»Aber sie werden das Testament anfechten, oder nicht?«
»Wahrscheinlich. Sie haben einen ganzen Haufen Anwälte. Es geht um zuviel Geld.«
»Warum hat er sie nur so sehr gehasst?«
»In seinen Augen waren sie Blutsauger. Sie haben ihn belästigt. Sie haben mit ihm gestritten. Sie haben in ihrem Leben keinen Cent auf ehrliche Weise verdient und so manche seiner Millionen zum Fenster rausgeworfen. Troy hatte nie die Absicht, ihnen etwas zu hinterlassen. Wer Millionen verschwenden konnte, nahm er an, würde auch mit Milliarden keine Probleme haben. Und damit hatte er recht.«
»Wie viel Schuld hatte er an den Streitigkeiten in der Familie?«
»'ne ganze Menge. Troy zu lieben war nicht einfach. Er hat mir mal gesagt, er sei ein schlechter Vater und ein katastrophaler Ehemann gewesen. Er konnte seine Finger nicht von den Frauen lassen, zumal wenn sie für ihn arbeiteten. Er war überzeugt, sie gehörten ihm.«
»Ich erinnere mich an einige Fälle, in denen man ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen hat.«
»Die haben wir stillschweigend aus der Welt geschafft. Das hat ein Heidengeld gekostet. Troy wollte den damit verbundenen Ärger vermeiden.«
»Meinen Sie, dass es noch mehr unbekannte Erben gibt?«
»Das bezweifle ich. Aber was weiß ich schon? Ich hätte nie geglaubt, dass da noch eine Erbin auftaucht, und der Gedanke, dass er ihr alles hinterlassen hat, ist mir völlig unverständlich. Troy und ich haben stundenlang über seinen Nachlass gesprochen und darüber, wie er aufgeteilt werden soll.«
»Wie können wir die Frau finden?«
»Keine Ahnung. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
Als Josh Stafford zurückkehrte, herrschte in seiner Kanzlei, die nach Washingtoner Maßstäben mit ihren sechzig Anwälten nicht besonders groß war, hektische Betriebsamkeit. Josh war der Gründer und Seniorpartner, und Tip Durban und vier weitere Anwälte waren Partner, was bedeutete, dass Josh ihnen gelegentlich zuhörte und sie am Gewinn beteiligte. Dreißig Jahre lang war die Kanzlei vor keinem Prozess zurückgeschreckt, doch als Josh auf die Sechzig zuging, verbrachte er weniger Zeit in Gerichtssälen und mehr hinter seinem mit Papieren überhäuften Schreibtisch. Er hätte hundert Anwälte beschäftigen können, wenn er als Mandanten die in Washington übliche Klientel aus früheren Senatoren, Lobbyisten und Beratern von Aufsichtsbehörden gewollt hätte. Josh aber zog Prozesse und Gerichtssäle vor und stellte ausschließlich solche jungen Kollegen ein, die zumindest in zehn Prozessen vor einem Geschworenengericht plädiert hatten.
Ein Prozessanwalt hält im Schnitt fünfundzwanzig Jahre lang durch. Dann sorgt gewöhnlich der erste Herzinfarkt dafür, dass er kürzer tritt, um den zweiten so lange wie möglich hinauszuschieben. Damit, dass er Ordnung in das verworrene Geflecht von Mr. Phelans Rechtsgeschäften gebracht hatte - Auslegungsfragen im Zusammenhang mit dem Wertpapiergesetz, Kartellklagen, Personalfragen, Firmenzusammenschlüsse und Dutzende persönlicher Angelegenheiten -, war Josh vorzeitigem Verschleiß aus dem Weg gegangen.
Drei Arbeitsgruppen von Anwälten warteten im Vorzimmer seines großen Büros. Zwei Sekretärinnen schoben ihm Memoranden und Telefonnotizen zu, während er den Mantel auszog und sich hinter den Schreibtisch setzte. »Was ist am dringendsten?« fragte er.
»Ich glaube, das hier«, sagte eine Sekretärin.
Es war eine Telefonnotiz über einen Anruf von Hark Gettys, einem Kollegen, mit dem Josh im letzten Monat mindestens dreimal wöchentlich gesprochen hatte. Er wählte Harks Nummer und hatte ihn sofort am Apparat. Nach dem üblichen Austausch der Höflichkeiten kam Hark gleich zur Sache.
»Hören Sie, Josh, Sie können sich bestimmt vorstellen, wie mir die Familie die Hölle heiß macht.«
»Aber ja.« »Sie wollen das verdammte Testament sehen. Oder zumindest wissen, was drinsteht.«
Die nächsten Sätze würden entscheidend sein, und Josh hatte sie sich sorgfältig zurechtgelegt. »Nicht so schnell, Hark.«
Nach einer sehr kurzen Pause kam die Frage: »Warum? Stimmt was nicht?«
»Der Selbstmord macht mir Sorgen.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Sehen Sie mal, Hark, wie kann jemand bei klarem Verstand sein, der Sekunden später in den Tod springt?«
Harks nervöse Stimme stieg um eine Oktave, und seine Worte verrieten eine immer größere Unruhe. »Aber Sie haben selbst gehört, was unsere Psychiater sagen. Zum Kuckuck, das ist doch alles auf Band festgehalten.«
»Und bleiben die drei trotz des Selbstmords bei ihrer Überzeugung?«
»Ja, verdammt und zugenäht!«
»Können Sie das beweisen? Ich bin auf Ihre Hilfe angewiesen, Hark.«
»Josh, wir haben uns gestern Abend unsere drei Seelenbohrer noch einmal vorgenommen. Wir haben nicht lockergelassen, und sie sagen, dass sie eisern bei dem bleiben, was sie festgestellt haben. Jeder von ihnen hat eine eidesstattliche Erklärung unterschrieben, einen acht Seiten langen Schriftsatz, in dem sie bestätigen, dass Mr. Phelan bei klarem Verstand war.«
»Kann ich die Schriftsätze sehen?«
»Ich schick sie gleich mit Kurier rüber.«
»Bitte tun Sie das.« Josh legte auf und lächelte vor sich hin. Die jungen Mitarbeiter wurden hereingeführt, drei Arbeitsgruppen aufgeweckter und furchtloser Anwälte. Sie nahmen an einem Mahagonitisch in einer Ecke des Raumes Platz.
Josh begann damit, dass er den Inhalt von Troys eigenhändigem Testament und die juristischen Schwierigkeiten kurz zusammenfasste, die vermutlich zu erwarten waren. Der ersten Arbeitsgruppe gab er den Auftrag, die Frage von Troys Testierfähigkeit zu klären. Er machte sich Sorgen wegen des zeitlichen Abstandes zwischen Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit. Die Leute sollten Analysen aller Fälle beschaffen, die auch nur entfernt mit der Erstellung eines Testaments durch einen Menschen zu tun hatten, der als verrückt galt.
Die zweite Gruppe bekam den Auftrag, sich um alles zu kümmern, was mit eigenhändigen Testamenten zu tun hatte, insbesondere um die besten Möglichkeiten, sie anzufechten, und auf dem Klagewege vorgebrachte Ansprüche abzuweisen.
Als er mit der dritten Gruppe allein war, entspannte er sich und setzte sich gleichfalls. Sie hatten Glück, denn sie würden nicht die nächsten drei Tage in Bibliotheken verbringen müssen. »Sie sollen eine Frau suchen, von der ich annehme, dass sie nicht gefunden werden möchte.«
Er teilte ihnen mit, was er über Rachel Lane wusste. Viel war es nicht. In der Akte aus Troys Schreibtisch stand nur wenig über sie.
»Erstens, versuchen Sie festzustellen, um was für einen Verein es sich bei World Tribes Missions handelt. Wie arbeiten die Leute? Nach welchen Kriterien wählen sie ihre Mitarbeiter aus? Wohin schicken sie die? Alles. Zweitens, hier in Washington gibt es ein paar ausgezeichnete Privatdetektive. Normalerweise sind das frühere Mitarbeiter des FBI, die sich darauf spezialisiert haben, vermisste Personen aufzuspüren. Suchen Sie die beiden besten davon aus, wir treffen dann morgen eine Entscheidung. Drittens, Rachels Mutter hieß Evelyn Cunningham, sie lebt nicht mehr. Wir brauchen möglichst viele biographische Angaben über die Frau. Vermutlich hatte sie mit Mr. Phelan eine Affäre, deren Ergebnis das Kind ist.«
»Vermutlich?« fragte einer der Mitarbeiter.
»Ja. Wir setzen nichts als gegeben voraus.«
Er ließ sie gehen und suchte den Raum auf, in dem Tip Durban eine kleine Pressekonferenz arrangiert hatte.
Keine Fernsehkameras, zugelassen waren nur die Printmedien. Erwartungsvoll saß ein Dutzend Journalisten um einen Tisch voller Aufzeichnungsgeräte und Mikrophone. Sie vertraten große Tageszeitungen und angesehene Finanzzeitschriften.
Die ersten Fragen wurden gestellt. Ja, es gebe ein Testament, das im letzten Augenblick vorgelegt worden sei, aber man könne noch nichts über den Inhalt sagen. Ja, es habe eine Autopsie stattgefunden, aber man könne noch nicht darüber sprechen. Das Unternehmen arbeite weiter wie bisher. Man könne sich noch nicht zu der Frage äußern, wer die neuen Eigentümer sein würden.