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Als es heller wurde, konnte Skar mehr von ihrer Umgebung erkennen. Die Hellgor schien mehr zu sein als ein willkürlich entstandener Riß - hier, auf dieser Seite der Höllenschlucht, bot sich Tuan dem Betrachter anders dar als hinter ihrer nördlichen Begrenzung. Der Boden war noch immer mit grünweißem, geschmolzenem Sand bedeckt, und die Ruinen zogen weiter wie stumme schwarze Wächter an ihnen vorüber, aber der glitzernde Panzer aus Glas war hier nicht annähernd so massiv wie weiter im Norden. Immer wieder passierten sie weite, flache Krater, an denen der gläserne Mantel Tuans durchbrochen war und auf deren Grund Erde und Sand - verbrannt und zu schwarzer Asche verkohlt, aber nicht mehr geschmolzen - sichtbar wurden, und manche der Ruinen schienen kaum beschädigt. Und es gab Pflanzen; jedenfalls glaubte Skar anfangs, daß es sich um solche handelte: dünne, glitzernde Büschel, die wie erstarrte Spinnweben aus dem aufgebrochenen Boden wuchsen. Erst nach einer Weile sah er, daß die Gewächse - wenn es sich um Pflanzen handelte - eine ebenso bizarre Verwandlung durchgemacht hatten wie Tuan selbst. Sie schimmerten, je nachdem, wie sich das Licht der Sonne auf ihren Oberflächen brach, grün, manchmal auch weiß oder silbern, aber sie schienen aus Glas oder einer unbekannten wasserklaren Art von Kristall zu bestehen, und als Skars Pferd einmal versehentlich auf einen der kniehohen Büsche trat, zersprangen die Blätter wie poröses Glas und zerfielen zu pulverigem, glitzerndem Staub. Skar wandte sich an einen seiner Bewacher und erkundigte sich nach den Kristallgewächsen, bekam jedoch nur ein Kopfschütteln zur Antwort. Aber die Zahl und Größe der Kristallgewächse nahm zu, je weiter sie nach Süden kamen, und schließlich waren es keine kleinen vereinzelten Büsche mehr, sondern gewaltige, baumgroße Ansammlungen schimmernder Glasdolche und -speere.

Ist es Zufall, dachte Skar, daß hier alles zu Glas und glitzernder Starre gefroren ist? Oder haben die Götter diesen Effekt beabsichtigt, um ihnen irgend etwas, irgend etwas, das sie vielleicht niemals begreifen würden, zu sagen?

Er fand keine Antwort auf diese Frage, wie auf so viele andere nicht, und nach einer Weile vergaß er sie wieder. Sie ritten nicht sehr schnell, aber stetig, nach Süden und wichen nur einmal kurz von ihrem eingeschlagenen Kurs ab, um einem mächtigen, undurchdringlich erscheinenden Wald der blitzenden Kristallbäume auszuweichen. Erst lange, nachdem die Sonne den Zenit überschritten hatte, tauchte ein Schatten vor ihnen am Horizont auf, wuchs langsam zu einem dunklen See aus Grau und Schwarz und gelegentlich aufblitzenden Lichtreflexen heran.

Skar fuhr aus dem erschöpften, schon halb schlafenden Dämmerzustand hoch, in den er im Lauf des Nachmittages verfallen war, als Tantor neben ihm auftauchte. Der Zwerg hatte sein rotes Cape gegen eine entsprechend kleinere Ausgabe der schwarzen Lederharnische ausgetauscht und unterschied sich nun nur noch in Größe und Statur von seinen Kriegern. »Wir sind da«, sagte er. »Denke daran, was ich dir gesagt habe.«

Skar sah neugierig nach vorn. Er hatte mit einer Festung gerechnet, einer zerfallenen Stadt oder einer Ansammlung gewaltiger, geborstener Türme, aber vor ihm lag ein gähnender Krater, ein rundes, wie ausgestanzt wirkendes Loch in der glitzernden Panzerhaut Tuans, wo der Boden über einen Hohlraum zusammengebrochen und so einen fast hundert Manneslängen messenden Schacht gebildet hatte. Seine Ränder waren scharf, wie abgeschnitten, und eine schräge, gut zehn Fuß messende Rampe führte in einer weit gezogenen Spirale bis zu seinem Grund hinab. Skar sah weder Wächter noch irgendein anderes Anzeichen von Leben, aber die Wände des Kraters, der sich nach unten verjüngte und in einem gewaltigen Schuttberg endete, waren mit zahllosen Öffnungen und Eingängen übersät; ein unterirdisches Labyrinth, ein gewaltiger Ameisenbau, in dem sich eine ganze Armee verbergen konnte, ohne daß man eine Spur von ihr entdeckt hätte.

»Irgendwie paßt das zu dem Bild, das ich von euch habe«, murmelte er, während er neben Tantor in die Tiefe ritt. Der Wind blieb über ihnen zurück, und es wurde merklich wärmer. Ein schwacher Geruch von Alter und Verfall wehte zu ihnen empor. »Ein Rattenloch.«

Tantor lachte leise. »Hüte deine Zunge, Satai«, sagte er amüsiert. »Sonst könnte es sein, daß dich die Ratten auffressen.« Skar schnitt eine Grimasse, schwieg aber. Er wußte nicht, ob er Tantor vertrauen konnte. All das, was der Zwerg ihm erzählt hatte, konnte wahr sein - es konnte aber auch ein weiterer Trick sein, um sein Vertrauen zu erschleichen.

»Was machst du eigentlich, wenn ich Vela von unserem kleinen Gespräch erzähle?« fragte er so leise, daß nur Tantor und nicht die vor und hinter ihnen reitenden Krieger die Worte verstehen konnten.

Tantor schwieg einen Moment. »Ich werde es leugnen, denke ich«, sagte er dann. »Obwohl es mir wohl nicht viel nutzen würde. Aber dir auch nicht. Und nun schweig. Auch diese Wände haben Ohren.«

»Wo?« fragte Skar mit einem demonstrativen Rundblick.

Tantor warf ihm einen wütenden Blick zu. »Dein Sinn für Humor ist manchmal recht eigentartig, Satai«, murmelte er. »Sieh hinunter auf den Grund des Kraters. Vielleicht dämpft das deinen Übermut ein wenig.«

Skar gehorchte. Im ersten Moment erkannte er nichts außer Bergen von Schutt und zerborstenem Fels, durchsetzt mit einem Diadem glitzernder Glasnester. Dann erkannte er, was Tantor ihm hatte zeigen wollen: Am Fuße der Rampe, flankiert von vier von Velas Kriegern, stand eine Gestalt, ein sieben Fuß großer, breitschultriger Hüne, gekleidet in einen bodenlangen schwarzen Umhang, knielange Hosen und einen knapp sitzenden Lederharnisch. Das Tschekal an seiner Seite blitzte unter den schräg einfallenden Strahlen der Sonne wie ein gefangener Lichtstrahl. Auf dem Haupt des Riesen saß ein wulstiger, stachelbewehrter Helm, aber das Gesichtsvisier war hochgeschoben, und Skar bildete sich trotz der Entfernung ein, seine Züge zu erkennen. Sein rechter Arm war bandagiert und hing in einer Schlinge.

»Nun?« fragte Tantor, nachdem Skar eine Zeitlang stumm zu der Gestalt hinabgestarrt hatte. »Du lachst ja gar nicht mehr? Wo bleibt dein Humor, Satai?«

Skars Bewegung war zu schnell, als daß selbst Tantor noch hätte reagieren können. Er fuhr im Sattel herum, riß den Zwerg mit einer spielerischen Geste hoch und hielt ihn mit ausgestreckten Armen in der Luft. »Ich habe noch mehr davon, als du glaubst«, knurrte er. »Zum Beispiel fände ich es ungeheuer komisch, dich jetzt einfach loszulassen.«

Tantor begann zu kreischen. Unter seinen strampelnden Beinen lag ein fast hundert Fuß tiefer Abgrund. Wenn Skar ihn losließ, würde er mit Sicherheit von der Rampe fallen und in die Tiefe stürzen.

»Hör auf!« keuchte er. »Du bist irre!«

Skar lachte, setzte den Zwerg mit einem schmerzhaften Ruck in den Sattel zurück und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, der ihn um ein Haar wieder vom Rücken seines Tieres geschleudert hätte. Mit einem neuerlichen, verzweifelten Kreischen krallte sich der Zwerg in der Mähne des Pferdes fest, angelte mit den Füßen nach den Steigbügeln und richtete sich mühsam auf.

»Dir werden die Scherze schon noch vergehen, Skar«, giftete er. »Rascher, als du glaubst. Warte, bis du dem Drachen gegenüberstehst.«

Skar ignorierte ihn und sah weiter zu Del hinab. Der junge Satai stand reglos wie eine Statue am Fuß der Rampe und erwartete ihr Näherkommen. In Skar krampfte sich irgend etwas zusammen, ein Gefühl, als würde eine Stahlfeder gespannt, mit jedem Schritt, den sie näher kamen, mehr. Er hatte gewußt, was ihn erwartete, und er hatte geglaubt, darauf vorbereitet zu sein. Aber wie so oft war es eine Sache, über einen Schrecken nachzudenken, und eine andere, eine ganz andere, mit ihm konfrontiert zu werden.