Skar erstarrte. Zwischen ihm und den beiden Kriegern lagen noch fünf, vielleicht sechs Schritte. Unter normalen Umständen hätte er nicht gezögert, einen Angriff zu riskieren. Aber er war erschöpft und am Ende seiner Kräfte. Seine Reaktionen waren die eines Greises, und das Stärkegefühl in ihm täuschte. Jeder weitere Schritt wäre Selbstmord gewesen.
Die beiden Krieger schienen zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging. Der Armbrustbolzen deutete drohend auf seine Brust; der Finger des Mannes krümmte sich um den Abzug. Es war eine schwere Waffe, die fingerlange, nadelspitz geschliffene Eisenbolzen verschoß. Selbst ein Harnisch würde Skar keinen ausreichenden Schutz bieten.
»Laß die Waffe fallen, Satai«, sagte einer der Krieger. Seine Stimme klang schrill, mühsam beherrscht, aber voller Furcht. »Leg dein Schwert auf den Boden! Schnell!«
Skar gehorchte. Langsam, um die Krieger nicht durch eine zu hastige Bewegung zum Angriff zu reizen, legte er sein Schwert vor sich ab, löste die Haltespange seines Umhanges und ließ ihn von den Schultern gleiten.
»Jetzt komm her!« befahl der Mann mit der Armbrust. »Aber langsam! Und mit ausgestreckten Armen!« Sein Kamerad schob das Schwert zurück in die Scheide, nahm seine Armbrust vom Rücken und spannte sie ebenfalls.
»Die Falle war nicht schlecht«, sagte er anerkennend. »Diese Sumpfkreatur sollte uns hierherlocken, wie?« Er lächelte, aber es war nur ein Ausdruck seiner Nervosität. »Wo ist der andere?«
»Welcher andere?« fragte Skar ruhig. »Wir waren allein.« Der Finger spannte sich ein wenig mehr um den Abzug. Der Druckpunkt war erreicht. Ein winziges, nervöses Zucken noch, und die Waffe würde ihr tödliches Geschoß abfeuern. Skar spannte sich.
»Ihr seid zu dritt«, behauptete der Krieger. In seinem Gesicht arbeitete es. Die Waffe blieb starr auf Skars Brust gerichtet, aber der Blick seiner dunklen Augen irrte unstet über die Felsen hinter Skar.
»Sumpfmann!« rief er mit erhobener Stimme. »Ich weiß, daß du da bist! Hör mir zu!«
»Du solltest deine Stimme schonen«, sagte Skar gelassen. »Hier ist niemand. Nur El-tra und ich.«
»Hör zu!« fuhr der Krieger unbeeindruckt fort. »Wir haben einen von euch erledigt. Und der Satai stirbt, wenn du nicht ohne Waffen und mit erhobenen Händen herkommst. Ich spaße nicht.« Skar machte einen halben Schritt auf die beiden Krieger zu und blieb abrupt stehen, als sich nun auch die zweite Armbrust auf ihn richtete.
»Ich meine es ernst!« schrie der Mann. Unter dem Stirnschutz seines bizarr geformten Helmes perlte feiner, glitzernder Schweiß hervor. »Ich zähle jetzt bis fünf! Wenn du danach nicht hier bist, erschieße ich den Satai. Eins!«
»Hört auf! Ich komme!« El-tras Stimme kam von irgendwo hinter und neben Skar. Ein Pferd schnaubte, dann hörte Skar rasche, klirrende Schritte.
Der Ausdruck von Furcht auf den Gesichtern der beiden Männer vertiefte sich. Skar sah, wie ihre Hände zu zittern begannen, unmerklich, aber doch zu stark, als daß sie es ganz unterdrücken konnten.
»Ich gebe auf!« rief El-tra noch einmal. »Tut ihm nichts!« Die Schritte wurden lauter. Eine der beiden Armbrüste schwenkte herum und deutete jetzt auf eine Stelle hinter Skar. Ein grauer Schatten zuckte hinter den beiden Kriegern vom Boden hoch und warf sich auf sie. Skar ließ sich zur Seite fallen, rollte über die Schulter ab und war, das Schwert in den Händen, wieder auf den Beinen, noch bevor der Armbrustbolzen dort durch die Luft schnitt, wo er gestanden hatte.
Der Kampf war vorbei, bevor er bei den beiden Kriegern ankam. El-tras Fäuste hatten mit gnadenloser Kraft unter ihnen gewütet; einer der Männer lag reglos auf dem Gesicht, der andere krümmte sich stöhnend zusammen und preßte die Hände gegen den Leib. Aus seinem Mund lief Blut. Skar kniete neben ihm nieder, legte das Schwert griffbereit neben sich und drehte ihn auf die Seite. Der Mann war schwer. Skar konnte selbst durch den eisenharten Panzer hindurch fühlen, wie er zitterte. Behutsam löste er den Kinnriemen seines Helmes, zog ihn ab und berührte den Mann im Gesicht.
»Kannst du mich verstehen?« fragte er.
Die Augen hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich hektisch hin und her. Das Blut, das aus dem Mundwinkel des Mannes lief, wurde heller; schaumig.
»Er stirbt«, sagte Skar vorwurfsvoll. Er hob den Kopf, sah El-tra einen halben Herzschlag lang ausdruckslos an und beugte sich dann wieder über den Krieger. »Du hättest ihn nicht gleich töten müssen«, sagte er ruhig.
El-tra schwieg einen Moment. Seine Hand kam unter dem Umhang hervor, tastete nach seiner Schulter und spannte sich um den federbewehrten Schaft des Bolzens. Als Skar den Laut hörte, mit dem das Geschoß aus der Schulter des Sumpfmannes glitt, wurde ihm übel. An der Spitze klebte kein Blut.
Hinter ihm wurden Schritte laut, als der andere El-tra herankam. Eine Hand legte sich auf seine Schulter, leicht und doch von unendlicher Stärke erfüllt, drückte in einer kurzen, beinahe tröstenden Geste zu und schob ihn dann mit sanfter Gewalt zur Seite. Skar nahm sein Schwert, stand gehorsam auf und entfernte sich drei, vier Schritte. Die beiden Sumpfmänner knieten wortlos neben den beiden Soldaten nieder; ihre Hände legten sich auf Gesicht und Stirn der Männer.
Augenblicke lang geschah nichts. Das Stöhnen des Sterbenden wurde leise, verklang. Seine Glieder zuckten noch einmal wie unter einem letzten, knochenbrechenden Krampf, dann erschlaffte er, mit einem schnellen, endgültigen Rucken, das Skar sagte, daß er tot war.
Skar wandte sich ab. Er wußte nicht, was die beiden Männer aus Cosh da taten, und er wollte es auch nicht wissen. Es war irgend eine barbarische Zeremonie, vielleicht die Art, in der sie ihre Opfer töteten. Schlugen, dachte Skar. Plötzlich, zum ersten Mal seit Tagen wieder, wurde ihm bewußt, daß El-tra keine Menschen waren. Sie handelten anders, dachten - lebten - nach eigenen, für ihn unverständlichen Gesetzen und Regeln.
Er rammte sein Schwert in die Scheide zurück, drehte sich vollends um und ging in die Richtung, aus der er gekommen war. Hinter ihm erscholl ein spitzer, unmenschlicher Schrei.
Gowenna kam ihm entgegen, als er die halbe Strecke zurückgelegt hatte.
»Ich habe alles gesehen«, sagte sie.
Skar blieb stehen. Sein Blick mußte Zorn ausdrücken, denn sie wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück und hob in einer unbewußten, instinktiven Abwehrbewegung die Hände. »Urteile nicht, bevor du nicht alles weißt«, sagte sie hastig. »Sie hatten keine andere Wahl. Sie hätten dich erschossen, wenn El-tra sie nicht niedergeschlagen hätte.«
»O ja, und das durftest du nicht zulassen, wie?« fragte er gepreßt. »Mein Leben wiegt mehr als das zweier Unschuldiger. Verzeih, daß ich das vergaß.« Seine Stimme bebte vor Zorn. »Es war nicht nötig, sie umzubringen«, zischte er. »Wenn sie dir gehören, wie du sagst, dann hättest du sie zurückhalten können.«
»Wir mußten sie töten, Skar«, sagte Gowenna.
»Wir?« Skar hob die Hände und betrachtete demonstrativ seine Finger. »Ich habe sie nicht getötet, Gowenna. Und es war nicht notwendig. Sowenig wie das, was sie jetzt mit ihnen tun. Auch wenn ich nicht weiß, was es ist.«
»Sie sind unsere Feinde, Skar«, fuhr Gowenna eindringlich fort. »Wir konnten sie nicht am Leben lassen. Du bist ein Krieger und solltest wissen, daß man einen Feind im Rücken nicht dulden kann.«