Выбрать главу

Skar sah auf. Die Unsicherheit war aus Gowennas Stimme gewichen und hatte wieder der alten Überheblichkeit Platz gemacht. Er hatte sie mit seinem Angriff überrascht, aber dieser Zustand hätte nicht lange angehalten. Für einen Moment hatte er sie in eine Ecke gedrängt, aber eine zweite Chance würde sie ihm nicht geben.

»Was wäre das?«

»Daß du mich begleiten wirst«, sagte Gowenna kühl. »Daß du bei mir bleiben wirst, bis wir sie gefunden haben. Du hast recht - ich hätte dir sagen können, wo wir Vela finden, und es hätte nichts geändert. Du suchst Del, und wo Del ist, ist auch Vela. Wir kommen entweder gemeinsam zum Ziel oder gar nicht.«

»Vielleicht«, gestand Skar. »Aber das bedeutet nicht, daß ich dir helfen werde. Ein Begleiter muß nicht unbedingt ein Verbündeter sein.«

Gowenna machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es reicht, wenn du da bist, Skar.«

Skar setzte zu einer wütenden Entgegnung an, beließ es aber dann bei einem ärgerlichen Achselzucken. Er hätte es besser wissen müssen. Er kannte Gowenna lange genug, um erkennen zu können, daß er nicht der Mann war, es mit ihr aufzunehmen. Sie hatte zu viel von Vela gelernt. Für einen kurzen Moment hatte er ihre Deckung durchbrochen, aber die Mauer war wieder da, und sie erschien ihm rätselhafter als zuvor.

»Warum?« fragte er, aber diesmal tat er es in verändertem, fast resignierendem Tonfall. »Warum das alles? Seit wir zusammen sind, hast du mich belogen, und dort, wo du nicht gelogen hast, hast du mir Dinge verschwiegen und mich mit Halbwahrheiten abgespeist. Es ist nicht das erste Mal, daß wir dieses Gespräch führen, und -«

»Und es wird nicht das letzte Mal sein«, unterbrach ihn Gowenna, »wenn du weiter versuchst, mit dem Kopf durch die Wand zu brechen, statt mir zu vertrauen. Ich bin nicht dein Feind, Skar. Ich bin es nie gewesen und bin es auch jetzt nicht.«

Skar schürzte wütend die Lippen. »Was bist du dann?« fragte er. Aber der beißende Spott, den er in seine Stimme legte, verfehlte seine Wirkung.

»Muß ich dich wirklich daran erinnern, daß du mir dein Leben verdankst, Skar?« fragte Gowenna ruhig. »Und nicht nur einmal. Vela gab mir den Auftrag, dich zu töten, vergiß das nicht.«

»Ich weiß«, knurrte Skar übellaunig. Er war in Gowennas Schuld, und es wäre nicht nötig gewesen, daß sie ihn daran erinnerte. Trotz allem war er noch immer ein Mann, ein Mann in einer Welt dazu, in der ihm die Beschützerrolle zugeschrieben war. Ihre Worte weckten Schuldgefühle in ihm, und in der Folge Zorn. »Aber wenn du daraus irgendwelche Ansprüche ableitest«, fuhr er gereizt fort, »wenn du glaubst, das Recht auf irgendwelche Forderungen zu haben, dann stell sie endlich. Aber hör auf, mich wie einen dummen Jungen zu behandeln. Keiner von uns weiß, ob er den morgigen Tag erlebt. Ich will aber wenigstens wissen, warum ich sterbe.«

Seine Worte erzeugten eine andere Wirkung, als er erwartet hatte. Ein rascher Schatten von Schmerz, aber auch von etwas anderem, von etwas, das er nicht beschreiben, nicht greifen konnte, huschte über Gowennas Züge. Es dauerte einen Moment, bis Skar begriff, daß es keine Reaktion auf seine Worte war, zumindest keine direkte, auf ihn bezogene Reaktion, sondern daß er irgend etwas in ihr berührt hatte, etwas, das er niemals begreifen würde. Gowenna war noch immer eine Fremde für ihn, und sie würde es auch immer bleiben.

»Wie weit ist es bis zu dieser Schlucht?« fragte er, nicht aus wirklichem Interesse, sondern nur, um das quälend werdende Schweigen zu durchbrechen.

Gowenna atmete hörbar ein; ein irgendwie endgültiger, abschließender Laut, mit dem sie einen unsichtbaren Schlußstrich unter den bisherigen Teil ihres Gespräches zog, eine Grenze, die sie beide beachten würden.

»Nicht weit«, sagte sie nach kurzem Überlegen. »Ich glaube es jedenfalls nicht. Die Reiter hatten nur wenig Wasser und kaum Nahrungsmittel mit. Ich denke, wir werden sie morgen erreichen. Spätestens übermorgen. Wenn sie überhaupt exisiert. Es ist nur eine Legende, vergiß das nicht.«

»Auch Combat war nur eine Legende«, murmelte Skar unsicher. »Ich -« Er brach ab, sah Gowenna verwirrt an und schlug hilflos die Hände ineinander. So, wie seine Gedanken in Aufruhr waren, waren es auch seine Gefühle, Verzweiflung, Schrecken und Furcht mischten sich mit Wut, Wut und einem Gefühl der Hilflosigkeit, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Er wußte, daß Gowenna ihm diesmal die Wahrheit gesagt hatte, und er glaubte auch zu wissen, warum sie ihn die ganze Zeit hingehalten und belogen hatte. Sie hatte ihn falsch eingeschätzt, versucht, seine Reaktionen im voraus zu berechnen, und die falschen Schlüsse daraus gezogen, aber das war im Grunde nichts anderes, als wie er umgekehrt bei ihr verfahren war.

Gowenna lächelte, doch es war wieder dieses seltsame, so vollends humorlose Lächeln, das er schon ein paarmal an ihr beobachtet hatte und das ihn beinahe ängstigte. »Sie hat einen Fehler gemacht, Skar«, sagte sie. »Nur einen. Einen einzigen Fehler, aber er wird tödlich sein. Sie hat geglaubt, wir würden in diesem Krater sterben oder, wenn nicht, auf dem Rückweg durch die Berge umkommen. Sie wird versuchen, diesen Fehler wieder gutzumachen, sobald sie es merkt. In gewissem Sinne hast du recht, es ist ein Spiel. Wir jagen sie, sie jagt uns.«

Skar knurrte wütend. Er fand den Gedanken ganz und gar nicht belustigend. »Und warum?« fragte er. »Sie hat, was sie wollte. Wenn es ihr wirklich nur darum geht, den Stein der Macht zu bekommen, warum läßt sie Del und die anderen dann nicht frei? Ich bin keine Gefahr für sie. Von mir aus kann sie halb Enwor erobern. Ich will Del, mehr nicht.«

Wieder zögerte Gowenna mit der Antwort, doch diesmal war es nicht Unsicherheit oder Furcht. Etwas in seiner Stimme, in der lockeren und doch angespannten Art, in der er ihr gegenüberstand, schien ihr zu sagen, daß er sie nicht mehr schlagen würde. Er hatte es getan, zweimal, und es hatte nichts genutzt. Sie wußten beide, daß er es kein drittes Mal tun würde. Mit den wenigen Worten, die sie zu ihm gesagt hatte, hatte sie ihm die Berechtigung dazu ein für allemal genommen. Er hatte die Hand gegen sie erhoben, ohne (zumindest beim ersten Mal) zu wissen, daß er die ganze Zeit unter ihrem Schutz gestanden hatte, daß ihre Lügen und Täuschungen auch dazu dienten, ihn zu schützen. Er konnte es wieder tun, aber es hätte keinen Sinn mehr. Er hätte versuchen können, die Wahrheit - die ganze Wahrheit - aus ihr herauszuprügeln, hier und jetzt, ohne Furcht vor den Sumpfleuten haben zu müssen. Aus irgendeinem Grund war er sicher, daß die El-tra ihm nichts tun würden. Seit dem Geschehen im Tempelraum von Combat waren sie mindestens ebenso seine wie ihre Beschützer. Aber er war genauso sicher, daß ihn Gewalt in diesem Fall nicht weiterbrachte. In einem Punkt waren Gowenna und er gleich wie Zwillinge: Sie fürchtete ihn, weil sie wußte, wie überlegen er ihr war, aber ihre Furcht reichte nicht so weit, sich deswegen selbst aufzugeben.

»Vielleicht hat sie einfach Angst«, sagte Gowenna nach einer kleinen Ewigkeit.

»Unsinn«, murrte Skar. Er starrte Gowennas verbrannte Gesichtshälfte an, so offen, daß sie spüren mußte, wohin er sah. »Jemand, der so etwas zu tun vermag, soll Angst vor mir haben? Das ist nicht dein Ernst.«

Gowenna hielt seinem Blick einen Herzschlag lang stand, senkte dann den Kopf und drehte das Gesicht aus dem Wind. Der Sturm trug einen Hagel winziger Eiskristalle mit sich, die sich in ihren Haaren und Brauen festsetzen und ihren Zügen einen seltsam weichen Anstrich gaben, und erneut mußte Skar an einen gefallenen Engel denken: Schönheit und Zerfall und Leben und Tod und Liebe und Haß in einem. Aber der Haß überwog. Und hieß es nicht, nichts sei grausamer und härter als ein Engel, der gestürzt ist?

»Doch, Skar. Sie hat dich nach Combat geschickt, weil du der einzige warst, der die Aufgabe überhaupt bewältigen konnte.«

»Quatsch«, widersprach Skar. »Ich habe so gut wie nichts getan. Ihr hättet diesen verdammten Kiesel auch ohne mich gefunden.«