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El-tra zügelte sein Pferd, deutete wahllos auf eine niedrige, halbrunde Mauer und winkte mit der anderen Hand seinen Bruder zu sich heran.

»Wir reiten voraus, um den Weg zu erkunden«, sagte er. »Skar und Gowenna bleiben zurück. Ruht euch aus. Vor Dunkelwerden können wir nicht weiter.«

Diesmal war es kein Vorschlag, begriff Skar, sondern ein Befehl, nicht aus einem Führungsanspruch geboren, sondern aus dem Wissen, daß dieser Weg der einzig mögliche war. Zwischen ihnen und der Schlucht lag noch immer ein zwei Meilen breiter, deckungsloser Streifen; selbst wenn sie das Letzte von ihren Pferden verlangten, war er zu breit, um die Wächter der Brücke - wenn es sie gab - noch überraschen zu können. Skar stieg kommentarlos aus dem Sattel, führte das Pferd in einen windgeschützten Winkel und hockte sich erschöpft auf den Boden. Gowenna unterhielt sich leise mit einem der Sumpfmänner, aber Skar hätte auch nicht hingehört, wenn er ihre Sprache verstanden hätte. Mit einem Mal schlug die Müdigkeit mit aller Kraft zu; eine bleierne, eisige Decke, die sich auf ihn herabsenkte und seine Glieder lähmte. Sie waren einen Tag, eine Nacht und einen weiteren halben Tag unterwegs gewesen, und er spürte plötzlich jede Meile, die sie zurückgelegt hatten.

Die beiden Sumpfmänner verschwanden, und er blieb allein mit Gowenna zurück. Sie sprachen nicht miteinander; nicht aus Feindschaft oder Furcht, sondern einfach, weil es nichts zu bereden gab. Die unzähligen Stunden angespannten, lauernden Schweigens, die zwischen ihnen und dem Felstrichter, in dem ihre Odyssee begonnen hatte, lagen, hatten alles ausgedrückt, was sie hätten sagen können.

Er schloß die Augen, lehnte sich müde mit dem Rücken gegen den glasierten Fels und lauschte in sich hinein. Aber auch in ihm war nur Schweigen. Sein Dunkler Bruder schien fort zu sein. Er hatte ihn gespürt, einmal, aber auch da war es anders gewesen als die Male zuvor, leiser, müder - erschöpft, als hätte die dunkle Kraft, die irgendwo in ihm schlummerte, ihre gesamte Energie beim Kampf mit Del und den Söldnern verbraucht.

Irgendwann schlief er ein, trotz der unbequemen Stellung, in der er dahockte, und der Kälte, die ihn auch hier noch mit den Zähnen klappern ließ. Er war so erschöpft, daß er nicht einmal träumte, und als er später, geweckt durch Hufschlag und hektische Bewegung neben sich, die Augen aufschlug, fühlte er sich ausgeruht und frisch, als hätte er tagelang geschlafen. Trotzdem war es nur Illusion - er mochte sich im Moment stark fühlen, aber das würde nicht lange anhalten.

Skar stand auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, um den letzten Rest von Schlaf daraus zu vertreiben, und sah flüchtig in den Himmel. Die Sonne war ein gutes Stück weitergewandert und schimmerte als verzerrter, rötlicher Kreis mit zerfaserten Rändern durch die Wolken. Später Nachmittag. Er mußte sechs, sieben Stunden geschlafen haben.

»El-tra kommt zurück«, sagte Gowenna mit einer Kopfbewegung nach Osten. Sie ging mit keinem Wort darauf ein, daß er geschlafen und ihr die Last der Wache aufgebürdet hatte. Aber ihre Stimme klang müde.

Skar schlug seinen Umhang zurück, trat neben Gowenna und lauschte. Der Hufschlag kam rasch näher, und schon nach wenigen Augenblicken erschien einer der Sumpfmänner, tief über den Hals seines Pferdes gebeugt, zwischen den gezackten Felsklauen der Ruinenlandschaft. »Versteckt euch!« rief er. »Die Pferde weg und dann in Deckung! Wir werden verfolgt!«

Zum ersten Mal, seit Skar mit den beiden Brüdern aus Cosh zusammen war, hörte er echte Erregung in der Stimme El-tras. Er fuhr herum, hastete zu den Pferden hinüber und führte zwei der Tiere tiefer in der Schutz der zerborstenen Mauern hinein. Gowenna ergriff den Zügel des dritten Pferdes, aber das Tier scheute, aufgeschreckt durch die plötzliche Bewegung und die Aufregung, die es mit seinen feinen Instinkten deutlicher spürte als die Menschen, stieg auf die Hinterläufe und schlug mit den Hufen aus. Gowenna brachte sich mit einem hastigen Sprung in Sicherheit, fluchte lauthals und versuchte erneut, sich dem Tier zu nähern. El-tra sprengte wortlos an ihr vorüber, bückte sich im Sattel nach dem Zügel und riß den Kopf des Pferdes mit einem brutalen Ruck herum.

»Schnell!« befahl er. »Geht in Deckung! Sie müssen in wenigen Augenblicken hier sein!«

»Wer muß hier sein?« fragte Skar, ohne sich von der Stelle zu rühren.

El-tra fuhr ungeduldig herum. »Krieger«, keuchte er. »Eure Befürchtung war berechtigt - die Brücke wird bewacht. Und sie reiten Patrouille. Zwei von ihnen verfolgen meinen Bruder. Er wird versuchen, sie hierherzulocken. Rasch jetzt!«

»Nur zwei?« wunderte sich Gowenna. »Und darum -«

»Bitte!« unterbrach El-tra sie. »Es ist keine Zeit zu reden. Sie müssen jeden Augenblick hier sein! Verbergt euch! Wenn sie die Falle erkennen und fliehen, war alles umsonst. Wir kommen niemals über die Schlucht, wenn die Wächter gewarnt sind.«

Gowenna wollte noch mehr sagen, aber Skar ergriff sie einfach am Arm und zog sie hinter sich her in Deckung. El-tra schlug seinem Pferd die Absätze in die Flanken und verschwand hinter einem Mauerrest.

Gowennas Hand glitt zum Schwert. Skar legte ihr rasch die Rechte auf den Unterarm, schüttelte den Kopf und gab ihr mit Gesten zu verstehen, in Deckung zu bleiben. Dann richtete er sich vorsichtig wieder auf, schob sich, den Rücken eng an die Wand geschmiegt, bis zum Ende ihrer Deckung und spähte nach Osten. Wieder war Hufschlag zu hören, das hektische, arhythmische Stampfen mehrerer Pferde diesmal, dazwischen ein helles Sirren, der Klang einer Bogen- oder Armbrustsehne. Ein Schauen erschien zwischen den Mauerresten, verschwand und tauchte wieder auf, verdreifacht diesmal. El-tra sprengte heran, setzte, seinem Pferd gnadenlos die Sporen gebend, über eine brusthohe Wand hinweg und wurde durch den Aufprall beinahe aus dem Sattel geschleudert. Sein Pferd scheute, stieg auf die Hinterläufe und schrie vor Schmerz und Angst.

Skars Herz schien einen erschrockenen Sprung zu machen, als er sah, wie einer der Verfolger seine Armbrust hob und auf den Sumpfmann zielte. El-tra registrierte die Gefahr im letzten Moment, warf sich zur Seite und versuchte sein Pferd herumzuzwingen. Aber so gewaltig seine Kraft auch war, das Tier war halb wahnsinnig vor Furcht und widersetzte sich ihm. Die Armbrust des Söldners entspannte sich mit einem peitschenden Knall, der Bolzen verwandelte sich in einen flirrenden Schatten, riß eine blutige Spur in den Hals des Pferdes und bohrte sich tief in El-tras Schulter. Das Tier bäumte sich auf, verlor auf dem spiegelglatten Boden die Balance und fiel mit einem schmerzerfüllten Klageruf auf die Seite. El-tra wurde in hohem Bogen aus dem Sattel geschleudert, prallte mit furchtbarer Wucht auf dem Boden auf und blieb, nachdem er sich sieben-, acht-, neunmal überschlagen hatte, reglos liegen.

Gowenna stieß einen halblauten Schreckensschrei aus. Skar machte eine hastige Geste, warf ihr einen warnenden Blick zu und lief, im Zickzack von einer Deckung zur anderen hastend, los. Er erreichte den Kampfplatz im gleichen Moment, in dem die beiden Krieger aus den Sätteln stiegen, um nach ihrem Opfer zu sehen. Seine Schritte waren zu laut, und das Gelände bot, so unübersichtlich es schien, nicht genug Deckung; die Männer waren gewarnt, lange bevor er nahe genug heran war. Einer von ihnen wirbelte herum und riß sein Schwert aus dem Gürtel, in einer Bewegung, die schnell genug war, einem Satai Ehre zu machen. Der andere griff hastig an seine Seite, nahm einen neuen Bolzen aus dem ledernen Köcher und legte ihn mit raschen, sicheren Bewegungen auf die Sehne.