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Ein seltsames Hochgefühl überkam ihn, als er in den Krater hinaustrat und Velas Armee, gesattelt und bereit zum Aufbruch, vor sich sah. Für einen Moment, einen winzigen Moment nur, spürte er einen schwachen Hauch dessen, was ihm Vela hatte begreiflich machen wollen: Macht. Er fühlte, daß jeder, jeder einzelne dieser schwarzen, von Stahl und Leder gepanzerten Krieger ihm gehörte, spürte die Macht, die er mit einem einzigen Wort haben konnte. Aber dann sah er eine gebückte, in ein zerfetztes graues Gewand gekleidete Gestalt, und das Gefühl der Euphorie zerplatzte wie eine Seifenblase. Zurück blieb nur Leere. Leere und ein bitterer Geschmack auf der Zunge.

Für die Dauer eines Herzschlages kreuzten sich ihre Blicke, und als er in Gowennas Gesicht sah, spürte er, daß sie genau wußte, was geschehen war. Es war kein Vorwurf in ihrem Blick, nicht einmal Bedauern. Aber vielleicht war es gerade das, was ihn so schmerzte.

Mit einem Mal kam ihm das prächtige Gewand, das er trug, schäbig vor, und die Waffe an seiner Seite erschien ihm nur noch wie höhnischer Spott.

Er wandte sich mit einem Ruck um und ging zu dem Pferd, das zwei der Krieger für ihn bereithielten. Wie auf dem Weg hierher war er von Gowenna und den Sumpfmännern getrennt, obgleich er kaum mehr das Gefühl hatte, ein Gefangener zu sein. Er stieg in den Sattel, setzte die Füße in die wuchtigen Steigbügel und sah sich neugierig um. Weder von Vela und ihrem Drachen, noch von Del oder dem Zwerg war irgendwo eine Spur zu entdecken, und bis auf ein gelegentliches nervöses Schnauben oder Hufscharren war es beinahe geisterhaft still in dem tiefen, vom Licht der sinkenden Sonne in Blut getauchten Krater. Er versuchte einen weiteren Blick von Gowenna zu erhäschen, aber sie befand sich nahezu am entgegengesetzten Ende der abmarschbereiten Kolonne und war nicht mehr als eine winzige Gestalt zwischen den anderen.

Schließlich, ohne daß er ein Zeichen oder einen Ruf bemerkt hätte, brachen sie auf. Die Kolonne setzte sich träge wie ein gewaltiges, vielgliedriges Tier in Bewegung und kroch, nunmehr in umgekehrter Richtung, die Rampe empor.

Die Sonne berührte den Horizont, als sie den oberen Rand der Kraterstadt erreichten, aber vor der blutroten Scheibe erhob sich ein gewaltiger grauer Schatten, und der Wind brachte den Geruch von Säure und Tod mit sich.

Tantors Worte fielen ihm wieder ein: ›Es ist kein Aufbruch, sondern eine Flucht...‹ Er drehte sich im Sattel herum und sah zurück nach Norden, dorthin, wo sie hergekommen waren und wo Combats Feuer - nun unsichtbar - noch immer hinter dem Horizont loderte, und für einen ganz kurzen Augenblick glaubte er, einen winzigen hellodernden Punkt irgendwo zwischen sich und der dunstigen Linie der Berge zu erkennen. Aber als er genauer hinsah, war der Punkt verschwunden. Und Skar war sich nicht einmal sicher, ob er ihn wirklich gesehen hatte.

17.

Es war eine Flucht.

Während der nächsten vier Tage ritten sie stur weiter nach Westen, zwölf, manchmal vierzehn, fünfzehn Stunden am Tag, so lange, bis die Pferde einfach vor Erschöpfung stehenblieben und auch mit Gewalt nicht mehr dazu zu bringen waren, noch einen Schritt zu tun. Ihr Tempo wurde von dem des Staubdrachens bestimmt, und sie ritten schnell, sehr schnell. Die Bewegungen des grauen Giganten wirkten auf den ersten Blick schwerfällig, aber ein einziger Schritt seiner gewaltigen schuppigen Beine trug ihn zehn, fünfzehn Fuß weiter, und trotz seiner ungeheuren Masse schien er weder Müdigkeit noch Erschöpfung zu kennen. Dafür forderte der erbarmungslose Marsch einen um so höheren Tribut von Velas Männern; zuerst nur einer, dann mehr - fünf, zehn, vielleicht ein Dutzend - sanken entweder erschöpft aus den Sätteln oder blieben, wenn sie morgens nach einer viel zu kurzen Rast weiterzogen, einfach liegen, um zu sterben, und auch Skar spürte, wie ihn seine gerade neu gewonnene Kraft wieder verließ. Er sprach während der ganzen Zeit kein Wort mit Gowenna, El-tra, Del oder Vela - sowohl während des Rittes als auch nachts wurde er höflich und respektvoll, aber unnachgiebig, von den anderen abgeschirmt; lediglich Tantor tauchte ein paarmal in seiner Nähe auf, wechselte jedoch nur einige belanglose Worte mit ihm und beschränkte sich im übrigen auf gelegentliche verschwörerische Blicke, ein Verhalten, das Skar mehr und mehr lächerlich vorkam.

Ihre Umgebung veränderte sich zusehends. Die Ruinen wurden weniger, und oft ritten sie über weite, öde Flächen, die nur hier und da von Büschen der sonderbaren Kristallgewächse bewachsen waren. Erst am Mittag des vierten Tages - sie mußten mittlerweile an die zweihundert Meilen zwischen sich und die Hellgor gebracht haben - sah Skar einen Schatten am Horizont, der im Lauf des Tages zu einer gewellten, blitzenden Linie heranwuchs; ein ungeheurer kristallener Wald der gläsernen Büsche, ineinander verfilzt und so unübersteigbar wie eine Mauer scharfgeschliffener Säbel.

Seine Grenzen reichten weiter, als Skar sehen konnte, und die Kolonne schwenkte kurz vor ihm von ihrem Kurs ab und bewegte sich in westlicher Richtung weiter. Nicht einmal Vela mit ihrem Staubdrachen schien es sich zuzutrauen, dieses Labyrinth aus tödlichen Glasdolchen und Speeren zu durchbrechen.

Es waren vielleicht noch drei Stunden bis Sonnenuntergang, als Tantor sein Pferd neben das Skars lenkte.

»Wir nähern uns den Grenzen Tuans«, sagte er. »Bist du bereit?«

»Bereit? Wozu?«

Tantor knurrte ärgerlich. »Hör auf, den Dummen zu mimen, Skar. Wenn wir jetzt nicht fliehen, dann nie.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die schimmernde Kristallwand, an der sie in einem Abstand von weniger als einer halben Meile entlangritten. »Hinter jenem Wald liegt die Grenze zu Cosh«, sagte er. »Wenn wir es schaffen, ihn zu durchqueren, sind wir in Sicherheit.« Skar sah sich mit einem demonstrativen Blick um. Die Truppe war zusammengeschmolzen, aber sie waren noch immer eingekreist von mehr als siebzig Kriegern, Vela und ihren Drachen nicht mitgerechnet. Und sein Pferd hatte, ebenso wie die der anderen, mit Sicherheit nicht mehr die Kraft, eine vielleicht Stunden währende Verfolgungsjagd durchzuhalten.

»Dort hindurch?« fragte er zweifelnd. »Weißt du vielleicht auch einen Zauber, der uns einen Weg durch dieses Labyrinth bahnt, ohne daß wir aufgespießt und zerschnitten werden?« Er war ganz ruhig. Tantors Worte schienen ihm seltsam irreal, und obwohl er während der letzten vier Tage an fast nichts anderes gedacht hatte als daran, wie er fliehen konnte, fehlte ihm jetzt jede Beziehung dazu.

»Der Wald ist nicht so dicht, wie es scheint«, murmelte der Zwerg. »Wir werden eine Schneise erreichen, wenige Meilen weiter im Westen. Sei bereit.«

»Bereit...« Skar lachte. »Willst du Velas Staubdrachen dazu überreden, ein Schläfchen zu halten?«

»Die Sumpfmänner werden sich um das Tier kümmern«, gab Tantor zurück. »Deine Aufgabe ist es nur zu reiten, Skar. Wenn wir den Waldrand lebend erreichen, haben wir eine Chance.« Er sah Skar scharf an. »Nun?«

Skar zuckte mit den Achseln. »Es ist dein Hals, den du riskierst«, sagte er gleichmütig. »Du bist ein seltsamer Mann, Tantor - erst setzt du alles daran, mich in deine Gewalt zu bekommen, dann rettest du uns, nimmst mich wieder gefangen und riskierst schließlich dein Leben für uns.«

»Ich riskiere es nicht für euch«, widersprach Tantor. »Nenne es einen Handel, wenn es dir lieber ist. Ich helfe euch, und ihr helft mir. Aber mir scheint, du hast keine rechte Lust mehr dazu, Skar.«

»Es wird nicht klappen«, gab Skar ruhig zurück. »Vela weiß, was wir vorhaben.«