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»Warum schläfst du nicht?« fragte El-tra nach einer Weile. »Es ist noch Zeit. Du wirst deine Kraft brauchen.«

Skar schüttelte unwillig den Kopf. »Ich kann nicht«, antwortete er. »Aber du solltest dich hinlegen. Es reicht, wenn einer von uns wacht.« Er hätte gerne hinzugefügt, daß es im Grunde nicht einmal nötig war, Wachen aufzustellen, aber er tat es nicht. Wenn El-tra es für nötig hielt zu wachen, so würde er seine Gründe haben. »Ich bin nicht müde, Skar«, antwortete El-tra. »Mein Bruder schläft. Das reicht.«

Skar blinzelte verwirrt. »Soll das heißen, ihr ruht beide, wenn einer von euch ruht?« fragte er ungeschickt.

El-tra antwortete nicht. Er stand auf, mit einer raschen, fließenden Bewegung, wie es die Art seiner Rasse war, packte sein Schwert mit beiden Händen und deutete nach Süden. Skar sah die Waffe des Schattenmannes jetzt zum ersten Mal bewußt an - es war kein Schwert wie das, das er oder Gowenna trugen, sondern ein wuchtiges, mörderisches Ding mit zwei Schneiden und zahlreichen, reißenden Spitzen; keine Waffe für einen ehrenvollen Kampf, sondern ein brutales Mordinstrument, ein Ding zum Schlachten und Verstümmeln. Er schauderte.

»Vielleicht ist es gut, daß du kommst«, fuhr El-tra nach sekundenlangem Schweigen fort. »Ich bin mir nicht sicher,... aber ...« Er sprach den Satz nicht zu Ende, doch seine Worte ließen Skar aufhorchen. Er fragte sich, wie El-tra in dem brodelnden Nichts dort vor ihnen überhaupt etwas wahrnehmen konnte.

»Komm.«

Sie gingen los, nebeneinander und mit gezogenen Waffen. Das Gebäude, in dem sie Schutz gesucht hatten, war das erste in einer vielleicht dreihundert Fuß langen, geometrisch exakten Linie abgeschmirgelter Ruinen, die sich in südlicher Richtung dahinzogen. Was dahinter lag, war nicht mehr zu erkennen. El-tra ging vielleicht zwanzig Schritte weit, blieb dann stehen und deutete wortlos nach links. Skar sah konzentriert in die angegebene Richtung. Er erkannte eine Mauer, etwas höher als die, hinter der ihr Nachtlager war, und an einer Stelle von einem breiten, halbkreisförmigen Durchgang unterbrochen, dessen oberes Drittel fehlte. Nebeneinander traten sie hindurch und blieben abermals stehen. Es fiel Skar nicht schwer, sich vorzustellen, wie dieses Gebäude einmal ausgesehen haben mußte. Von seinem Inneren war nichts erhalten, der Boden war geschmolzen und zu Glas erstarrt wie das gesamte Antlitz Tuans - aber es mußte annähernd rechteckig gewesen sein, und dicht neben dem Eingang führte ein schwarzer, lichtloser Schacht, an dessen oberen Ende die ersten Stufen einer Treppe zu erkennen waren, in die Tiefe. Skar ließ sich daneben auf die Knie sinken, legte sein Schwert neben sich auf den Boden und beugte sich vor, so weit es ging. Aber er erkannte nichts. Die Finsternis unter ihm war total, und selbst die flackernden dunkelroten Lichtblitze Combats, die wie eine stumme Drohung über dem Land lagen und ihre Umgebung in das Szenario eines Alptraumes verwandelten, schienen eine knappe Handbreit unter dem Beginn der Treppe aufgesogen und verschluckt zu werden. Aber dafür fühlte er um so deutlicher, was El-tra gemeint hatte. Sie waren nicht allein. Es war keine bewußte Wahrnehmung, nichts, was er normalerweise mit seinen Sinnen aufnehmen oder erklären konnte, sondern nur ein Gefühl, weniger sogar noch, etwas wie die Stimme in dem Traum, aus dem er aufgeschreckt war - leise, nicht greifbar, aber doch deutlich, ein Empfinden, als hätte er zu seinen normalen Sinnen plötzlich einen weiteren, neuen hinzubekommen. Er war irritiert.

Er sah sich einen Moment suchend um und riß, als er nichts anderes fand, einen Streifen von der Decke, die er über seinen Mantel geworfen hatte. Rasch wickelte er ihn um das obere Drittel seines Schwertes und knotete ihn fest. El-tra ließ sich neben ihn auf ein Knie sinken und griff unter seinen Umhang. Tantor hatte ihnen nicht nur Heilkräuter und Fleisch, sondern auch einen kleinen Vorrat des Brandpulvers zurückgelassen, mit dessen Hilfe er auf dem Weg durch die Berge selbst aus tropfnassem Holz Feuer entzündet hatte, und die Chemikalie wirkte auch jetzt noch - El-tra tupfte eine Fingerspitze davon auf den Stoffstreifen, und schon nach wenigen Sekunden begann sich der erste Rauchfaden emporzukräuseln.

Skar wartete nicht, bis seine improvisierte Fackel vollends Feuer gefangen hatte. Der zundertrockene Stoff würde nur wenige Augenblicke brennen, ehe er zu Asche zerfiel. Vorsichtig, beide Arme ausgestreckt, um nicht im Dunkeln gegen ein Hindernis zu stoßen, und mit den Fußspitzen über die steinernen Stufen tastend, stieg Skar in die Tiefe. Der Stoffstreifen begann zu glimmen, dann in wachsenden, rauchenden Flammen zu brennen, trotzdem wurde es nicht hell. Das Licht wurde eine knappe Armlänge unter ihm aufgesogen; er bewegte sich im Inneren einer unregelmäßigen, blakenden Kugel aus flackernder Helligkeit, an deren Rändern ein beständiger verzweifelter Kampf zwischen Licht und Finsternis zu toben schien.

Als er das Ende der Treppe erreichte, war seine provisorische Fackel zur Hälfte heruntergebrannt. Der Griff des Tschekal begann sich bereits spürbar zu erwärmen. In wenigen Augenblicken würde er so heiß sein, daß Skar ihn nicht mehr halten konnte. Skar zögerte einen Moment, riß einen weiteren Streifen von seiner Decke und setzte auch ihn in Brand.

Skar schloß geblendet die Augen, als der Stoff hell aufloderte, hob instinktiv die Hand vor das Gesicht und ließ den Streifen fallen, der wie ein glühender Feuerschmetterling zu Boden flatterte und dort weiterbrannte.

Im ersten Moment hatte Skar das Gefühl, sich im Inneren eines gewaltigen, in Millionen und Abermillionen verschiedenförmiger Facetten geschliffenen Kristalls zu befinden. Die Wände des Kellerraums bestanden aus Glas, wie der Boden über ihm, aber anders als er waren sie von kristallener Klarheit; blitzendes Eis und Kaskaden von sprühendem, mitten in der Bewegung erstarrtem Wasser, in denen sich das Licht der Flammen millionenfach brach und spiegelte.

Für einen Moment hatte er das Gefühl, als ob der Boden unter seinen Füßen bebte, aber dann merkte er, daß er es war, der wankte, unter dem plötzlichen Ansturm von Licht und Helligkeit zurücktaumelte wie unter einem Schlag. Er blinzelte, schloß die Augen und öffnete sie erst nach Sekunden vorsichtig wieder. Der Anblick war bizarr, erschreckend und faszinierend zugleich. Sie standen am Eingang einer niedrigen, aber weitläufigen Kuppelhalle. Der Boden war eben, oder war einmal eben gewesen, bevor er sich wie ein gewaltiges Tier in zuckenden Krämpfen gewunden hatte und dann wieder erstarrt war. Eine der Seitenwände war geborsten, die Steine in einer gefrorenen, zeitlosen Explosion in den milchigweißen Schwaden gefangen. Gläserne Stalaktiten wuchsen von der Decke herab, und da und dort spannten sich dünne, durchbrochene Netze wie verwunschene Spinnweben durch den Raum. Skar glaubte für einen kurzen Moment im Widerschein des Feuers die ungeheure Glut zu spüren, die diesen Raum einmal erfüllt haben mußte, Hitze, die Sand zu Dampf und dann zu Glas werden ließ, ein Höllenfeuer, das auf geheimnisvolle Weise noch immer da zu sein schien, als wäre es nie erloschen, sondern gefangen in den weißen, durchsichtigen Schleiern, schlafend, aber noch da.

Skar versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen sein mußte: Irgendwann einmal hatten hier Menschen - Menschen oder Götter, aber auf jeden Fall lebende Wesen - gelebt. Sie hatten Städte gebaut, Festungen, Burgen, hatten vielleicht Kriege gegeneinander geführt, waren glücklich oder unglücklich gewesen. Und dann war das Ende gekommen; schnell, wahrscheinlich zu schnell, als daß noch irgendeiner überhaupt etwas von dem Unheil spürte, das plötzlich über sie hereinbrach, war die Sonne mit einem einzigen brüllenden Schlag vom Himmel gestürzt, hatte Combat in Brand gesetzt und dieses Land getötet...