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»Und warum erzählst du mir das alles?«

Tantor lächelte; es war ein seltsames, unsicheres Lächeln, das zum ersten Mal, seit Skar den Zwerg kannte, echt wirkte. »Vielleicht, weil ich selbst Angst vor ihr habe«, murmelte er. »Vielleicht, weil ich einen Verbündeten brauche.«

»Einen Verbündeten?« echote Skar. »Mich?«

»Glaubst du, es bereitet mir Freude, für sie zu arbeiten?« gab Tantor scharf zurück. »Sie zwingt mich dazu, so, wie sie dich zwingt oder Del oder jeden einzelnen dieser Krieger. Sie ist kein Mensch, Skar. Diese Frau ist eine Bestie. Sie ist zerfressen von Haß und dem Gedanken an Rache.«

Skar starrte lange und wortlos zu Boden. Es war nicht das erste Mal, daß er über Vela sprach, und irgendwie kam ihm die Situation mit jedem Augenblick absurder vor. Er hatte mit Gowenna, einem Menschen, der an nichts anderes dachte als daran, Vela zu töten, geredet, und sie hatte sie verteidigt, und jetzt sprach er mit Tantor, ihrem rechten Arm, und er bezeichnete sie als Bestie. Und irgendwie hatte er das Gefühl, daß keiner von ihnen recht hatte. »Du glaubst mir nicht, nicht wahr?« krächzte Tantor. »Du hast mit Gowenna gesprochen, und sie hat dir erzählt, wie gut und edel Vela ist, wie sanft und voller Liebe. So voller Liebe, daß sie ihr Ungeheuer auf den einzigen Menschen gehetzt hat, der ihr grenzenlos vertraute.« Er machte ein halb wütendes, halb abfälliges Geräusch, schlug die Faust in die geöffnete Linke und stieß mit dem Fuß in die Flammen. Brennende Äste und Funken stoben auseinander.

»Vielleicht hat sie recht«, murmelte er. »Vielleicht war Vela so, damals, als sie sie kennenlernte. Aber wenn, dann ist sie heute nicht mehr der Mensch, den Gowenna kannte. Sie war zu lange hier, Skar, in Tuan, und dieses Land ist böse. Spürst du deinen Atem nicht. Fühlst du nicht, wie es sich in deine Seele schleicht und sie tötet, langsam, aber unbarmherzig?« Er sah auf und machte eine weit ausholende Handbewegung, die von einem Horizont zum anderen reichte. »Die Götter haben dieses Land verbrannt, Skar, mit dem Feuer der Hölle, und sie wußten, warum sie es taten. Du hast gesehen, wozu seine Bewohner fähig waren. Du warst in Combat, und du hast die Toten Ebenen durchstreift. Sie waren Menschen mit der Macht von Göttern, aber sie zahlten dafür mit dem Verlust ihrer Seele. Und der Atem Tuans weht noch immer. Sieh dir die Krieger an. Sieh sie dir an, jeden einzelnen. Sie sind krank. Ihre Körper sind vergiftet. Sie verfaulen bei lebendigem Leib, und sie merken es nicht einmal. Und die, die fähig sind, sich davor zu schützen, verbrennen auf andere Weise. Vela hat länger hier gelebt als irgendein anderer Mensch vorher. Die Jahre, die Gowenna bei den Sumpfleuten verbrachte, verbrachte sie hier. Sie hat den Preis dafür gezahlt.«

»Hier?« sagte Skar zweifelnd.

»In der Stadt, zu der wir reiten«, knurrte Tantor. »Was glaubst du, woher sie ihr Wissen über die Alten Götter und Combat hat? Woher sie weiß, daß der Stein der Macht mehr als eine Legende ist? Vielleicht war es wirklich so, wie Gowenna dir erzählt hat, und sie kam hierher, um zu sterben, an den einzigen Ort auf der Welt, der einer Ausgestoßenen würdig ist. Aber sie fand nicht den Tod, sondern das Geheimnis der Götter.«

Tantor brach ab, erschöpft von seiner Rede und der Eindringlichkeit, die er in seine Worte gelegt hatte, und auch Skar schwieg für endlose, quälende Minuten.

»Selbst wenn du die Wahrheit sprichst«, sagte er dann, »selbst wenn alles so ist, wie du sagtest - was erwartest du von mir? Du hast selbst gesagt, sie wird Mittel finden, mich gefügig zu machen.«

»Du sollst mir vertrauen, Skar, mehr nicht«, antwortete Tantor. »Ich weiß, es ist viel verlangt, nach allem. Aber wenn du mir nicht vertrauen kannst, so vergiß wenigstens nie, welche Macht du in Händen hältst. Auch wenn es eine Macht ist, die du nicht anwenden kannst.«

»Was meinst du?«

Tantor starrte einen Moment in die Flammen, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und nahm einen Glassplitter auf, um nervös damit zu spielen.

»Du erinnerst dich an die beiden Panzerriesen?« fragte er. »Die Wesen, die El-tra und dich besiegten?«

Skar nickte. Die Giganten waren ihnen nicht weiter gefolgt, aber er würde den Anblick nie wieder vergessen können. »Was du gesehen hast, war nur ein winziger Teil der Macht, die noch immer unter dem verbrannten Gesicht dieses Landes schlummert«, sagte Tantor. »Was glaubst du, was eine Armee dieser Ungeheuer anrichten kann. Einer von ihnen, Skar, ein einziger nur, reichte, um einen Satai und einen Sumpfmann zu besiegen, die beiden gefürchtetsten Krieger, die Enwor in hunderttausend Jahren hervorgebracht hat. Nur einer!«

Skar begriff nur allmählich, worauf Tantor hinauswollte. »Du meinst, sie ... Vela könnte mehr von diesen Bestien wecken?«

»Vela?« Tantor lachte meckernd. »Du, Skar! Du hast sie geweckt, nicht Vela, nicht ich oder irgendein anderer. Du allein! Tuan ist nicht tot! Er schläft, aber der Stein der Macht ermöglicht es seinem Besitzer, seine Kräfte zu beherrschen. Und du, Skar, du hast die Macht, es zu wecken.«

Skar schloß mit einem nur halbwegs unterdrückten Stöhnen die Augen. Er begriff plötzlich - endlich -, was Tantor ihm die ganze Zeit hatte sagen wollen, und die Erkenntnis traf ihn mit der Gewalt eines Keulenhiebes. In einer blitzartigen, bizarren Vision sah er sich selbst weiter durch Tuan ziehen, in seinem Kielwasser eine Armee von Monstern und Schrecken auferstehend, die durch seine bloße Anwesenheit aus ihrem äonenlangen Schlaf geweckt worden waren. Er hatte mehr getan, als einen Schatz aus einem Tempel zu stehlen. Er hatte eine Entwicklung in Gang gesetzt, deren Ende er nicht einmal erraten konnte. Plötzlich wußte er, was Gowenna gemeint hatte, als sie sagte, es reiche vollkommen aus, wenn er bei ihr war. Er mußte nichts tun. Er mußte nur da sein, mehr nicht. Er - etwas in ihm - war der Schrei, der Tuan wachrief. Und der Stein der Macht war der Schlüssel, es zu beherrschen. »Ich habe nicht gewußt, was das Wort Macht wirklich bedeutet, bevor ich dieses Land sah«, fuhr Tantor fort. Er starrte an Skar vorbei ins Leere, und es schien ihm auch vollkommen egal zu sein, ob Skar ihm überhaupt noch zuhörte. Er sprach nicht mit ihm, sondern eher in der Art eines Menschen, der sich etwas lange, zu lange Angestautes von der Seele redete. »Weißt du, was ein Mensch anrichten kann, der die Macht hat, einem Land so etwas anzutun?!« Die letzten drei Worte schrie er. Er fuhr plötzlich herum, hieb mit der Faust auf den zu Glas geschmolzenen Boden und starrte Skar aus weit aufgerissenen Augen an. »Du willst wissen, warum ich dir das alles erzähle«, keuchte er. »Ich habe Angst, Skar. Angst vor Vela, aber noch mehr Angst vor dir.«

»Dann töte mich«, murmelte Skar. Er erschrak selbst über seine Worte, aber sie sprudelten einfach aus ihm heraus, ohne daß er etwas dagegen tun konnte, einfach deshalb, weil sie die einzig logische Konsequenz aus Tantors Worten waren.

»Töten!« Tantor lachte bitter. »Ich habe daran gedacht«, gestand er. »Lange, Skar. Es hätte auch mich das Leben gekostet, aber das spielt keine Rolle.«

»Und warum hast du es dann nicht getan?«

Wieder lachte Tantor, und diesmal klang es eher wie ein Schmerzenslaut. »Weil es nichts ändern würde, Skar«, murmelte er. Er stand auf, zog - plötzlich wieder fröstelnd - seinen Umhang enger um die Schultern und wandte sich zum Gehen. »Weil es nichts ändern würde«, sagte er noch einmal. »Gar nichts.«

11.

Kurz darauf zogen sie weiter. Skar wurde, wie zuvor, sorgfältig von den anderen abgeschirmt, und auch Tantor zeigte sich nicht mehr in seiner Nähe. Doch auch das Verhalten der Krieger, die Skar bewachten, schien sich zu ändern - vielleicht fiel ihm aber auch jetzt, nachdem Tantor mit ihm geredet hatte, das sonderbare Benehmen der Männer erst auf. Sie bewachten ihn sorgfältig, und zumindest einer, meistens jedoch mehrere, hielten immer eine gespannte und schußbereite Armbrust in Händen. Trotzdem fühlte er, daß er mehr war als ein x-beliebiger Gefangener. Keiner der Männer sprach mit ihm - so wie sie auch nicht miteinander sprachen -, aber er fühlte, obwohl er die Gesichter hinter den schwarzen Masken nicht sehen konnte, ihre halb ängstlichen, halb respektvollen Blicke, mit denen sie ihn maßen, wenn sie glaubten, er merke es nicht.