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»Wir waren arm, Skar. Bitter arm.« Sie wandte den Kopf und sah zu den zehn Gräbern hinüber, die nebeneinander an der Südwand des Kraters lagen. »Du hast mich gefragt, warum ich Arsan mitgenommen habe, Skar. Die Antwort ist einfach, aber du hättest sie damals nicht verstanden. Er hatte keine besonderen Talente, nichts, was wir wirklich gebraucht hätten, aber er war arm. Ich konnte ihn verstehen. Ich weiß, was es heißt, zu hungern, nicht für einen Tag oder zwei, sondern wochen-, monate-, jahrelang. Ich habe ihn mitgenommen, weil er mir leid tat. Und weil er mich an mich selbst erinnerte. An mich und die Menschen, bei denen ich aufgewachsen bin.«

»Und weil ihr ein Opfer brauchtet«, sagte Skar hart.

Gowenna nickte. »Ich glaube, ja. Sie muß gewußt haben, daß Combat seinen Preis fordern würde. Vielleicht sind er und Beral und Nol nur mitgekommen, um zu sterben. Aber das habe ich damals noch nicht gewußt. Vielleicht sind wir alle nur aus diesem Grund mitgekommen. Ich glaube fast, du hättest den Stein auch allein holen können. Aber ich wollte von Vela erzählen.« Sie beugte sich zur Seite, hantierte ungeschickt an ihrer Wasserflasche und versuchte zu trinken. Skar half ihr.

»Es war während der großen Dürre vor elf Jahren«, fuhr sie dann fort. »Der ersten großen Dürre. Erinnerst du dich?« Skar nickte. Die Trockenheit, unter der Enwor seit Jahren litt, war nur eine unter zahllosen Hitzewellen, die in immer kürzeren Abständen über die ausgelaugte Welt herfielen. Nicht alles, was Vela ihm erzählt hatte, war gelogen gewesen.

»Die Menschen, bei denen ich lebte, waren einfache Menschen, Bauern, die noch an die Macht der Götter glaubten und daran, daß man sie mit einem Gebet wohlgesonnen stimmen könne. Und wir haben gebetet - immer und immer wieder; gebetet und geopfert, von dem wenigen, das wir hatten, noch einen Teil den Göttern gegeben. Aber es nutzte nichts - das Land verdorrte weiter, und die Ernte verbrannte vor unseren Augen auf den Feldern. Eines Tages erreichte uns die Kunde von einer Errish, die in den Bergen in der Nähe unseres Dorfes gesehen worden war. Mein Vater rief sie um Hilfe, und sie kam.«

»Vela.«

»Das war ihr Name, ja. Sie kam mit ihren beiden Drachen in unser Dorf, und sie erbot sich, uns zu helfen.«

Skar runzelte zweifelnd die Stirn. »Eine Errish, die Regen macht?« fragte er ungläubig.

Gowenna lächelte. »Heute würde ich dieselbe Frage stellen, Skar, aber ich war ein Kind, damals, vergiß das nicht. Und die Menschen, bei denen ich lebte, waren einfache Menschen. Sie fürchteten die Macht der Errish, aber sie hatten auch großen Respekt davor. Sie glaubten an sie. Wenn du in einer verzweifelten Lage bist, dann tust du alles. Aber der Preis, den sie verlangte, war hoch. Sie verlangte die Tochter des Stammesführers.«

Wieder schwieg sie für einen Moment, diesmal nicht, um neue Kraft zu sammeln, sondern um ihm Gelegenheit zu geben, ihre Worte richtig zu verarbeiten, und Skar spürte, wie das Schweigen für einen Moment fast greifbar wurde. Nie war ihm die Kluft, die zwischen ihnen lag, deutlicher zu Bewußtsein gekommen als jetzt. Eigentlich war es das erste Mal, daß er wirklich begriff, daß Gowenna ein lebender, fühlender Mensch war, keine gesichtslose Figur in einem Spiel.

»Dieses Kind warst du«, sagte er.

Gowenna nickte.

»Und seither wart ihr zusammen?«

»Sie brachte mich aus dem Dorf, aber wir kamen nie nach Elay«, fuhr Gowenna fort. Ihre Stimme wurde jetzt zunehmend leiser, und Skar mußte sich anstrengen, um ihre Worte überhaupt noch zu verstehen. »Schon in der ersten Nacht stießen wir auf eine Horde Quorrl-Banditen. Natürlich griffen sie uns nicht an - nicht einmal die Quorrl würden es wagen, Hand an eine Errish zu legen.«

Skar schwieg dazu, aber Gowenna mußte den stummen Zweifel in seinem Blick bemerkt haben.

»Vielleicht war es auch nur die Furcht vor ihren Drachen und den Waffen einer Errish, die sie vor einem Angriff zurückschrecken ließen«, schränkte sie ein. »Jedenfalls ließen sie uns ziehen - Vela, mich und einen Mann namens Gord, den sie als Gehilfen bei sich hatte. Aber Vela ahnte, daß die Quorrl unser Dorf entdecken und angreifen würden. Sie schickte Gord, mich und einen ihrer beiden Drachen allein auf den Weg und ritt zurück, um die Dorfbewohner zu warnen.«

»Und was geschah dann?« fragte Skar, als Gowenna nicht weitersprach.

»Ich weiß es nicht«, murmelte sie. »Das heißt - es ist nicht schwer, sich zusammenzureimen, was passierte, aber was wirklich geschah - warum sie es getan hat -, weiß ich bis heute nicht. Sie hat niemals darüber gesprochen. Gord und ich ritten einen halben Tag weiter nach Norden, doch dann kehrten wir um und kamen gegen ihren Befehl zurück zum Dorf. Wir fanden es zerstört vor. Niedergebrannt und geschleift. Die meisten Bewohner waren tot, und die, die den Angriff überlebt hatten, waren geflohen.«

»Und Vela?«

»Sie lag schwer verwundet neben ihrem Drachen. Sie hat sich geopfert, Skar, sich und ihre Feuerechse. Den Spuren des Kampfes nach zu schließen, muß sie die Quorrl praktisch allein vertrieben haben. Aber sie zahlte einen hohen Preis dafür. Ihr Drache starb, und sie selbst lag wochenlang auf Leben und Tod darnieder. Es gelang Gord, sie zu retten, aber er konnte nur die Wunden in ihrem Körper heilen.« Ihre Stimme bebte. Sie sprach jetzt immer schneller, als fühle sie, daß ihre Kräfte sie in wenigen Augenblicken verlassen und sie nicht mehr die Zeit haben würde, ihre Geschichte zu Ende zu bringen, aber Skar hörte den Vorwurf, die unausgesprochene Anklage in ihren Worten, trotzdem. Die Leute, für die Vela gekämpft hatte, hatten sie zum Dank sterbend und allein zurückgelassen; sie hatten nicht einmal den Versuch unternommen, ihr zu helfen.

»Es wurde Frühjahr, ehe sie wieder so weit bei Kräften war, daß wir den Rückweg nach Elay antreten konnten«, fuhr Gowenna fort. »Ich blieb zusammen mit Gord bei den Sumpfleuten in Cosh zurück, und es verging ein weiteres halbes Jahr, ehe Vela wiederkam. Allein. Ohne ihren Drachen. Weißt du, was mit einer Errish geschieht, die ihr Tier verliert?«

»Sie wird ausgestoßen«, murmelte Skar.

Gowenna lachte, aber vielleicht war es auch ein unterdrückter Aufschrei der Qual. »Ausgestoßen?« Sie spie das Wort regelrecht aus. »Ausgestoßen - wie leicht sich das spricht! Aber es bedeutet mehr, als aus einer Kaste verstoßen zu werden, Skar. Mehr als du oder ich oder irgendein anderer jemals verstehen kann. Es ist schlimmer als der Tod. Aber sie gab nicht auf. Sie ist stark, Skar. Sie ist es heute, und sie war es damals schon. Sie blieb ein Jahr in Cosh, lernte von den Sumpfleuten und unterrichtete mich. Dann ging sie wieder, und diesmal blieb sie ein Jahr. Als sie zurückkam, hatte sie einen Staubdrachen gezähmt - etwas, das noch keinem vor ihr gelungen war. Einen wilden Staubdrachen, begreifst du?« Skar nickte, aber er begriff nicht wirklich. Er konnte es nicht, und wahrscheinlich konnte es niemand. Bis vor wenigen Tagen hatte er nicht einmal gewußt, daß es so etwas wie einen Staubdrachen wirklich gab.

»Sie brachte das Tier nach Elay«, berichtete Gowenna mit letzter Kraft. »Sie bot es der Großen Mutter als Geschenk an. Nicht als Preis, um wieder in den Orden aufgenommen zu werden, sondern lediglich als Geschenk, ohne auch nur im geheimen auf eine Gegenleistung zu hoffen. Alles, was sie wollte, war Anerkennung und vielleicht Vergebung. Weißt du, was sie getan haben, diese ach so ehrwürdigen Frauen? Sie haben sie verjagt, zum zweiten Mal. Sie hatte eine Bestie gezähmt, vor der sich selbst die Zuchtmeister der Errish fürchten, und sie bot dieses Tier und das Wissen, wie man es beherrscht, den Errish als Geschenk an, und sie verjagten sie. So kehrte sie zum zweiten Mal als Ausgestoßene nach Cosh zurück. Diesmal ging ich mit ihr. Ich und die drei Geistbrüder.«