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»Bleiben wir eine Weile hier und ruhen uns aus«, schlug Gowenna vor. »Wir könnten später weitergehen. Das heißt, wenn wir hier sicher sind.«

»Das sind wir nicht.« El-tra machte eine rasche Geste mit beiden Händen, die den gesamten Wald einschloß. »Aber wir sind auch weiter im Süden nicht sicherer. Nicht, ehe wir nicht die Grenzen zu Cosh überschritten haben. Und ich glaube nicht«, fügte er nach kurzem Überlegen hinzu, »daß sie weiß, wo wir sind.«

Wieder schwiegen sie eine Weile, bedrückt, erschöpft, aber auch aus dem Wissen heraus, daß es nichts gab, was noch zu sagen gewesen wäre. Schließlich hockte sich Skar - so wie schon zuvor - neben Del auf den Boden und lehnte sich gegen einen Baum. Der glatte Kristall erschien ihm kälter als noch vor wenigen Augenblicken, und der Boden war, obgleich sie schon lange wieder über normales Erdreich und Stein, nicht mehr über Glas marschierten, hart und unnachgiebig wie geschmiedeter Stahl. Das Licht, das verzerrt und tausendfach gebrochen durch das kristallene Dach über ihren Köpfen sickerte, verlor allmählich an Intensität; es mußte Abend werden. Trotzdem wurde es nicht dunkel, zumindest nicht vollständig. Die Sonne ging unter, aber das Sternenlicht spiegelte sich in den unzähligen Facetten und Flächen der Diamantbäume, so daß der Kristallwald auch nach Sonnenuntergang noch von gräulicher, von unzähligen flirrenden Lichtpunkten durchsetzter Helligkeit erfüllt war; ein Licht, das gleichermaßen faszinierend wie unheimlich war. Skar versuchte zu schlafen, aber die zunehmende Kälte und die Furcht, die sich wie ein schleichendes Gift in seinen Gedanken festgesetzt hatten, hielten ihn wach. Del schlief - Schlaf oder Bewußtlosigkeit, das blieb sich gleich -, während El-tra und Gowenna sich darin ablösten, Wache zu halten und ihre nähere Umgebung zu erkunden. Skar hatte sich angeboten, seinen Teil der Wache zu übernehmen, aber der Sumpfmann hatte das rundweg abgelehnt, und Skar war nicht allzu unglücklich darüber gewesen. Er fragte sich ohnehin, wie El-tra das Kunststück fertigbrachte, nicht die Orientierung zu verlieren. So beschränkte er sich darauf, wach zu bleiben und - eigentlich nur, um seine Hände beschäftigt zu wissen und nicht, weil er ernsthaft daran glaubte, angegriffen zu werden - sein Tschekal griffbereit zu halten.

Der Laut zaghafter Schritte riß ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf, nickte Gowenna wortlos zu und fuhr fort, seine Waffe zu polieren, während sie neben ihm Platz nahm. Eine Weile sah sie ihm schweigend zu, wie er das Schwert sorgfältig mit einem Tuchstreifen, den er von seinem Umhang gerissen hatte, reinigte, immer wieder absetzte und ins Licht hielt, um sich davon zu überzeugen, daß auch nirgendwo ein Fleck oder ein Kratzer zurückgeblieben war. Ihre Hand berührte seinen Arm. Skar hielt einen Moment inne, sah auf ihre Finger hinab und fuhr dann fort, das Tschekal zu streicheln. Einen Herzschlag lang erstarrte Gowennas Bewegung, und er dachte, daß sie die Hand zurückziehen würde, aber ihre Finger glitten weiter, berührten sein Handgelenk und schmiegten sich gleichzeitig sanft und kräftig um dieses. Skar ließ die Waffe sinken und sah Gowenna an. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber das kristallene Dach über ihren Köpfen ließ winzige Lichtmotten darüberflattern, so daß es eine eigene, fremde Art von Leben bekam. Skar lauschte einen Moment in sich hinein, aber alles, was er fühlte, war Müdigkeit und ein vager, noch weit entfernter Schmerz.

»Was ich vorhin gesagt habe«, murmelte Gowenna, »tut mir leid.«

»Was?«

»Tantor. Du hast richtig gehandelt. Ich ... habe mich hinreißen lassen. Verzeih.«

Skar lächelte, schob die Waffe in den Gürtel zurück und legte den Arm um Gowennas Schulter. Aber es war eigentlich nur ein Reflex, etwas, das er im Grund nur tat, weil sie es von ihm erwartete. »Schon gut. Du hattest recht.«

Gowenna schmiegte sich eng an ihn, aber er wartete weiter vergeblich auf irgendeine Regung in sich.

»Wir könnten uns jetzt natürlich wieder streiten, wer von uns beiden nun im Recht war«, sagte Gowenna. »Aber ich bin zu müde dazu. Wie geht es Del?«

Skar wandte den Kopf und sah auf die schlafende Gestalt hinab. »Er schläft«, antwortete er. »Das Beste, was ihm passieren kann. Was ... hat El-tra mit ihm gemacht?«

Gowenna schwieg einen Moment. Ihr Atem ging schneller als normal, und Skar spürte durch den dicken Stoff ihres Mantels hindurch, wie sie zitterte, aber das konnte ebenso an seiner Nähe wie an der Kälte liegen. Er hoffte, daß es die Kälte war. »Ich weiß es nicht genau«, sagte sie nach einer Weile. »Die Sumpfleute sind ein seltsames Volk. Ich habe lange bei ihnen gelebt, aber du mußt nicht denken, daß ich sie kenne. Ich weiß nur das von ihnen, was sie wollten, daß ich wissen darf. Und das ist nicht viel. Vielleicht«, fügte sie plötzlich und überraschend hinzu, »hätten sie Tantor getötet, wenn er ihre Sümpfe betreten hätte. Möglicherweise hast du ihm das Leben gerettet.«

Skar lachte rauh. »Das bezweifle ich. Wenn er den Sturz vom Pferd überlebt hat, wird Vela ihre Wut an ihm auslassen.«

»Wut?« Gowenna betonte das Wort auf seltsame Art. »Ich glaube nicht, daß sie so etwas wie Wut überhaupt kennt, Skar. Sie ist...« Sie brach ab, löste seinen Arm von ihrer Schulter und setzte sich auf. »Spielst du Schach?« fragte sie.

Skar versuchte gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln. »Nicht sehr gut.«

»Sie beherrscht es meisterhaft, Skar. Und sie spielt ohne Gefühle.«

»Aber sie benutzt lebende Figuren«, murmelte Skar.

»Tun wir das nicht alle? Versuchen wir es nicht wenigstens alle irgendwann einmal?«

Skar begann sich unbehaglich zu fühlen. Er hatte nicht über Vela reden wollen, wenigstens jetzt nicht. Aber das schien unmöglich zu sein. Die Errish war mit der Unaufhaltsamkeit einer Naturkatastrophe in sein Leben gebrochen und hatte es verändert, grundlegender als irgend jemand oder irgend etwas zuvor. Selbst wenn es ihm gelang, sie zu besiegen, würde er hinterher nicht mehr derselbe sein wie vorher.

Er lehnte sich zurück, sah zu dem lichtdurchwobenen Kristalldach über sich empor und deutete mit einer fragenden Geste auf den Wald. »Was ist das hier eigentlich?« fragte er, nicht aus wirklicher Neugier, sondern nur, um auf ein anderes Thema überzulenken.

»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es, glaube ich. Tuan steckt voller Geheimnisse, und manche von ihnen werden wohl nie gelüftet werden. Vielleicht war es einmal ein Wald, der zu Glas wurde wie Tuan, vielleicht auch etwas anderes ... aber es ist schön.«

»Schön?«

Gowenna nickte. »Schön und unheimlich, jedenfalls für mich.« Ihre Stimme bekam einen seltsam weichen Klang. »Es ist, als ... als wäre man im Inneren eines gewaltigen Diamanten. Man fühlt sich so geborgen.«

»Geborgen ...« Skar lachte leise. »Kennst du den gelben Stein, der manchmal vom Meer ans Land geworfen wird? Ich habe einmal ein solches Stück gefunden. In seinem Inneren war eine Spinne begraben, ein winziges Tier nur, noch in der Luftblase, die sie mitgenommen hatte, um unter Wasser zu atmen. Glaubst du, daß sie sich geborgen gefühlt hat?«

Gowenna sah ihn lange und schweigend an.

»Sind alle Satai so wie du?« fragte sie plötzlich.

»Wie meinst du denn, daß ich bin?«

»Auf jeden Fall seltsam«, seufzte Gowenna. »Wir sind nun schon lange zusammen, und ich kenne dich immer noch nicht. Vielleicht kennst du dich nicht einmal selbst. Du bist ein Mann des Krieges, und doch kannst du sanft wie ein Kind sein. Und zeigt man dir etwas Schönes, siehst du überall Bedrohung und Gefahr.«