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Sie waren weniger als zwei Stunden geritten - die Glasebene hatte sich nicht, wie es am Abend zuvor erschienen war, meilenweit dahinerstreckt, sondern war bereits nach wenigen hundert Schritten wieder in den zerborstenen Boden Tuans übergegangen - als El-tra plötzlich die Hand hob und sein Pferd mit einem harten Ruck zum Stehen brachten.

Skar sah diesmal gleich, was die Aufmerksamkeit des Sumpfmannes erregt hatte. Vor ihnen, in einer Entfernung, die durch die wehenden Staub- und Schneeschleier nicht zu schätzen war, bewegte sich ein verwaschener grauer Fleck über den Horizont. Manchmal brach ein verirrter Sonnenstrahl durch die wirbelnde grauweiße Decke über ihren Köpfen und spiegelte sich in Metall, und als sie weiterritten und näher kamen, erkannte Skar, daß es ein Pferd war. Nicht irgendein Pferd - was schon ungewöhnlich genug gewesen wäre -, sondern eines der gleichen schwarzen gepanzerten Tiere, auf denen sie selbst ritten.

El-tra gab ihnen zum zweiten Mal das Zeichen, zurückzubleiben, und galoppierte in scharfem Tempo los. Skar folgte ihm, während Gowenna und der Bruder des Sumpfmannes ohne ein weiteres Wort der Verständigung zurückblieben. Skar hatte sich allmählich an den Gedanken gewöhnt, daß die beiden Männer aus Cosh nicht unbedingt miteinander reden mußten, um sich zu verständigen. Trotzdem irritierte ihn diese wortlose Art der Kommunikation immer wieder, sooft er sie erlebte.

Eine Weile schien es, als würden sie sich ihrem Ziel überhaupt nicht nähern, obwohl sie schneller ritten, als bei dem erschöpften Zustand ihrer Pferde im Grunde zu verantworten war. Dann wieder kam das fremde Pferd mit einem Ruck näher oder verschwand ganz hinter wallenden Nebel- und Schneewolken. Auch Entfernung schien in diesem Land nicht unbedingt dasselbe zu sein wie dort, wo sie herkamen. Sie trennten sich, kurz bevor sie das Pferd erreichten - Skar galoppierte weiter geradeaus, wenn auch langsamer, darauf zu, während El-tra einen weit geschwungenen Bogen in westlicher Richtung schlug, um einem eventuellen Hinterhalt auszuweichen. Trotzdem kamen sie nahezu gleichzeitig bei dem Tier an.

Skar tauschte einen raschen Blick mit El-tra; der Sumpfmann schüttelte den Kopf. Er hatte niemanden gesehen, nichts, was auf eine Falle hindeutete. Mit einer raschen Bewegung beugte er sich im Sattel vor, griff nach den Zügeln des fremden Pferdes und bog seinen Kopf zu sich herum. Es stampfte einen Moment unruhig mit den Hinterläufen, beruhigte sich dann aber erstaunlich schnell und ließ es zu, daß El-tra seinen Nacken- und Kopfpanzer löste und die schweren Lederplatten abnahm.

Skar erschrak, als er das Tier sah. Es war am Ende. Die steinharten Kanten der Panzerung hatten tiefe, eiterige Linien in sein Fell gescheuert; seine Augen waren trüb und glanzlos, und vor seinem Maul stand grauweißer, flockiger Schaum. Seine Nüstern zitterten, dünne, halb eingetrocknete Blutfäden rannen aus seinen Augenwinkeln und den Ohren. Skar begriff plötzlich, warum das Tier nicht vor ihnen geflohen war - es hatte einfach nicht die Kraft dazu gehabt. Eigentlich war es ein Wunder, daß es noch lebte.

Er sah auf. El-tras Hand lag in einer beruhigenden Geste zwischen den Ohren des Tieres, aber sein Blick irrte über die Ebene im Süden. »Dieses Pferd hatte einen Reiter«, sagte er.

Skar nickte. »Sicher. Aber sieh es dir doch an - es kann seit Tagen herrenlos hier herumirren.«

El-tra schüttelte überzeugt den Kopf. »Er ist hier«, murmelte er. »Ich weiß es. Dort.« Er löste die Hand mit einer bedächtigen Bewegung vom Kopf des Tieres und deutete nach Süden, dorthin, woher die Spuren des Pferdes kamen, Spuren, die nur hier und da als einzelner Hufabdruck in einem Häufchen pulverisierten Glases oder als halbrunder Riß im porösen Grün des Grundes sichtbar waren und trotzdem in dieser Einöde auffielen, als wären sie mit Leuchtfarbe gemalt. Skar widersprach nicht - er hatte ihr gemeinsames Erlebnis vom vergangenen Abend nicht vergessen, und das Gefühl, beobachtet zu werden, war noch immer da.

Er nickte, drängte sein Tier herum und zögerte noch einmal. »Was ist mit ihm?« fragte er mit einer Kopfbewegung auf das herrenlose Pferd.

El-tra schwieg einen Moment und zog dann sein Schwert unter dem Mantel hervor. Skar wandte sich ab. Der Sumpfmann hatte natürlich recht - sie hatten weder die Zeit noch die nötigen Mittel, um sich um das Tier zu kümmern; wenn sie es versorgten, würden sie seine Qual nur verlängern. Trotzdem schien sich in ihm etwas zu verkrampfen, als er den schneidenden Laut und den dumpfen Aufprall des schweren Körpers hörte. Er liebte Tiere, Pferde vor allem. Er war zu oft in Situationen gewesen, in denen sein Überleben einzig und allein von der Schnelligkeit und Treue seines Pferdes abgehangen hatte. Dazu kam, daß er Pferde fast mehr achtete als die meisten Menschen, die er kannte. Ein Tier - und ganz besonders ein Pferd - war ehrlich. Er hatte noch nie ein Pferd kennengelernt, das ihn betrogen hätte.

Sie galoppierten weiter, schneller als zuvor, obwohl es eigentlich keinen Grund zu solcher Eile gab. El-tra deutete auf eine Ansammlung flacher schwarzer Ruinen, ähnlich denen, in deren Schutz sie übernachtet hatten, und wich erneut in westlicher Richtung aus, um sie zu umgehen und sich ihnen von hinten zu nähern - ein im Grunde lächerliches Unterfangen, denn es gab auf der vollkommen flachen Ebene keinerlei Deckung. Aber Skar hätte auch dann nicht protestiert, wenn er noch die Energie dazu gehabt hätte.

Er ritt langsamer und ließ sein Tier die letzten hundert Fuß im Schrittempo gehen. Sein Blick tastete aufmerksam über die geschwärzten, runden Buckel, die wie steinerner Ausschlag aus dem grünlichen Glas Tuans wuchsen. Der Schneesturm hatte kleine, weiße Dreiecke in Winkeln und unter Kanten zurückgelassen und die Spuren des Pferdes - wenn es jemals hier gewesen war - längst verweht. Er stieg aus dem Sattel, schlug seinen Mantel zurück und zog das Tschekal aus der Scheide. Vorsichtig, immer wieder nach rechts und links sehend, stieg er über die kaum wadenhohe erste Mauer und drang tiefer in das steinerne Labyrinth ein. Das Feuer schien hier nicht mehr mit der gleichen Urgewalt zugeschlagen zu haben wie weiter im Norden - da und dort waren ganze Wände stehengeblieben oder wenigstens nur geringfügig beschädigt worden, an anderen Stellen brachen die dunklen Linien der Grundmauern plötzlich ab und verschwanden in runden, schimmernden Teichen, in denen der Sand wie Wasser gekocht haben mußte, ehe er zu Glas erstarrte.

Skar drang etwa zwanzig Schritte in das steinerne Labyrinth ein, ehe er stehenblieb und sich vorsichtig aufrichtete. Von El-tra war keine Spur mehr zu sehen; er mußte mittlerweile die Rückseite der Ruine erreicht haben und näherte sich nun von dort. Dann hörte er das Geräusch. Es wehte mit der Stimme des Windes zu ihm herüber, leise und kaum wahrnehmbar, aber Skars angespannten Sinne nahmen es trotzdem auf: ein leises Schaben, das Geräusch von Leder und Eisen, die über glasierten Stein schrammten, dazwischen etwas wie Schritte. Skar drehte sich einmal im Kreis. Die Ruine war leer bis auf den nie endenden Tanz von Licht und Staub, und von Zeit zu Zeit schien ein lautloses Grollen durch den Boden zu laufen. Skars Hand krampfte sich fester um das Schwert, während er sich einem der weniger zerstörten Teile des Gebäudes näherte. Er hörte das Geräusch nicht noch einmal, aber er wußte auch so, daß er sich diesmal nicht getäuscht hatte.

Gebückt duckte er sich unter einem niedrigen, halb zerschmolzenen Torbogen hindurch. Ein Schatten lag auf dem glasierten Boden dahinter, der verzerrte, graue Schatten eines Menschen ... Seine eigenen Reaktionen spielten ihm einen Streich. Er dachte nicht mehr, sondern handelte, kaum mehr Mensch, sondern ein einziger, blitzartiger Reflex. Sein Schwert zuckte hoch, beschrieb einen rasenden Halbkreis und prallte mit vernichtender Wucht gegen El-tras Klinge. Der Schlag war so gewaltig, daß der Sumpfmann drei, vier Schritte weit zurücktaumelte und mit einem unterdrückten Schmerzenslaut seine Waffe fallen ließ.