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Wieder erbebte der Boden, und hinter der ersten stieg eine zweite, kochende Feuersäule in den Himmel. Es wurde warm, für einen winzigen Moment heiß, dann fegte eine zweite, von einem neuerlichen Hagel scharfkantiger Trümmer begleitete Druckwelle Gowenna und Skar wieder zu Boden. Skar warf sich schützend über Del und vergrub sein Gesicht zwischen den Armen. Irgend etwas schrammte über seinen Rücken, heiß, brennend und unglaublich scharf, und ein harter Schlag traf sein linkes Bein und lähmte es für Sekunden.

Skar blieb einen Moment benommen liegen, ehe er sich hochstemmte. Dicht neben ihm kam Gowenna mit unsicheren Bewegungen auf die Füße. Auf ihrem Gesicht war frisches Blut zu sehen, aber sie schien, wie er, im großen und ganzen unverletzt geblieben zu sein. Skar blieb für die Dauer von drei, vier Herzschlägen reglos sitzen und lauschte, aber es gab keine dritte Explosion. Es war still wie zuvor, jetzt, nach dem ungeheuren Krachen und Klirren, das den Kristallwald bis ins Herz erschüttert hatte, fast noch stiller, so daß Skar das Geräusch seiner eigenen Atemzüge unangemessen laut und störend vorkam. Als hielte die Natur in Erwartung eines weiteren Hiebes den Atem an, dachte er. Nur in seinen Ohren war noch ein leises Klingeln und Klirren, ein Nachhall des Brüllens, das seine Trommelfelle gemartert hatte.

Es dauerte eine Weile, bis er begriff, daß der Laut wirklich und nicht eingebildet war. Er stand auf, blickte sich verwirrt um und warf Gowenna einen fragenden Blick zu. Sie wirkte blaß.

Skar trat mit einem raschen Blick auf sie zu, packte sie an den Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. »Was war das?«

»Ich weiß es nicht. Ich -«

Skar schüttelte sie so heftig, daß sie mit einem schmerzhaften Keuchen verstummte. »Du weißt es ganz genau«, sagte er wütend. »Und ich will endlich wissen, was hier los ist! Verdammt, Gowenna, ich habe dir gesagt, daß du mich nicht länger belügen sollst!«

El-tras Erscheinen bewahrte Gowenna für den Moment davor, antworten zu müssen. Der Sumpfmann stürzte heran, eilte ohne ein erklärendes Wort oder Geste an Skar vorüber und bückte sich nach Del. Skar wollte ihm helfen, aber El-tra winkte hastig ab und warf sich Del wie ein Spielzeug über die Schulter. »Geh voraus!« sagte er befehlend. »Dort entlang!«

Skar stürmte wortlos in die Richtung, in die der Sumpfmann gedeutet hatte. Er begriff schon nach wenigen Augenblicken, warum El-tra diesmal darauf bestanden hatte, daß er vorausging. Der Wald wurde wieder dichter, so daß Skar sich schon nach kurzer Zeit gezwungen sah, sein Schwert zu ziehen und eine Gasse durch das glitzernde Unterholz zu hacken. Der Kristall zersplitterte schon bei der geringsten Berührung, aber die Schläge kosteten trotzdem Kraft, und sie kamen nicht halb so rasch voran, wie Skar sich gewünscht hätte. Zudem verursachten sie einen höllischen Lärm. Das Klirren, mit dem die Kristallgewächse zerbarsten, mußte meilenweit zu hören sein.

Skar wußte hinterher nicht, wie weit sie gelaufen waren - zwei, drei, vielleicht fünf Meilen, vielleicht aber auch nicht einmal eine. Irgendwann konnte er einfach nicht mehr. Er blieb stehen, taumelte gegen einen Baum und ließ kraftlos die Arme sinken. Sein Schwert schien plötzlich Zentner zu wiegen. Sein Herz schlug so hart, daß er jeden einzelnen Schlag mit fast schmerzhafter Intensität spürte, und in seiner Kehle stieg schon wieder Übelkeit empor. Das Klirren und Tönen in seinen Ohren blieb. Er atmete zehn, fünfzehnmal hintereinander tief durch, schloß die Augen und versuchte, das Schwindelgefühl zu vertreiben, das sich hinter seiner Stirn breitmachte. Jemand berührte ihn an der Schulter und schüttelte ihn; die Bewegung ließ Wellen von Übelkeit in ihm aufsteigen, und als er die Augen öffnete, sah er im ersten Moment nichts als wogende Schatten.

»Wir müssen weiter, Skar!« Er erkannte El-tra nur an seiner Stimme, und sein Nicken war keine Zustimmung, sondern nur noch ein Reflex; der Instinkt zu überleben, der ihm so lange eingehämmert worden war, bis er selbst dann noch funktionierte, wenn sein Wille längst aufgegeben hatte. Er stieß sich von dem Baumstamm ab, wankte und wäre gestürzt, wenn El-tra ihn nicht aufgefangen hätte. Das Klingen in seinen Ohren wurde stärker. Irgend etwas bewegte sich vor ihm.

Unendlich müde schob er die Waffe in den Gürtel zurück, griff blindlings nach Gowennas hilfreich ausgestreckter Hand und taumelte, halb auf sie gestützt, halb mit der anderen Hand Halt an Bäumen und gläsernem Buschwerk suchend, weiter.

»Es ist nicht mehr weit. Halte durch.« Diesmal durchbrachen El-tras Worte den Mantel aus Erschöpfung, der sich um sein Bewußtsein gelegt hatte.

»Cosh?«

Der Sumpfmann nickte. »Zwei, vielleicht drei Meilen. Wir haben Glück.«

Skar hatte plötzlich das Bedürfnis zu lachen - zwei Meilen oder die andere Seite des Schattengebirges, das blieb sich gleich. Er würde keine zwei Schritte mehr gehen können. Nicht jetzt; vielleicht überhaupt nicht mehr. Er wankte, ließ Gowennas Hand los und fiel schwer auf die Knie. Zum ersten Mal, seit er Ikne verlassen hatte, dachte er ernsthaft daran, aufzugeben.

Gowenna versuchte ihn auf die Füße zu zerren, aber er war zu schwer. »Bitte, Skar«, sagte sie verzweifelt. »Reiß dich zusammen! El-tra kann dich nicht auch noch tragen!«

Skar stützte sich schwer mit den Handknöcheln auf dem eisenharten Boden ab, hob den Blick und sah Gowenna an. Der Boden vibrierte noch immer, und die Bewegung pflanzte sich durch seine Hände und die bis zur Grenze des Erträglichen gespannten Arm- und Schultermuskeln fort und erfüllte ihn mit einem nicht einmal unangenehmen Kribbeln.

»Geht allein weiter«, murmelte er. »Bringt... Del in Sicherheit. Ihr könnt mich später holen.«

»Es wird kein Später für dich geben, du verdammter Idiot!« schrie Gowenna. »Das hier ist kein Spiel, begreifst du das nicht? Wir sind in Gefahr!«

»Ach«, machte Skar. »Seit wann?«

Gowennas Gesicht verdüsterte sich. Sie schwieg einen Moment, fuhr dann mit einer blitzartigen Bewegung herum und krallte die Linke in Dels Haar. In ihrer anderen Hand blitzte plötzlich ein schmaler, zweischneidiger Dolch.

»Ich schwöre dir, daß ich ihm die Kehle durchschneide, wenn du nicht weitergehst«, sagte sie. Ihre Stimme klang plötzlich ganz ruhig, aber es war gerade diese Ruhe, die Skar zeigte, daß ihre Worte keine leere Drohung waren. »Ich tue es, Skar. Er ist ohnehin nur Ballast für uns und wird mehr Schaden als Nutzen bringen.«

Skar musterte sie eisig. Er war nicht einmal mehr in der Lage, Zorn zu empfinden. »Du hast dich wirklich nicht verändert«, sagte er.

»Warum auch?« Die Spitze des Dolches ritzte Dels Haut. Ein winziger Blutstropfen erschien auf seinem Hals, leuchtend wie eine rote Träne. »Sein Hiersein ist vielleicht der Preis für deine Begleitung, Skar. Aber ohne dich bringt er keinen Nutzen für uns. Nicht für uns und nicht für unsere Mission. Warum sollten wir uns mit ihm belasten, wenn es dich nicht mehr gibt?«

Skar ballte in ohnmächtigem Zorn die Fäuste, stand aber trotzdem gehorsam auf und begann weiterzugehen, nicht mehr vor, sondern hinter El-tra jetzt, und mit mühsamen, schleppenden Schritten. Gowenna ließ ihren Dolch wieder unter dem Gewand verschwinden, aber allein die Art, in der sie es tat, sagte Skar, daß sie ihn jederzeit erneut hervorholen und ihre Drohung wahrmachen würde.

Das klingende Geräusch, das sie die ganze Zeit begleitet hatte, wurde wieder leiser, als sie sich weiter nach Süden bewegten; es blieb jedoch die ganze Zeit in ihrer Nähe wie ein unsichtbares, nur aus Tönen und gespenstischer Musik bestehendes Raubtier, das sie beschlich und auf eine Gelegenheit wartete, über sie herzufallen. Skar wußte nicht, warum es ausgerechnet dieser Vergleich war, der sich ihm aufdrängte, aber er erschien ihm auf schwer zu fassende Art passend. Der Laut hatte etwas Drohendes an sich, obwohl er so klar wie der Kristall des Waldes und hoch war, eher der Gesang von Engeln als der von Dämonen. Und Gowenna schien ebenso zu empfinden. Ihr Blick streifte immer wieder nach rechts und links, tastete unsicher über den Boden und das gewölbte kristallene Dach über ihren Köpfen; sie wirkte ganz wie ein Mensch, der irgend etwas Bestimmtes sucht, voller Ungeduld darauf wartet und gleichzeitig Angst davor hat.