»Ein Mann des Krieges?« Skar schüttelte den Kopf. »Das bin ich mit Sicherheit nicht. Vielleicht bin ich ein Krieger, aber das bedeutet nicht, daß mir das, was ich tun muß, Freude bereitet.«
»Wie viele Männer hast du getötet, Skar? Hundert? Zweihundert?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Skar ehrlich. »Ich habe sie nicht gezählt.«
»Und doch haßt du es, zu töten. Das ist es, was ich nicht verstehe. Nur die wenigsten schaffen es, die Ausbildung eines Satai abzuschließen ...«
»Und die, denen das Töten Freude bereitet, mit Sicherheit nicht«, fiel ihr Skar ins Wort.
»Aber das ist verrückt!«
»Und doch logisch. Jemand muß es tun.«
»Was? Töten?«
Skar nickte. »Ich kann mir so gut wie du eine Welt vorstellen, in der es keine Kriege und keinen Streit gibt, aber solange wir in der Welt leben müssen, in die wir hineingeboren sind, muß es auch Krieger geben. Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, kriegerisch zu sein, und vielleicht hören wir auf, diese Welt zu beherrschen, wenn wir aufhören, Kriege zu führen.«
»Lernt man das auch als Satai?« fragte Gowenna. »Zynisch zu sein?«
»Zynisch?« Skar lächelte. »Es klingt vielleicht so, aber ich fürchte, es ist die Wahrheit. Auch, wenn sie mir nicht gefällt. Die Welt braucht uns - natürlich nicht dich oder mich oder Del, nicht einmal die Satai -, aber sie braucht Krieger.«
»Krieger vielleicht. Aber Männer wie euch? Männer wie ...«
»Mordmaschinen«, sagte Skar, als Gowenna nicht weitersprach. »Sprich es ruhig aus - es verletzt mich nicht. Ich weiß, daß man uns so nennt, daß man uns diesen und andere, schlimmere Namen gegeben hat. Es ist ein Teil des Planes.«
»Welches Planes?« fragte Gowenna verwirrt.
Skar lächelte. »Nun, vielleicht ist Plan nicht der richtige Ausdruck. Doch es gehört dazu, irgendwie. Du selbst hast es gesagt: Männer wie wir ... Männer, vor denen man Angst hat, die man fürchtet, auch wenn man keinen Grund dazu hat. Sie fürchten uns, weil wir die Gewalt symbolisieren, weil wir leben, um zu töten. All diese Herzöge und Barone, die reichen Kaufleute und Ritter - was tun sie, wenn sie Streit mit ihrem Nachbarn haben, wenn sie sich bedroht oder ins Unrecht gesetzt fühlen? Sie rufen uns, die Satai. Sie geben uns Gold, manchmal nur ein Essen und ein Nachtlager, und wir tragen ihren Streit aus. Wir sind es, die die Waffe in die Hand nehmen, die töten. Und schließlich, wenn alles getan ist, können sie uns sogar noch die Schuld geben. Deshalb gibt es die Satai, Gowenna. Nicht, weil wir Freude am Morden haben, sondern weil wir gebraucht werden. Gäbe es uns nicht, gäbe es andere.«
»Aber -«
»Vielleicht schlimmere«, fuhr Skar mit leicht erhobener Stimme fort, als Gowenna etwas einwerfen wollte. »Ich weiß, was du sagen willst. Es gibt immer andere, und es ist keine Entschuldigung. Aber vielleicht wären diese anderen schlimmer. Vielleicht verhindern wir Satai die Gewalt, gerade, indem wir sie ausüben. Vielleicht würde Enwor binnen einer Generation in Barbarei versinken, gäbe es nicht die Satai und Veden und die anderen Kriegerkasten. Wer die Gewalt beherrscht, kann sie auch lenken.«
Gowenna schüttelte den Kopf. »Klingt das nicht alles nach einer Entschuldigung?«
»Es ist eine«, bestätigte Skar ruhig. »Ich behaupte nicht, daß es so ist. Wir Satai glauben, es wäre so, aber auch wir sind Menschen und können uns irren. Vielleicht wäre Enwor besser ohne uns. Vielleicht.«
»Eine seltsame Philosophie für einen Mann, der gelernt hat, einen Menschen mit einem Finger zu töten.«
»Und doch notwendig. Nenne es Selbstschutz. Wer gelernt hat« - er zitierte sie absichtlich, sogar auch noch im Tonfall - »einen Menschen mit einem Finger zu töten, der muß sich selbst Regeln auferlegen. Es ist kein Zufall, daß wir Satai eine so komplizierte und anderen manchmal unverständliche Moral haben. Ohne sie hätten wir nicht überlebt. Wir hätten uns selbst vernichtet.«
»Aber ihr habt diese Welt einmal beherrscht.«
Skar schüttelte erneut den Kopf. »Nicht wirklich«, sagte er. »Wir hatten Gewalt über sie, das stimmt. Aber wer ein Ding in seiner Gewalt hat, der muß es nicht beherrschen. Wir ...«
Der Boden erzitterte. Skar stockte mitten im Satz, fuhr auf und sah sich aufmerksam um. Ein leises Klingen, ein Geräusch, als striche sanfter Wind durch einen Wald gigantischer gläserner Harfensaiten, drang an sein Ohr, dann lief ein neuerliches schwaches Zittern durch den Boden.
»Was ist das?« fragte er.
Gowenna zuckte mit den Achseln. Aber auch ihre Haltung wirkte mit einem Mal angespannt. Sie stand mit einer fließenden Bewegung auf, machte einen Schritt und blieb, unsicher nach rechts und links sehend, stehen.
Wieder zitterte der Boden, und das helle Klingen und Schlagen wurde durchdringender, wenn auch nicht lauter. Auch Skar erhob sich und spähte aufmerksam in die Runde. Aber selbst wenn es in ihrer Umgebung irgendeine Veränderung gegeben hätte, wäre kaum etwas davon zu bewirken gewesen; es war nicht wirklich hell. Seine Augen hatten sich an das schwache Licht gewöhnt, und er hatte wenige Schritte weit sehen können, doch auch das nur, weil er wußte, was die Schatten und Umrisse vor ihm bedeuteten. Sie waren eingewoben in ein Spinnennetz aus Licht und Grau und unsicheren Dingen, deren Konturen nur zu erraten waren und sich zudem beständig zu wandeln schienen, und es war wie in jenen Momenten zwischen Tag und Dämmerung, in denen das Licht noch ausreichte, man aber trotzdem fast weniger sah als bei Dunkelheit.
»Verschwinden wir von hier«, murmelte Gowenna. Sie gab sich sichtlich Mühe, ruhig zu bleiben, aber ihre Stimme zitterte hörbar, und ihre Bewegungen erschienen Skar ein klein wenig zu hastig, als sie sich umdrehte und auf Del deutete. »Kannst du ihn tragen ?«
»Und El-tra?«
Gowenna winkte ab. »Er wird uns finden, keine Sorge. Beeil dich.«
Der Harfenklang wurde lauter; härter, kein Streicheln mehr, sondern eine Folge harter, fordernder Schläge, die von einem vibrierenden, unangenehmen Gefühl in der Luft begleitet wurden. Skar eilte rasch zu Del hinüber, ließ sich auf ein Knie sinken und hob ihn behutsam hoch. Del stöhnte leise, wurde aber nicht wach. Skar wankte einen Moment unter dem Gewicht des reglosen Körpers. Er hatte vergessen, wie schwer Del war, selbst ohne den schwarzen Hornpanzer. Mühsam lud er ihn sich auf die Schulter, blieb einen Herzschlag lang mit gespreizten Beinen stehen, um sicheren Stand zu finden, und sah Gowenna fragend an. »Wohin?«
»Nach Süden«, sagte Gowenna unsicher.
»Und wo«, fragte Skar betont, »ist hier Süden?«
Gowenna blickte ratlos in die Runde. Das Klingen und Schlagen hatte weiter zugenommen, so daß Skar bereits die Stimme heben mußte, um sich verständlich zu machen, und der Boden erzitterte nun beinahe ununterbrochen, nicht mehr so sanft wie zu Anfang, sondern in harten, mahlenden Stößen, die mehr und mehr in ein ununterbrochenes Beben übergingen, so daß Skar beinahe Schwierigkeiten hatten, mit Dels zusätzlichem Gewicht auf den Schultern überhaupt auf den Beinen zu bleiben.
»Was ist das?« fragte er noch einmal. »Gowenna - was geht hier vor?!«
Gowennas Antwort ging in einem ungeheuren Bersten und Krachen unter. Flackerndes rotes Licht löschte die Schatten ringsum aus, und Skar taumelte, von einer unsichtbaren Riesenfaust getroffen, gegen einen Baum. Er sah, wie Gowenna stürzte, klammerte sich verzweifelt mit der Linken fest, versuchte gleichzeitig, Del mit der anderen Hand festzuhalten, und ging unter einem zweiten, noch härteren Schlag zu Boden. Alles um ihn herum war rot, rot und düster und flackernd, und als er herumfuhr und sich hochstemmte, sah er eine brüllende, dunkelrote Feuersäule über den Wipfeln des Kristallwaldes emporsteigen. Ein Hagel winziger, messerscharfer Kristallsplitter regnete auf ihn herunter und fügte neue Wunden zu den kaum verheilten Schnitten auf seinem Gesicht und seinen Händen hinzu.