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Nate faltete die Zeitung zusammen und kehrte in Joshs Häuschen zurück. Es war halb neun. Ihm blieben anderthalb Stunden, bis die Arbeit im Keller der Kirche begann.

Auch wenn die Bluthunde jetzt seinen Namen wussten, würde es ihnen schwer fallen, seine Spur aufzunehmen. Josh hatte dafür gesorgt, dass Nates Post an eine Postfachadresse in Washington ging, und außerdem auf den Namen des Anwalts Nathan F. O'Riley eine neue Telefonleitung einrichten lassen. Anrufe, die dort eingingen, wurden von einer Sekretärin in der Kanzlei Stafford entgegengenommen und notiert.

In St. Michaels wusste außer dem Pfarrer und seiner Frau niemand, wer Nate war. Gerüchte besagten, er sei ein vermögender Anwalt aus Baltimore, der ein Buch schreiben wolle.

Sich verstecken machte süchtig. Vielleicht war das der Grund dafür, dass Rachel es tat.

Kopien von Rachel Lanes Stellungnahme wurden an alle Anwälte der Phelan-Kinder geschickt, die von dieser Nachricht geradezu elektrisiert waren. Sie lebte also und war bereit, sich dem Kampf zu stellen! Allerdings rief der Name ihres Anwalts ein gewisses Stirnrunzeln hervor; O'Rileys Ruf eilte ihm voraus: ein tüchtiger Prozessanwalt, mitunter brillant, der dem Druck nicht gewachsen war. Das ließ die Phelan-Anwälte, wie schon Richter Wycliff, vermuten, dass in Wahrheit Josh Stafford die Fäden in der Hand hielt. Bestimmt hatte er O'Riley aus dem Entzug geholt, ihn herausgeputzt, ihm die Papiere in die Hand gedrückt und den Weg zum Gericht gezeigt. Die Phelan-Anwälte saßen am Freitag morgen in der Kanzlei Langhorne zusammen, einem modernen Bau unter vielen im Finanzdistrikt an der Pennsylvania Avenue. Zwar war die Kanzlei mit ihren vierzig Anwälten nicht groß genug, um wirkliche Topmandanten anzuziehen, doch ihr Ehrgeiz ging eindeutig in diese Richtung. Die Einrichtung der Räume war von jener prätentiösen Erlesenheit, die verriet, dass die dort tätigen Anwälte fest entschlossen waren, ans ganz große Geld zu kommen.

Die Phelan-Anwälte hatten beschlossen, sich jede Woche am Freitag um acht zu treffen, um höchstens zwei Stunden lang über Strategiefragen und den Fortgang des Verfahrens zu reden. Der Einfall ging auf Ms. Langhorne zurück. Ihr war klargeworden, dass sie als Vermittlerin würde auftreten müssen, denn die Männer hatten alle Hände voll damit zu tun, sich zu spreizen und gegenseitig zu bekämpfen. Doch wo so viel Geld auf dem Spiel stand, durfte man nicht zulassen, dass sich Leute, die in einem Boot saßen, gegenseitig in den Rücken fielen.

Sie hatte den Eindruck, dass die Zeiten des Mandantenraubs vorüber waren. Ihre Mandanten, Geena und Cody, waren entschlossen, bei ihr zu bleiben, und Yancy schien Ramble fest in der Hand zu haben. Wally Bright wohnte praktisch mit Libbigail und Spike zusammen. Die anderen drei - Troy Junior, Rex und Mary ROSS - hatte Hark am Haken, und er schien mit seiner Beute zufrieden zu sein. Allmählich legte sich der Staub. Nachdem klar war, worum es ging, wurden die Beziehungen freundlicher. Den Anwälten war klar, dass ihre Sache zum Scheitern verurteilt war, wenn sie nicht zusammenarbeiteten.

Punkt eins der Tagesordnung war Snead. Sie hatten mehrere Stunden lang die Videoaufnahmen seiner ersten Vorstellung betrachtet und sich ausführlich notiert, wie man dafür sorgen könne, dass er besser wurde. Es wurde schamlos gelogen. Yancy, der in jungen Jahren eine Karriere als Drehbuchautor angestrebt hatte, war sogar so weit gegangen, für Snead eine fünfzigseitige Textvorlage zu verfassen. Sie enthielt eine solche Anzahl haarsträubender Behauptungen, dass Troy jedem als hirnloser Trottel erscheinen musste.

Punkt zwei war Nicolette, die Sekretärin. Man wollte sie sich einige Tage später gleichfalls auf Video vornehmen, und es gab bestimmte Dinge, die sie sagen musste. Bright regte an, man könne beide Aussagen lassen, der Alte habe beim Geschlechtsverkehr mit ihr, ein paar Stunden bevor er sich den drei Psychiatern stellte, einen Schlaganfall erlitten. Ein solcher Schlaganfall würde die geistigen Fähigkeiten erkennbar herabsetzen. Der Einfall wurde ganz allgemein mit Beifall aufgegriffen und führte zu einer längeren Diskußion über die Autopsie, über deren Ergebnisse sie bislang noch keine schriftlichen Unterlagen zu Gesicht bekommen hatten. Wie nicht anders zu erwarten, musste Troys Aufprall auf die Ziegelfläche zu entsetzlichen Schädelverletzungen geführt haben. Ließ sich unter solchen Umständen bei einer Autopsie ein Schlaganfall überhaupt diagnostizieren?

Punkt drei war die Frage ihrer eigenen Sachverständigen. Der von Grit vorgeschlagene Psychiater war den gleichen Weg gegangen wie der Anwalt selbst, so dass jetzt nur noch vier da waren, einer pro Kanzlei. Das war bei einer Verhandlung keine übermäßig große Zahl, eher konnte man zu viert mit einem gewissen Nachdruck argumentieren, vor allem, wenn die Psychiater auf unterschiedlichen Wegen zum selben Ergebnis kamen. Sie einigten sich, auch ihre Psychiater gründlich in die Mangel zu nehmen, ihre Aussagen zu proben und festzustellen, ob die Männer unter Druck womöglich zusammenbrachen.

Punkt vier war die Frage weiterer Zeugen. Sie brauchten unbedingt noch mehr Menschen, die in den letzten

Lebenstagen bei Troy gewesen waren. Da konnte ihnen Snead sicherlich helfen.

Letzter Punkt der Tagesordnung war das Auftreten Rachel Lanes und ihres Anwalts. »In der Akte ist nicht ein Blatt, das diese Frau unterschrieben hat«, sagte Hark. »Sie ist eine Einsiedlerin. Mit Ausnahme ihres Anwalts weiß kein Mensch, wo sie sich aufhält, und der sagt nichts. Er hat einen ganzen Monat gebraucht, um sie zu finden. Sie hat nichts unterschrieben. Theoretisch ist das Gericht für sie gar nicht zuständig. Für mich ist sonnenklar, dass die Frau Bedenken hat, an die Öffentlichkeit zu treten.«

»So verhalten sich auch manche Lotteriegewinner«, merkte Bright an. »Sie wollen nicht, dass die Sache an die große Glocke gehängt wird, damit sie nicht von Hinz und Kunz angeschnorrt werden.«

»Und was ist, wenn sie das Geld gar nicht will?« fragte Hark. Fassungslosigkeit machte sich breit.

»Das wäre verrückt«, sagte Bright spontan. Seine Worte hingen noch im Raum, während er über das Unmögliche nachdachte.

Bevor sich die anderen gefasst hatten, fuhr Hark unbeirrt fort: »Das ist nur so ein Einfall, aber ganz außer acht lassen sollten wir diese Möglichkeit nicht. Nach dem Gesetz des Staates Virginia ist kein Erbe verpflichtet, eine Erbschaft auch anzutreten. In einem solchen Fall gehört der entsprechende Betrag nach wie vor zum Nachlass, bis anderweitig darüber verfügt wird. Falls dies Testament für ungültig erklärt wird und es keine anderen Testamente gibt, bekommen Troy Phelans sieben Kinder alles. Falls Rachel Lane auch davon nichts möchte, teilen sich unsere Mandanten den gesamten Nachlass.«

Man konnte förmlich sehen, dass alle wie wild rechneten: elf Milliarden abzüglich Erbschaftssteuer, geteilt durch sechs. Dann der jeweilige Prozentsatz für die anwaltliche Tätigkeit - beträchtlicher Wohlstand schien in Reichweite. Statt siebenstelliger Honorare sahen sie mit einem Mal achtstellige vor ihrem geistigen Auge.

»Das ist ja wohl ein bißchen an den Haaren herbeigezogen«, sagte Langhorne langsam. Sie war von dem vielen Kopfrechnen noch ganz benommen.

»Finde ich nicht«, sagte Hark. Offensichtlich wusste er mehr als die anderen. »Eine Erklärung, mit der man sich dem Gerichtsstand unterwirft, ist eine einfache Sache. Will man uns wirklich weismachen, dass Mr. O'Riley nach Brasilien gereist ist, dort Rachel Lane gefunden, ihr die Sache mit dem Erbe auseinandergesetzt und dass sie ihn als Anwalt verpflichtet hat, ohne dass es ihm gelungen wäre, sich von ihr ein kurzes Dokument unterschreiben zu lassen, das die Zuständigkeit des hiesigen Gerichts anerkennt? Irgendwas stimmt da nicht.«

Yancy fragte als erster. »Brasilien?«

»Ja. Er ist gerade aus Brasilien zurückgekehrt.«

»Woher wissen Sie das?«

Hark griff langsam nach einer Akte und nahm einige Blätter heraus. »Ich habe einen sehr guten Ermittler an der Hand«, sagte er, und sofort herrschte Stille. »Ihn habe ich gestern angerufen, nachdem ich, ebenso wie Sie, Rachels Antwort und O'Rileys eidesstattliche Erklärung bekommen habe. Im Laufe von drei Stunden hat er folgendes herausgebracht: Am 22. Dezember hat Nate O'Riley den Dulles Airport mit dem Varig-Flug 882 nonstop nach Sao Paulo verlassen. Von dort ist er mit dem Varig-Flug 146 nach Campo Grande geflogen, wo er eine Zubringermaschine der Air Pantanal zu einer Kleinstadt namens Corumba genommen hat. Dort ist er am 23. eingetroffen. Nach fast drei Wochen ist er dann wieder hierher zurückgekehrt.«