Выбрать главу

Sie hatten etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt und wurden langsamer. Der Boden war nicht mehr eben, sondern buckelig und aufgeworfen, und da und dort durchzogen Risse wie gezackte schwarze Blitze das Eisen. Der Wind fing sich heulend in dem unsichtbaren Pfeilern über ihren Köpfen. Rechts von ihnen gähnte ein Loch im Boden, ein runder, zehn Manneslängen durchmessender Krater, unter dem das Nichts lauerte, und die Zeichen der Zerstörung wurden deutlicher, je mehr sie sich dem gegenüberliegenden Rand der Schlucht näherten.

Schließlich hielt El-tra an und deutete wortlos nach vorn. Die Brücke war hier eingestürzt, zerschmolzen wie Wachs und bis auf einen schmalen Sims vernichtet. Skar hatte plötzlich das Gefühl, als ob eine eisige, unsichtbare Hand über seinen Rücken strich - es war Angst. Der schmale, an den Rändern zerbissene Steg führte auf eine Länge von neunzig, hundert Fuß über das Nichts, ehe er sich drüben mit dem stehengebliebenen Rest der Brücke vereinigte, nicht viel mehr als fünf, allerhöchstens sechs Fuß breit. Nebel kroch aus der Tiefe empor, quoll zähflüssig wie sumpfiges Wasser über den Steg und bildete eine brodelnde Decke. Skar zwang sein Pferd mit sanftem Druck hinter El-tra auf den Steg hinaus und schloß die Augen. Die Zügel lagen lose in seinen Händen; er verließ sich ganz auf den Instinkt des Tieres, das - unruhig schnaubend und vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend - seinen Weg besser finden würde als er. Es kam ihm vor, als bliebe die Zeit stehen. Sein Herz hämmerte, und als er nach einer Weile, die ihm wie Stunden vorkam, die andere Seite erreichte, war er in Schweiß gebadet. Es war nicht der erste Abgrund, den er überschritt, und manche Wege, die er schon geritten war, waren schmaler und gefährlicher gewesen. Und ein Weg von fünf Fuß Breite war normalerweise mehr, als ein Pferd brauchte, um sicher gehen zu können. Aber dies hier war nicht irgendein Abgrund, sondern die Hellgor, und dieses Land war nicht irgendein Land, sondern Tuan. Nichts war hier normal. Nicht einmal die Furcht. Gowenna war die letzte, die wieder festen Boden erreichte. Sie zitterte, und von den Flanken ihres Pferdes troff flockiger Schweiß. Ihr Gesicht war so bleich, daß Skar es trotz der schlechten Beleuchtung erkennen konnte.

»Weiter«, sagte El-tra ungeduldig. »Wir haben das Schlimmste hinter uns.«

Skar sah nach Norden. Der schwarze Wolkenkeil war näher gekommen, und in das Kreischen des Windes hatte sich ein neuer, drohender Ton gemischt.

Sie ritten - jetzt nebeneinander - weiter und näherten sich rasch dem gegenüberliegenden Rand der Schlucht und der Brücke. Blaue Flammen krochen über den Horizont, und dazwischen glaubte Skar Bewegung und wirbelnde Schatten wahrzunehmen. Dann glomm ein winziger rötlicher Funke am Fuße der Brücke auf, verwandelte sich in einen funkensprühenden Strich und zischte zu ihnen herüber.

Skar duckte sich instinktiv, als der Brandpfeil heranjagte. Das Geschoß flog weit über ihre Köpfe hinweg und verschwand in der Schlucht, aber noch in der gleichen Sekunde glommen ein zweiter, dritter und vierter Pfeil auf. Auch sie gingen weit fehl, aber sie waren wahrscheinlich auch gar nicht dazu gedacht, zu treffen. »Verdammt!« schrie Gowenna. »Was ist das?!«

Sie brachte ihr Pferd mit einem so harten Ruck zum Stehen, daß das Tier gequält aufschrie und sie beinahe abwarf. Wieder jagte ein Pfeil heran, fiel klappernd vor ihnen auf das Eisen der Brücke und erlosch.

»Eine Falle«, sagte El-tra ruhig. »Sie haben uns erwartet.« Ohne Grund brachte die Gelassenheit, mit der der Sumpfmann die Worte aussprach, Skar in Wut. »Was heißt hier Falle?« brüllte er. »Ich denke, die Wachablösung ist erst in Tagen fällig?«

»Das ist sie auch«, gab El-tra gelassen zurück. »Das dort vorn ist keine Patrouille.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Schatten, die näher gekommen waren und allmählich menschliche Umrisse anzunehmen begannen. Zwanzig Krieger, schätzte Skar. Vielleicht mehr.

»Aber wie -«

»Ich weiß nicht, wieso sie es gewußt haben«, fiel ihm El-tra ins Wort. »Verion und Bren wußten nichts davon. Und auch die anderen nicht.«

»Aber das ist unmöglich«, sagte Gowenna verzweifelt. »Wie hätten wir die Männer so leicht überwältigen können, wenn ...« Sie schwieg plötzlich, als ihr klar wurde, was El-tras Worte bedeuteten.

»Sie haben sie geopfert«, sprach Skar den Gedanken laut aus. »Wie so viele zuvor. Glaubst du wirklich, Vela würde Rücksicht auf vier Menschenleben nehmen?« Seine Worte klangen holprig, und er redete eigentlich nur, um seine Unsicherheit zu überspielen. Es war viel zu schnell gegangen, als daß er die Situation wirklich schon hätte verarbeiten können.

»Sie kommen«, sagte El-tra.

Skar sah wieder nach Süden. Aus den Schatten waren mittlerweile Männer geworden - zwei Dutzend Krieger in den schwarzen Panzern, die sie schon kannten, angeführt von einer winzigen, gnomenhaften Gestalt in einem rote Cape. Sie kamen näher, blieben aber in respektvollem Abstand stehen, als die beiden Sumpfmänner ihre Armbrüste von den Rücken nahmen.

»Skar!« dröhnte Tantors Stimme durch den Sturm zu ihnen herüber. »Gowenna! El-tra - seid vernünftig! Widerstand ist sinnlos!«

Skar lachte rauh. »Vielleicht hat es Sinn, wenn wir dich noch mitnehmen können, Tantor!« rief er zurück. »Komm her und hol uns!«

Gowenna berührte ihn am Arm. »Das ist sinnlos, Skar«, sagte sie. »Wir müssen zurück.«

Skar sah nach oben. Der Sturm war näher gekommen, und er glaubte bereits, ein Auffrischen des Windes zu spüren.

»Wir können es schaffen«, sagte Gowenna, die seinen Blick richtig deutete. »Wenn wir schnell reiten, sind wir auf der anderen Seite, ehe der Sturm hier ist.«

Skar war nicht davon überzeugt. Aber er wußte auch, daß sie gar keine andere Wahl hatten. Die Übermacht war zu groß. Selbst wenn sie gegen die zwei Dutzend Krieger eine Chance gehabt hätten - was sie nicht hatten -, würden sie Tantor nicht überwinden. Skar hatte schon mehr als eine Kostprobe von der Magie des Zwerges bekommen.

»Jetzt fehlt nur noch Vela mit ihrem Drachen, und wir sind wieder komplett«, knurrte er. »Zurück! Aber langsam!«

»Nun?« schrie Tantor. »Habt ihr euch entschieden? Was wollt ihr? Kämpfen und sterben, oder aufgeben und weiterleben?« Skar preßte seinem Pferd die Schenkel in die Flanken und zog behutsam am Zügel. Das Tier setzte sich gehorsam in Bewegung und begann mit kleinen, trippelnden Schritten rückwärts zu gehen. Gowenna und die beiden Sumpfleute verfuhren ebenso. Skar hoffte, daß Tantor das Manöver nicht bemerkte. Die Entfernung zwischen ihnen war noch immer groß, und Dunkelheit und Nebel ließen die Sicht schlecht werden.

Die Phalanx der Krieger rückte näher, blieb aber sofort wieder stehen, als El-tra seine Armbrust hob und einen Bolzen abfeuerte. Das Geschoß fiel irgendwo auf halber Strecke zu Boden, aber die Männer verstanden die Warnung.

»Sei vernünftig, Skar!« brüllte Tantor. »In wenigen Augenblicken bricht ein Unwetter los. Ihr werdet von der Brücke gefegt! Schau um!« Skar wollte antworten, besann sich dann aber anders und drehte sein Pferd herum, als hielte er wirklich nach dem Sturm Ausschau.

Dann, ohne ein weiteres Wort, preschte er los. Gowenna und die beiden Sumpfbrüder rissen ihre Pferde im gleichen Moment herum und sprengten hinter ihm her.

Aus den Reihen der Krieger erhob sich ein halb wütender, halb überraschter Aufschrei. Bogensehnen sirrten. Ein Schatten jagte an Skar vorbei und prallte mit hellem Splittern weit vor ihm gegen das Geländer.

»Hört auf zu schießen!« dröhnte Tantor. »Wir brauchen sie lebend!« Ein zweiter Pfeil, abgeschossen, bevor der Befehl zu Ende gesprochen worden war, zischte an Skar vorüber und verschwand in der Nacht, dann zerriß das dumpfe Hämmern von hundert Pferdehufen das Heulen des Sturmes. Skar beugte sich tief über den Hals seines Tieres, preschte an Gowenna vorbei und jagte, ohne zu zögern, auf den schmalen Steg über das Nichts hinaus. Vor ihnen wirbelte der Sturm, eine kochende schwarze Wand, hinter der die Welt zu Lärm und reiner Bewegung reduziert wurde. Der Wind schlug mit eisigen Krallen nach seinem Gesicht. Skar duckte sich noch tiefer, verbarg das Gesicht in der fliegenden Mähne des Pferdes und hielt instinktiv den Atem an, bis sie auf der anderen Seite des Abgrunds angelangt waren. Die Brücke schien zu vibrieren, als Gowenna und die beiden El-tra hinter ihm über den Steg galoppierten.