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Skar runzelte zweifelnd die Stirn. »Nach dem, was du mir erzählt hast...«

»Das war früher«, unterbrach ihn Gowenna. »Es war eine andere Vela, die hierherkam. Sie kam als Gejagte, und sie bat um Hilfe. Die Sumpfmenschen sind ein hartes Volk, Skar, aber sie verwehren keinem Hilfe, der in Not ist. Doch sie töten jeden, der den Speer des Krieges über ihre Grenzen trägt. Nein«, sagte sie noch einmal, »wir sind in Sicherheit.«

»Gefangen, meinst du«, sagte Skar. »Wir sind in Sicherheit, solange wir hierbleiben.«

»Richtig.«

»Und wie lange willst du dich verstecken? Einen Monat? Ein Jahr? Fünf?«

Der beißende Spott in seiner Stimme verfehlte seine Wirkung. Gowenna blieb ruhig. »Du solltest mit dieser Rede warten, bis du wieder in der Lage bist, ein Wettrennen mit einem Greis zu gewinnen«, sagte sie ruhig, beinahe heiter. »Sieh dich an, Skar. Vor drei Tagen warst du mehr tot als lebendig, und du wirst ganz tot sein, wenn du auch nur einen Schritt aus diesen Sümpfen hinaustust. Also spiel dich nicht auf.«

»Ich spiele mich nicht auf«, grollte Skar. »Ich weiß selbst, daß ich nicht in der Lage bin, zu reiten, geschweige denn zu kämpfen. Aber es ist auch nicht meine Art, tatenlos herumzusitzen und zu warten, bis etwas geschieht. Früher oder später müssen wir weiter, und ich würde dann ganz gerne wissen, was auf uns zukommt.«

»Ich auch«, murmelte Gowenna. »Doch so, wie die Dinge liegen, können wir nichts anderes tun, als abzuwarten. Du bist verletzt, und auch ich brauche eine Pause. Außerdem - was immer wir tun, wir können nicht anders als warten. Wir haben unseren Zug gemacht. Jetzt ist sie an der Reihe. Sie wird warten, Skar. Irgendwo dort draußen. Warten und planen und darauf hoffen, daß wir einen Fehler machen.«

»Ich fürchte, da wird sie nicht allzu lange warten müssen«, knurrte Skar. »Hierbleiben und abwarten ist vielleicht schon der erste Fehler. Sie wird mit jedem Tag stärker, vergiß das nicht.« Gowenna schnaubte. »Sie ist schon so stark, wie sie nur sein kann«, sagte sie. »Zumindest stark genug für uns. Hast du vergessen, wie du zu diesen Wunden gekommen bist?« Sie deutete auf seine Beine und schüttelte den Kopf. »Glaubst du eigentlich immer noch ernsthaft, sie besiegen zu können. Diese Frau hat die Macht, dich wie eine Fliege zu zerquetschen, Skar, dich, mich - alle hier.«

»Sagtest du nicht gerade, wir wären sicher?«

»Das sind wir«, nickte Gowenna. »Aber nicht, weil sie schwach oder das Volk der Sumpfmänner zu stark für sie wäre. Wir sind in Sicherheit, weil Cosh unangreifbar ist. Keine Armee der Welt könnte dieses Land besetzen. Du kannst keinen Krieg gegen Bäume und Sümpfe führen, Skar.«

»Wenn es so ist«, gab Skar leise zurück, »warum wehren wir uns dann noch? Warum gehen wir nicht zu ihr und geben auf?« Gowenna schwieg, aber mit einem Mal schien sie es nicht mehr zu ertragen, ihn anzusehen. Erneut wandte sie sich um, starrte zu Boden und scharrte unruhig mit den Füßen.

»Warum ... Warum hast du Del mitgenommen, wenn du doch gewußt hast, daß ich ihm nicht helfen kann? Vielleicht aus Gewohnheit. Vielleicht, weil ich noch nie einen Kampf verloren habe.«

Skar sagte nichts mehr, und mit der hereinbrechenden Dunkelheit legte sich Schweigen wie eine unsichtbare Mauer zwischen sie. Und wieder, wie schon so oft zuvor, hatte er das Gefühl, zum ersten Mal mit Gowenna zu reden, zum ersten Mal die wirkliche Gowenna zu sehen, sie sprechen zu hören. Wie oft noch? dachte er. Wie oft würde diese Frau noch die Maske herunternehmen, nur um darunter eine neue, noch perfektere zu tragen? Wie lange mußten sie noch zusammen sein, bis er sich durch die unzähligen verschiedenen Schichten ihrer Persönlichkeit zu dem Wesen durchgearbeitet hatte, das sie wirklich war?

Aber vielleicht, dachte er, gab es sie ja auch gar nicht. Nicht mehr, vielleicht war ihre wirkliche Persönlichkeit ausgelöscht, schon vor einem Jahrzehnt von Vela ausradiert, vielleicht aber auch einfach versickert, wie ein Tropfen im Meer aufgegangen in den unzähligen Scheinwesen, in die sie sich verwandelt hatte.

»Wie ist dein richtiger Name?« fragte er.

Gowenna sah auf, verwirrt, aber auch erschreckt. »Was ... meinst du damit?« fragte sie stockend.

Skar wußte es selbst nicht, ebensowenig, wie er wußte, warum er die Frage überhaupt gestellt hatte. Sie war ihm einfach in den Sinn gekommen. Aber eigentlich hatte nichts von dem, was er seit seinem Erwachen gesagt oder getan oder gedacht hatte, in Wahrheit Sinn. Sie redeten und stritten und beschimpften sich, aber es war nur Gewohnheit.

»Ich meine den Namen, den du getragen hast, als du hierherkamst. Das erste Mal.«

»Spielt er eine Rolle?«

Skar verneinte. »Sicher nicht. Es ... interessierte mich nur.« Gowenna schwieg einen Moment. Ihre Zunge fuhr in einer nervösen Bewegung über ihre Lippen. Skar sah plötzlich, daß sie aufgesprungen und rissig waren, auch der gesunde Teil. Sie mußte Fieber haben. Zum ersten Mal, seit er erwacht war und sie getroffen hatte, kam ihm in den Sinn, daß auch sie verletzt sein mußte, mindestens so schlimm wie er. Er war nicht der einzige gewesen, dessen Spuren blutig waren.

»Kiina«, sagte sie plötzlich. »Mein Name war Kiina. Aber es ist lange her, daß ich Kiina war. Namen bedeuten nichts. Ich trage ihn nicht mehr, und ich bin auch nicht mehr das Kind, das ich war, damals.«

»Ich weiß«, nickte Skar. »Kiina ... Ein hübscher Name. Er klingt gut. Viel besser als Gowenna. Werde ich ... sie kennenlernen, diese Kiina?«

Gowenna schwieg. Aber als Skar sich umdrehte und zu seiner Hütte zurückging, lief eine Träne über ihr Gesicht.

19.

Skar schlief an diesem Abend lange nicht ein, obwohl es in seiner Hütte kein Licht gab und er müde war. Kor-tel begleitete ihn und nahm wie ein schweigender grauer Schatten neben ihm Platz. Skar wußte, daß es wenig Zweck hatte, ihn fortzuschicken. Vielleicht würde er gehen, vielleicht nicht, aber das eine wie das andere würde nichts daran ändern, daß er trotzdem in seiner Nähe war. Er war auch während seines Gespräches mit Gowenna anwesend gewesen; ein stummer schmaler Schatten, der so natürlich in seine Umgebung zu passen schien, daß Skar ihn nicht einmal bemerkt hatte. Erst später, als er zurückging, hatte er seine Schritte neben sich vernommen.

»Etwas bedrückt dich, Bruder«, sagte Kor-tel. Es war dunkel geworden, und das durchbrochene Dach der Hütte sperrte auch das spärliche Sternenlicht aus, so daß Skar den Sumpfmann auch nicht hätte sehen können, wenn er einen normalen Körper gehabt hätte. Aber allein das Wissen, daß unter seiner Kapuze nichts als wirbelnde Schatten waren, berührte Skar auf unangenehme Weise. Er setzte sich auf, sah in die Richtung, aus der Kor-tels Worte gekommen waren, und lauschte, versuchte die winzigen Geräusche zu hören, die ein Mensch immer verursacht, ob er will oder nicht: das Rascheln von Kleidung, das leise Geräusch der Atemzüge, selbst der Laut von Haar, das sich bewegte. Aber er hörte nichts. Er war, als gäbe es Kor-tel gar nicht, als wäre er wirklich nicht mehr als eine körperlose Stimme.

»Wie kommst du darauf«, fragte Skar. Es war seltsam - er war lange Wochen mit Männern aus Cosh zusammen gewesen und hatte sich an ihr schattenhaftes Wesen und ihre manchmal unverständliche Art gewöhnt - oder hatte es zumindest geglaubt -, aber jetzt, als er bei ihnen war, als er eigentlich zum ersten Mal das Gefühl hätte haben müssen, unter Freunden zu sein, begann er wieder Furcht vor ihnen zu empfinden.

»Ich spüre es«, antwortete Kor-tel nach einer langen Pause, als hätte er ihm Gelegenheit geben wollen, seinen Gedanken zu Ende zu denken. »Du bist verwirrt, und du hast Furcht in dir. Und da ist noch etwas.«

»Etwas in mir?« fragte Skar. Gegen seinen Willen klang seine Stimme lauernd, beinahe drohend.