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Skar blieb mitten in der Bewegung stehen, ließ das Tschekal sinken und starrte El-tra mit einer Mischung aus Verblüffung und Schrecken an. Der Sumpfmann hatte sich wieder gefangen und sein Schwert aufgehoben, schien aber nicht minder überrascht zu sein als Skar. Sein Schattengesicht kochte.

»Ich ...«, murmelte Skar verwirrt, »Verzeih. Ich sah nur einen Schatten und -«

Er brach ab, schob sein Schwert mit einer linkischen Bewegung in die Scheide zurück und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er hätte sich selbst ohrfeigen können - ein Fehler wie dieser war ihm noch nie unterlaufen. Hätte hinter der Mauer statt des Sumpfmannes ein normaler Mensch gestanden, wäre er jetzt tot. Nicht einmal die Reaktionen eines Satai wären schnell genug gewesen, den blitzartigen Hieb aufzufangen oder ihm auszuweichen.

»Es tut mir leid«, sagte er noch einmal.

El-tra winkte ab. »Schon gut«, murmelte er. »Aber du solltest besser auf dich selbst achtgeben.«

Skar nickte. Jeder andere hätte ihn jetzt mit Vorwürfen überhäuft, aber die ruhige, selbstverständliche Art, mit der der Sumpfmann den Zwischenfall abtat, traf ihn fast härter. Er war froh, als El-tra sich umwandte und ohne ein weiteres Wort zurück in die Richtung ging, aus der er gekommen war.

Sie überquerten einen flachen Innenhof, gingen durch eine beinahe unbeschädigt gebliebene Galerie und betraten schließlich einen trapezförmigen, an einer Seite offenen Raum, der wohl einmal Teil eines weitaus größeren Gebäudes gewesen sein mochte, jetzt jedoch als einziges Zeugnis einstiger Größe übriggeblieben war. Auch hier hatte der Sturm weiße Dünen aus Pulverschnee abgeladen und die zerborstenen Mauern mit einem schimmernden Panzer überzogen, aber im Gegensatz zu dem Teil der Ruine, den Skar bisher zu Gesicht bekommen hatte, war die Schneedecke zertrampelt und mit dunklen Flecken von Unrat und Schmutz besudelt.

In einem geschützten Winkel dicht neben dem Eingang lag ein Mann. Er war tot, das sah Skar sofort. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht tief im weichen Schnee vergraben, die Hände blau und an den Fingerspitzen schwarz angelaufen, erfroren, zu Krallen verkrümmt, die sich tief in den Schnee gewühlt hatten, flache, blutige Krater hinterlassend. Seine Kleider waren schwarz, oder waren es einmal gewesen, bevor er sie in einem vielleicht Tage währenden Todeskampf mit Blut und seinem eigenen Schmutz besudelt hatte. Skar tauschte einen fragenden Blick mit El-tra, aber der Sumpfmann zuckte nur die Achseln. Er mußte den Toten gefunden und sofort weitergegangen sein, um Skar zu rufen.

Skar kniete zögernd neben dem Leichnam nieder. Er mußte schon lange tot sein; Tage, wenn nicht Wochen, aber die eisige Luft und der Schnee hatten den Moment seines Todes festgehalten, und Skar glaubte in seinen gebrochenen, weit aufgerissenen Augen noch die Mischung aus Unglauben und Schrecken zu lesen, die ihn überkommen hatte, als er begriff, daß er starb. Er zögerte, beugte sich dann vor und drehte den Toten auf die Seite. Die steifen, gleichermaßen von Totenstarre wie von Kälte gelähmten Glieder ließen den Leichnam zu einer grauenhaften Skulptur werden, und Skar lockerte unwillkürlich seinen Griff, als hätte er Angst, die steifen Glieder könnten bei einer zu heftigen Berührung wie sprödes Glas brechen.

El-tra kniete nieder und fuhr prüfend mit der Handfläche über den Brustpanzer des Toten; es knirschte; Metall auf Glas, nicht Fleisch auf Leder oder Eis.

Es war das erste Mal, daß Skar Gelegenheit hatte, sich einen der Krieger wirklich in Ruhe anzusehen. Es war einer von Velas Reitern, darin bestand kein Zweifel - der gleiche hochgewachsene, kräftige Typ, den die Errish für ihre Privatarmee zu bevorzugen schien, der gleiche schwarze Panzer aus Leder und hineingearbeitetem Metall, die gleiche durchbrochene Gesichtsplatte, jetzt zur Seite gerutscht und von verkrustetem Eis und Blut zu einer bizarren Larve geworden, die ihren Träger noch im Tod zu verspotten schien. Trotzdem hatte Skar das Gefühl, zum ersten Mal bewußt einen der Krieger zu sehen; während des Kampfes hatte er keine Gelegenheit gehabt, sie genau zu studieren, und als er am nächsten Morgen erwacht war, hatten die beiden Sumpfmänner die Toten längst begraben. So fiel ihm auch der bizarre Schnitt ihrer Kleidung und die außergewöhnliche Form der Waffen erst jetzt wirklich auf. Der Mann trug einen Panzer, einen Lederharnisch ähnlich dem, den auch die Satai trugen, wenn sie in den Kampf zogen, nur daß er seinen ganzen Körper einhüllte und sich die einzelnen Platten an den Kanten überlappten, so daß kaum ein Quadratzentimeter seiner Haut - einschließlich des Gesichts - ungeschützt blieb.

Aber der Panzer hatte ihm nichts genutzt, dachte Skar mit einem seltsamen Gefühl der Trauer. Er war auf einen Feind gestoßen, dem Rüstungen und Waffen keinen Widerstand entgegenbrachten. Im Gegenteil - der zentnerschwere Lederharnisch hatte seine Kräfte noch schneller versiegen und ihn eher sterben lassen.

El-tra zog seine Hand zurück und betrachtete erst die Knöchel, dann das Gesicht des Toten. »Zehn Stunden«, sagte er ruhig. »Eher weniger.«

Skar begriff nicht gleich. »Was meinst du?«

»Er ist seit zehn Stunden tot«, wiederholte El-tra. »Allerhöchstens. Aber es hat lange gedauert, bis er starb.«

Skar sah verirrt auf das eisverkrustete Gesicht des Soldaten hinab. Die Augen waren weit geöffnet und schienen ihn klagend anzusehen; dünne, glitzernde Eiskappen hatten sich wie Nickhäute über seine Augäpfel gelegt. Das Feuer Combats spiegelte sich darin.

»Aber das ist unmöglich«, widersprach er. »Wir sind mehr als zwei Tage unterwegs, und ...« Er brach ab, als ihm klar wurde, was El-tras Worte bedeuteten. Noch einmal sah er zu dem toten Krieger hinab, und diesmal schien die Gestalt nicht mehr Schmerz und Leid, sondern eine stumme Drohung auszustrahlen.

»Du meinst...«

»Ich meine nichts«, unterbrach ihn El-tra. »Ich sage nur, daß dieser Mann seit längstens zehn Stunden tot ist. Aber sein Tod kann Tage gedauert haben.«

»Zehn Stunden«, murmelte Skar. »Das würde bedeuten, daß sie den gleichen Weg genommen haben wie wir. Direkt über die Ebenen. Und damit...«

»Wissen wir, wo ihr Versteck ist«, beendete El-tra den Satz, als Skar nicht weitersprach. »Irgendwo hier.«

»Irgendwo ...« Skar hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Das Irgendwo, von dem El-tra so selbstverständlich sprach, bedeutete ein Gebiet von dreihundert Meilen Länge und gut zweihundert Meilen Breite. Selbst wenn sie davon ausgingen, daß Vela und ihre Reiter den gleichen Weg wie sie genommen hatten, nämlich direkt nach Süden, lag vor ihnen noch immer ein Areal, das groß genug war, daß man jahrzehntelang hindurchstreifen konnte, ohne auch nur die geringste Spur der Errish zu finden. »Wir hätten gleich darauf kommen können«, murmelte er, eher wütend als überrascht. »Sie kann mit ihrem Drachen kaum über die Berge gekommen sein.«

»Sieh dir die Rüstung an«, sagte El-tra. Er wies mit einer knappen Geste auf den Brustschild des Toten, und Skar erkannte, was er meinte. Der Krieger war ein Mensch, irgendein armer Teufel vermutlich, der gleich Skar und Del in das Netz der Errish gegangen war und noch viel weniger wie sie eine Chance gehabt hatte, sich ihrem Einfluß zu entziehen. Aber seine Rüstung war nicht für einen Menschen gedacht. Sie war zu groß, zu schwer und in Form und Funktion einem Körper angepaßt, der nur ungefähr menschliche Proportionen haben konnte. Seine Kanten waren nachträglich beschnitten und mit dünnen Metalleisten begrenzt worden, und die metallenen Ösen, an denen die Halteriemen befestigt waren, hatte man mehr mit grober Gewalt als mit Geschick eingefügt. Und was für den Brustschild galt, traf auch auf die übrigen Teile der Rüstung zu: Rücken- und Beinkleider, selbst die Armschienen und Gelenkschützer waren mit großer Mühe bearbeitet und geschliffen worden, aber das Ergebnis sah ganz so aus, als hätte ein Kind versucht, die Rüstung eines Riesen auf seine Körpermaße zu stutzen. Und Skar erkannte auch, was der Sumpfmann ihm wirklich hatte zeigen wollen: Der Schnitt der Rüstung war der gleiche, den sie in dem verschütteten Kellerraum im Norden gesehen hatten. Der Mann trug eine verkleinerte Ausgabe des Panzers, den der schwarze Gigant getragen hatte.