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»Aber wo lebt ihr?« fragte Skar verwirrt.

Kor-tel machte eine weit ausholende Geste. »In den Sümpfen, Skar. Unsere Heimat ist der Wald und der Sumpf. Wir brauchen keine Häuser oder gar« - diesmal klang seine Stimme eindeutig abfällig - »Festungen. Braucht ihr sie?«

Skar antwortete nicht gleich. Im Grunde hatte der Sumpfmann recht - die Zeiten, da er selbst ein festes Dach über dem Kopf hatte, waren selten. Den größten Teil seines Lebens hatte er im Sattel oder unter freiem Himmel verbracht. Trotzdem konnte er sich mit der Vorstellung eines Volkes, das ständig im Freien lebte, dort schlief und aß und seine Kinder gebar, nicht anfreunden. Seine Vorstellung von Zivilisation war zu sehr mit der von Festungen und Häusern und Städten verbunden.

»Wo ist... Gowenna?« fragte er stockend.

Kor-tel deutete wortlos auf eine der Hütten und setzte sich in Bewegung. Skar folgte ihm, langsam und mit kleinen, behutsamen Schritten, als wäre er ein alter Mann. Er fühlte sich auch beinahe so; das Gefühl der Stärke, das er nach seinem Erwachen verspürt hatte, war verschwunden, und er bereute schon, nicht auf Kor-tels Rat gehört zu haben.

Der Sumpfmann blieb vor dem Eingang der Hütte stehen und machte eine einladende Bewegung. »Ich werde hier warten«, sagte er. »Ruf mich, wenn du etwas brauchst.«

Skar nickte, schlug die Decke beiseite und trat gebückt in die Hütte. Im ersten Moment erkannte er nicht viel; seine Augen hatten sich in den wenigen Minuten, die er draußen gewesen war, bereits an die Helligkeit gewöhnt. Aber die Hütte schien sich kaum von der zu unterscheiden, in der er erwacht war. Sie bestand aus einem einzigen runden Raum, und die gesamte Einrichtung bestand aus zwei niedrigen Lagern und einer grob zusammengezimmerten Kiste. Gowenna kauerte vor einer der Lagerstätten und wandte ihm den Rücken zu, als er die Hütte betrat. Vor ihr lag eine reglose, halbnackte Gestalt. Del.

Skar trat lautlos neben Gowenna, ließ sich auf die Knie sinken und berührte sie am Arm. Sie wandte kurz das Gesicht, nickte und legte den Finger auf die Lippen. Er verstand. Del schlief, zumindest hatte er die Augen geschlossen.

Gowennas Hand strich sanft über die Stirn des jungen Satai, verweilte einen Moment über seinen Augen und berührte sie. Del regte sich; die langsamen, unsicheren Bewegungen eines Mannes, der aus einem sehr sehr tiefen Schlaf erwacht. Er öffnete die Augen, starrte einen Moment blicklos zur Decke und hob dann den Kopf. Sein Gesicht zeigte nicht die mindeste Regung, als er Skar ansah.

»Erkennst du mich?« fragte Skar.

In Gowennas Gesicht zuckte es, und Skar bereute die Worte schon wieder.

Del nickte. »Was für eine dumme Frage«, sagte er. »Warum sollte ich dich nicht erkennen? Du bist Skar.«

Skar unterdrückte einen Schreckenslaut, als er Dels Stimme hörte. Sie klang flach, tonlos, wie von einem Mann, der im Schlaf oder in Trance sprach.

Trotzdem lächelte Skar.

»Natürlich war es dumm«, sagte er, gezwungen fröhlich. »Verzeih.«

»Du solltest ihn schlafen lassen«, meinte Gowenna. »Er braucht noch sehr viel Ruhe.«

»Ja«, bestätigte Del. »Ich brauche Ruhe. Ich bin müde.« Sein Kopf sank zurück, die Augen schlossen sich, und er schien im gleichen Moment wieder einzuschlafen. Skar wollte etwas sagen, aber Gowenna schüttelte hastig den Kopf und deutete auf den Ausgang. Erst, als sie die Hütte verlassen hatten, fiel die Spannung von ihr ab.

»Verzeih, Skar«, sagte sie. »Ich hatte keine Gelegenheit, dich darauf vorzubereiten.«

»Worauf?« fragte Skar scharf. Die Betäubung fiel von ihm ab und machte einem dumpfen Zorn Platz. »Was hast du mit ihm gemacht, Gowenna?«

»Alles, was ich konnte«, antwortete Gowenna, ohne ihn anzusehen. »Ich habe versucht, ihm zu helfen, Skar.«

»Helfen?« Skar hatte Mühe, wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben. »Das was ich gerade gesehen habe, sah nicht sehr nach Hilfe aus.«

Gowenna lächelte. Es wirkte traurig. »Ich weiß«, sagte sie leise. »Es war ... der letzte Ausweg. Das heißt, nicht einmal das. Ein Versuch.«

»Was für ein Versuch?«

»Du warst lange bewußtlos«, erwiderte Gowenna statt einer direkten Antwort. »Ich habe dich versorgt, so gut ich konnte, und dann habe ich mich um Del gekümmert. Aber ich glaube nicht, daß ich ihm helfen kann. Ich weiß alles, was eine Errish weiß, aber was immer Vela mit ihm gemacht hat...«

Sie schüttelte den Kopf, starrte zu Boden und breitete in einer hilflosen Geste die Hände aus. »Ich fürchte, ich bin machtlos dagegen.«

»Sie hat nichts mit ihm gemacht«, murmelte Skar.

Gowenna sah auf. »Woher weißt du das?«

»Er hat es mir gesagt, Gowenna. Sie hat ihn nicht verzaubert oder behext. Er liebt sie. Das ist alles.«

»Er ...« Sie brach verwirrt ab. »Das ist nicht dein Ernst! Wie kann jemand diese Hexe lieben?«

Diesmal war es an Skar zu lachen. »Diese Frage mußt gerade du stellen?« Er schüttelte den Kopf, trat einen Schritt auf sie zu, blieb aber außerhalb ihrer Reichweite stehen.

»Findest du es nicht reichlich albern, daß wir uns schon wieder streiten?« fragte Gowenna, ohne auf seinen verletzenden Tonfall einzugehen.

Skar verzog geringschätzig die Lippen. »Warum nicht? Vielleicht können wir hinterher wieder miteinander schlafen.«

Diesmal trafen sie seine Worte. Sie starrte ihn an, öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, drehte sich aber dann wortlos herum und ballte die Fäuste.

Skar begann sich schäbig zu fühlen. »Ich ... es tut mir leid«, murmelte er. Er hob die Hand und berührte sie an der Schulter, aber Gowenna machte einen raschen Schritt zur Seite und streifte seinen Arm ab.

»Nein, Skar«, sagte sie. »Es tut dir nicht leid.«

»Gowenna, ich -«

»Nicht.« Sie unterbrach ihn mit einem sanften, aber entschlossenen Kopfschütteln. »Es ist der falsche Moment und der falsche Ort, aber es wird Zeit, daß wir endlich ehrlich zueinander sind. Wir haben ein paarmal miteinander geschlafen, aber ich glaube nicht, daß du jemals mehr als Mitleid mit mir empfunden hast, Skar. Und - wenn ich ehrlich bin - mir erging es nicht viel anders. Ich liebe dich nicht, so wenig, wie du mich liebst.« Skar lauschte vergeblich auf einen Unterton von Bitterkeit oder Schmerz in ihrer Stimme. Sie sprach sehr ruhig, flüssig, als hätte sie die Rede lange vorbereitet und nur auf einen passenden Moment gewartet. Aber ihre Stimme klang kalt, so, als spräche sie über einen vollkommen Fremden, nicht über sich. »Belassen wir es dabei«, fuhr die fort. »Bleiben wir das, was wir immer waren: Verbündete, und vielleicht Freunde. Es ist gut so.«

»Und warum hast du es getan, wenn es so ist?«

Gowenna schwieg einen Moment. »Vielleicht ist es mir schon so in Fleisch und Blut übergegangen, andere Menschen zu benutzen, daß ich in der Wahl meiner Mittel nicht mehr vorsichtig genug bin«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln. »Aber wenn ich ehrlich bin - ich weiß es nicht. Spielt es eine Rolle?«

Skar schüttelte den Kopf. »Nein. Eigentlich nicht.«

»Reden wir über etwas anderes«, sagte Gowenna. »Wie fühlst du dich?«

»So, wie ich aussehe«, antwortete Skar ernsthaft. »Aber nicht halb so schlimm, wie ich mich fühlen müßte. Du hast gut für mich gesorgt.«

»Es war nicht viel, was ich für dich tun konnte. Es ist leichter, Wunden zu schlagen, als sie zu heilen. Aber du bist sehr kräftig. Ein paar Tage Ruhe, und du bist wieder im Vollbesitz deiner Kräfte.«

»Ein paar Tage ...« Skar drehte sich nach Norden, dorthin, wo hinter der schwellenden grünen Wand Coshs Tuan und der Kristallwald lagen. »Ich fürchte, wir werden diese paar Tage nicht haben.«

»Vela?« Gowenna machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mach dir keine Sorgen darum. Nicht einmal sie würde es wagen, die Grenzen von Cosh zu überschreiten. Und wenn sie es täte, wäre sie tot, bevor sie auch nur hundert Schritte in die Sümpfe vorgedrungen wäre.«