»Ich glaube nicht, daß du meinen Preis bezahlen kannst«, sagte er schließlich. »Wir Satai sind teuer, weißt du?«
»Dann schließen wir einen Handel - du bringst mich zu ihr, und ich helfe dir, Del zu befreien.«
Skar schüttelte den Kopf. »Es geht nicht mehr darum, Gowenna«, sagte er sanft. »Vertrauen. Das Wort heißt Vertrauen.« Gowenna ließ den brennenden Zweig sinken. Die Flamme erlosch mit leisem Zischen, und für einen Moment wurde es still, ganz still, als hätte selbst der unermüdlich tobende Sturm für einen Augenblick innegehalten. Die Dunkelheit schien sich um sie herum zu verdichten; ein Mantel aus Schweigen und Schwärze, der sie zu ersticken drohte. Skar spürte, daß seine Worte sie getroffen, schmerzhaft getroffen hatten, härter und vielleicht brutaler als die Schläge, die er ihr versetzt hatte. Sie hatte all das, was er mit diesen fünf Worten ausgedrückt hatte, bereits selbst begriffen. Sie hatte zwei Tage Zeit gehabt, zu überlegen, und was immer er zu ihr sagen würde - sie war intelligent genug, es schon im voraus zu wissen. Er hatte nur das Messer in der Wunde herumgedreht. »Gut«, murmelte sie nach einer Weile. »Was willst du wissen?« Skar schüttelte erneut den Kopf. »Eine Menge, Gowenna, aber nicht auf diesem Weg. Ich will dir nicht weh tun, aber -«
»Du brauchst keine Rücksicht auf mich zu nehmen, Satai«, unterbrach ihn Gowenna. Ihre Stimme klang plötzlich verändert: ruhiger, noch immer schrill und mühsam, aber auch gleichzeitig von einer Entschlossenheit erfüllt, die ihn aufhorchen ließ. »Ich weiß, was du sagen willst. Ich habe dich belogen und getäuscht, so wie es Vela mit mir getan hat, und ich habe so wenig Recht, Vertrauen von dir zu verlangen, wie sie es umgekehrt von mir hätte. Ich kann dich nur bitten. Frage mich, und ich werde dir antworten.«
»Du begreifst noch immer nicht, Gowenna«, erwiderte Skar. »Was du mir anbietest, ist kein Vertrauen. Du vertraust mir, solange du es mußt, nicht? Im Moment brauchst du mich, vielleicht auch nur mein Schwert.«
Gowenna sog scharf die Luft ein und setzte dazu an, etwas zu erwidern, aber Skar sprach schnell und mit erhobener Stimme weiter: »Ich weiß nichts von dir, Gowenna, gar nichts. Ich weiß nicht, wer du bist und wo du herkommst, ich weiß nichts über deine beiden Begleiter, ich weiß nichts über Vela. Ich weiß nicht einmal, was dieser verdammte Stein in Wirklichkeit ist.«
»Aber ich bin bereit, dir diese Fragen zu beantworten!«
»Jetzt, ja. Jetzt, wo du mich brauchst. Aber das ist es nicht, was ich wollte. Du hast mich nicht verstanden, Gowenna. Der Preis eines Satai ist hoch, doch er ist nicht unbedingt in Gold zu messen. Was ich verlange, ist Ehrlichkeit.«
»Und wie hoch«, fragte Gowenna nach einer Weile, »ist der Preis einer Errish, Skar?«
Skar war für einen Moment verwirrt. »Wie ... meinst du das?«
»So wie ich es sage, Satai. Wie hoch ist der Preis einer Errish? Du hast mich einmal als schwertschwingende Amazone bezeichnet, und ich habe dich in dem Glauben gelassen, wirklich nicht mehr zu sein, aber das stimmt nicht.«
»Du -«
»Ich habe niemals die Ehrenweihe aus der Hand der Großen Mutter empfangen, wenn es das ist, was du wissen willst«, fuhr Gowenna fort. »Aber das macht keinen Unterschied. Nicht wirklich. Ich weiß alles, was auch Vela weiß, alles, was eine Errish weiß, und vielleicht mehr. Wie würdest du einen Mann bezeichnen, der zehn Jahre an deiner Seite geritten ist und dem du alles beigebracht hast, was du weißt, Skar? Wie würdest du«, fügte sie hinzu, als sie Skars Zögern bemerkte, »Del bezeichnen, wäre er, wie er ist, ohne jemals der Kaste der Satai beigetreten zu sein? Er wäre noch immer Satai.«
»Nun«, sagte Skar unsicher, »äußerlich sicher nicht, aber -«
»Ich rede nicht von Äußerlichkeiten, Skar«, fiel ihm Gowenna ins Wort. »Sieh mich an. Sieh dir mein Gesicht an. Es ist zerstört, und es wird nie wieder so werden, wie es war. Bin ich deshalb weniger Frau als zuvor?«
Skar schwieg betroffen. Die Art, in der Gowenna sprach, war unfair, aber vielleicht hatte sie keine andere Wahl mehr, als mit allen Waffen zu kämpfen, die ihr geblieben waren. Er fühlte sich in immer stärkerem Maße in die Enge getrieben, verunsichert. Er begann zu begreifen, worauf Gowenna hinauswollte, aber es war so wie bei seinem ersten Gespräch mit Vela, damals in Ikne. Er wußte genau, was Gowenna sagen würde, ahnte jedes Wort im voraus, aber er war trotzdem wehrlos dagegen. Es war ein Kampf mit Waffen, die er nicht beherrschte. Ein schwaches Gefühl von Zorn glomm in ihm auf, erlosch aber sofort wieder.
»Ich verlange kein Vertrauen von dir, Skar«, fuhr Gowenna fort. »Ich bin nicht in der Lage, überhaupt etwas zu verlangen. Ich werde dir alles sagen, was du wissen willst, und du selbst kannst entscheiden, was du mit diesem Wissen anfängst.«
Wäre er nicht so erschöpft gewesen, hätte er gelacht. Es war ein so billiger psychologischer Trick, und doch ein wirkungsvoller. Sie bot ihm nichts anderes an, als sich völlig in seine Hand zu geben - und setzte ihn dadurch in ihre Schuld. Er hätte aufstehen und weggehen können, aber selbst dann wäre ihr Angebot bestehen geblieben, und sie hätte - auch ohne Gegenleistung - erreicht, was sie wollte.
»Dann erzähl mir von dir«, sagte er leise. »Oder von Vela.« Er rutschte in eine bequemere Stellung und sah dorthin zurück, wo die beiden El-tra verschwunden waren. Von den Sumpfleuten war keine Spur mehr zu sehen, aber er war sicher, daß zumindest einer von ihnen in seiner unmittelbaren Nähe war und über Gowenna wachte.
»Ihre und meine Geschichte sind gleich«, murmelte Gowenna. »Gleich und doch verschieden. Sie sind lang, Skar, aber das, was dich interessiert, ist rasch erzählt.« Sie bewegte sich leise, versuchte in eine halb sitzende Position zu gelangen und sank mit einem unterdrückten Schmerzenslaut wieder zurück. Skar beugte sich hastig vor und half ihr, sich so zu setzen, daß ihr Oberkörper wie auf einem steinernen Kissen gegen die Felswand gelehnt war. Seine Finger berührten dabei das verätzte Gewebe an ihrem Hals. Gowenna zuckte unter der Berührung schmerzhaft zusammen, und Skar unterdrückte im letzten Moment den Impuls, die Hand angeekelt zurückzuziehen, als er das feuchte, zu einer hornigen, harten Masse zusammengebrannte Fleisch fühlte. Wieder spürte er Mitleid, und er begriff, daß er den Kampf eigentlich jetzt schon verloren hatte.
»Danke, Satai«, murmelte Gowenna. Einen Moment lang blieb sie reglos sitzen, wohl, um sich von der Anstrengung zu erholen und neue Kräfte zu sammeln, dann begann sie mit leiser Stimme und immer wieder von großen Pausen, in denen sie neue Energie schöpfte, unterbrochen, zu erzählen.
»Vela und ich sind seit mehr als elf Jahren zusammen, so dicht, wie du und Del es gewesen sein müssen.«
»Ihr stammt aus dem gleichen Kloster?«
Gowenna verneinte. »Ich war nie in Elay, Skar«, sagte sie. »Die wenigen Male, die Vela dort war, ließ sie mich bei den Sumpfleuten in Cosh zurück. Ich habe niemals ein Kloster von innen gesehen. Ich lebte in einem Bergdorf im Norden, bis ich vierzehn war, ein Bauernmädchen unter vielen, ohne Zukunft und mit einer Menge Träume, von denen ich genau wußte, daß sie niemals in Erfüllung gehen würden.« Wieder schwieg sie, lange, drei, vier, vielleicht fünf Minuten, aber es war ein Schweigen ganz besonderer Art, und Skar spürte, wie ihre Gedanken, ihren Worten erst in einigem Abstand folgend, zurück in die Vergangenheit glitten, in eine Zeit, die längst vergangen war und vielleicht in der Form, in der sie in ihrer Erinnerung weiterlebte, niemals stattgefunden hatte. Und so klang ihre Stimme auch verändert, als sie nach einer Weile weitersprach, verändert auf schwer zu beschreibende Art; die Stimme klang wie die eines Menschen, der über die Jugend erzählt, die er sich im nachhinein erträumte.