ab, als wäre es voll Staub, und gab es dann Nate. Es war ein fest gebundenes Buch, das noch seinen Schutzumschlag hatte. Offenbar ging Phil mit seinen Büchern äußerst pfleglich um.

Er nahm ein weiteres Buch heraus und gab es Nate. »Und das ist eine Anleitung zum Bibellesen für Leute, die viel zu tun haben. Sie ist sehr gut.«

»Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ich viel zu tun haben könnte?«

»Sie sind doch Anwalt in Washington, oder nicht?«

»Theoretisch schon, aber damit ist demnächst Schluss.«

Phil legte die Fingerspitzen aneinander und sah Nate an, wie das nur Geistliche können. In seinen Augen stand die unausgesprochene Aufforderung: Reden Sie ruhig weiter. Ich bin dazu da, Ihnen zu helfen.

Also lud Nate einige seiner früheren und gegenwärtigen Probleme ab, wobei er die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem IRS und den baldigen Entzug seiner Zulassung als Anwalt in den Vordergrund rückte. Zwar bestehe keine Gefahr, dass er zu Gefängnis verurteilt würde, er müsse aber mit einer Geldstrafe rechnen, die so hoch sein würde, dass er sie sich nicht leisten konnte.

Trotzdem, erklärte er, sehe er der Zukunft voll Zuversicht entgegen. Eigentlich sei er sogar erleichtert, den Beruf aufzugeben.

»Was werden Sie tun?« fragte Phil.

»Ich habe keine Ahnung.«

»Vertrauen Sie auf Gott?«

»Ich glaube schon.«

»Dann seien Sie getrost. Er wird Ihnen den rechten Weg zeigen.«