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Er hatte damit gerechnet, daß Tantor Schrecken oder wenigstens Überraschung zeigen würde, aber der Zwerg blieb ruhig. »Sie mag es ahnen«, sagte er, »aber ...«

»Sie weiß es«, beharrte Skar. »Erinnerst du dich an den Beutel, den du mir gegeben hast?« Er nahm die Hände von den Zügeln und legte die Gelenke übereinander, als wäre er gefesselt. »Für den Fall, daß sie mich in Ketten legen würde?«

Tantor nickte. »Hast du ihn noch?«

»Nein. Aber ich bin ziemlich sicher, daß Vela ihn hat. Sie ließ mir neue Kleider geben -«

»Das sehe ich«, knurrte Tantor.

»Und meine alten entfernen«, fuhr Skar beeindruckt fort.

»Sie müßte schon blind sein, ihn übersehen zu haben. Und dumm, nicht die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Leider ist sie weder das eine noch das andere.«

»Sicher nicht. Und gerade darauf baue ich. Natürlich weiß sie, daß ich euch zur Flucht verhelfen will. Sie soll es wissen.« Diesmal war Skar ehrlich überrascht.

Auf Tantors Gesicht erschien ein überlegenes Lächeln. »Du glaubst, Vela wäre die einzige, die sich darauf versteht, Intrigen zu spinnen?« fragte er. »O nein, Skar. Sie weiß, was ich vorhabe, aber der einzig mögliche Ort für eine Flucht wäre die Grenze zu Cosh, fünfzig Meilen weiter im Westen. Hier zu fliehen ist beinahe Selbstmord. Deshalb habe ich gerade diesen Ort ausgewählt. Wenn wir eine Chance haben, dann hier, wo es aussichtslos zu sein scheint.«

Skar schwieg einen Moment. »Ihr seid ein seltsames Volk, ihr Zwerge«, murmelte er.

Tantor machte ein ordinäres Geräusch. »Wir sind keine Zwerge«, sagte er. »Ihr seid Riesen. Und bevor du fragst - wir leben auf einer verbotenen Insel im Nebelmeer und verspeisen nichtsahnende Reisende, die sich an unsere Küsten wagen. Willst du sonst noch etwas wissen?«

»Ja«, antwortete Skar ernsthaft. »Wie willst du denn Gowenna und die beiden Sumpfleute mitten aus den Kriegern herausholen?«

»Laß das meine Sorge sein«, antwortete Tantor. »Achte auf den Wald. Und wenn ich dir das Zeichen gebe, dann reite, als wären sämtliche Geister Tuans hinter dir her.«

»Wer weiß«, murmelte Skar, »vielleicht sind sie es sogar.« Tantor musterte ihn mit einem seltsamen Blick, zwang sein Pferd herum und ritt ohne ein weiteres Wort zu seinem Platz am Ende der Kolonne zurück. Skar widerstand der Versuchung, sich umzudrehen und ihm nachzublicken. Noch immer erschien ihm der Gedanke, fliehen zu wollen, direkt lachhaft, vielleicht gerade weil es die einzig logische Konsequenz aus seiner Situation war. Er sah nach links und versuchte Einzelheiten hinter der Wand aus Glas und Kristall zu erkennen, die den Rand des versteinerten Waldes markierte, aber alles, was er sah, waren silberne Schatten und ein gelegentliches Blitzen, wenn sich ein Lichtstrahl tiefer ins Innere des Kristallwaldes verirrte. Tantor mochte durchaus recht haben - wenn es ihnen gelang, den Wald zu erreichen, hatten sie eine Chance. In einer Umgebung wie dieser konnten sie sich selbst gegen eine hundertfache Übermacht behaupten - wenn sie sie nicht vorher selbst umbrachte.

Er lockerte seinen Umhang, rückte ihn zurecht, daß er ihn beim Reiten nicht behindern würde, und schloß die Spangen sorgfältig wieder. Seine Hand tastete nach dem Schwert, führte die Bewegung jedoch nicht zu Ende. Er würde die Waffe nicht brauchen - nicht einmal brauchen dürfen, wenn er Erfolg haben wollte. Die Übermacht war zu groß, als daß er sich auf einen wie auch immer gearteten Kampf einlassen konnte.

Ihr Vorankommen erschien ihm plötzlich quälend langsam, und der kristallene Wald war in seiner Gleichförmigkeit so monoton, daß Skar für Momente glaubte, gar nicht vom Fleck zu kommen.

Es schien Stunden zu dauern, bis die Stelle, von der Tantor gesprochen hatte, endlich vor ihnen auftauchte. Sie sah aus wie eine halbierte Lichtung; eine gewaltige, halbrunde Bresche, an den Rändern scharfzackig ausgebrochen, als hätte ein Gigant ein Stück aus dem Wald herausgebissen. Skar sah, daß der Boden da, wo sich vorher Wald befunden hatte, aufgebrochen und geborsten war; eine Landschaft aus Kratern und jäh aufklaffenden Rissen, auf der ein Reiten beinahe unmöglich sein mußte. Tantor hatte recht, dachte er grimmig: An dieser Stelle einen Fluchtversuch zu wagen, grenzte dicht an Wahnsinn.

Er drehte sich nun doch im Sattel um und hielt nach dem Zwerg Ausschau. Tantors rotes Cape war nicht mehr als ein hüpfender Farbklecks zwischen dem blitzenden Schwarz der Rüstungen; er konnte nicht genau erkennen, was er tat, meinte jedoch eine allmählich stärker werdende Unruhe unter den Kriegern wahrzunehmen, ohne daß er diesen Eindruck im einzelnen begründen konnte.

Vielleicht spürten Menschen und Tiere auch nur, daß das Ende ihrer verzweifelten Odyssee nahte.

Die Lücke im Waldrand kam langsam näher, aber das Zeichen, von dem Tantor gesprochen hatte, blieb aus. Skar spürte nun doch eine - wenn auch nur leise - Nervosität, und er ertappte sich selbst ein paarmal dabei, wie er unsicher in die Runde blickte und Bewegungen und Position der Krieger zu seiner Linken taxierte. Ein heller, erschrockener Aufschrei ließ ihn herumfahren. Am hinteren Ende der Kolonne entstand Aufregung, Tumult. Ein Pferd bäumte sich auf, dann noch eines, irgend etwas stürzte mit dumpfem Geräusch zu Boden, und ein Mann schrie. Für einen Moment sah Skar eine graue, schattenhafte Gestalt, die in ein verzweifeltes Handgemenge mit einem Krieger verwickelt war. Dann begruben Soldaten den Sumpfmann regelrecht unter sich. Skar spannte sich.

»Noch nicht!« zischte eine Stimme neben ihm. Skar sah auf und erblickte Tantor. Der Zwerg war neben ihm aufgetaucht, ohne daß er es bemerkt hatte.

»Schöner Fluchtversuch«, sagte Skar. »War das dein phantastischer Plan?« Seine Stimme zitterte. »Sollen sich die beiden El-tra opfern, nur um ein wenig Verwirrung zu stiften?«

Tantor antwortet nicht, sondern blickte gebannt in die Richtung, in der das Handgemenge noch immer im Gange war. Aber es konnte nur noch Augenblick dauern. Skar wußte aus eigener schmerzhafter Erfahrung, wie stark die beiden Brüder aus Cosh waren, aber gegen eine dutzendfache Übermacht hatten nicht einmal sie eine Chance.

Verzweifelt sah er sich um. Ihr Vormarsch war ins Stocken gekommen, aber der Kordon aus Kriegern hatte sich eher noch enger um ihn und den Zwerg zusammengezogen.

Der Boden dröhnte, als Velas Staubdrachen kehrtmachte und mit weit ausgreifenden Schritten zurückpreschte. Das Ungeheuer stieß einen gellenden Schrei aus; die Krieger spritzten auseinander, um dem herantobenden Koloß Platz zu machen; eine schwarze Flut, die sich vor dem grauen Giganten teilte.

»Aufhören!«

Velas Stimme übertönte für einen Augenblick selbst den Tumult, der dem fehlgeschlagenen Fluchtversuch der beiden Sumpfmänner gefolgt war. Skars Hände krampften sich um die Zügel, als wolle er sie zerreißen.

Er versuchte, Gowenna irgendwo in dem chaotischen Durcheinander zu erkennen, aber es war sinnlos.

»Noch nicht«, flüsterte Tantor. Seine Stimme klang gehetzt, beinahe beschwörend. »Jetzt noch nicht, Skar. Warte.«

Der Drachen hatte den Kampfplatz erreicht und blieb mit einem wütenden Trompeten stehen. Die letzten Krieger flohen, zogen sich - bis auf die, die die beiden El-tra aus den Sätteln gerungen hatten und nun am Boden festhielten, aus der unmittelbaren Nähe des geschuppten Giganten zurück. Der Drachen schien die Aufregung, die um ihn herum herrschte, zu spüren. Sein Schwanz peitschte nervös, riß Glassplitter und Staub aus dem Boden und trieb die Soldaten noch weiter zurück. Seine ungeheure Größe verlieh seinen Bewegungen etwas trügerisch Langsames, aber Skar sah, daß Vela Mühe hatte, sich im Sattel zu halten.

»Hört sofort auf!« schrie sie. Wieder schüttelte sich der Staubdrachen, eine Bewegung, die Vela um ein Haar aus dem Sattel geschleudert hätte. Ein röhrender, ungeheuer, lauter Schrei drang aus seiner Brust und ließ die Männer ringsum aufstöhnen.