»Ich würde dir raten, im Sattel zu bleiben, wenn es zum Kampf kommt«, sagte sie, plötzlich das Thema wechselnd. »Zu Fuß würdest du keine sehr gute Figur machen, fürchte ich.«
Skar hörte ihre Worte kaum. Er spürte auch kaum, wie Kor-tel die Hütte betrat und damit begann, Gowenna zur Hand zu gehen. Als sie fertig waren, stand er auf, zog sich an und verließ ohne ein weiteres Wort die Hütte.
Er wußte nicht, welche der grauen Gestalten, die sich auf der Lichtung eingefunden hatten, El-tra war, und so hielt er den nächstbesten Sumpfmann an und fragte nach ihm.
»Sprich, Bruder«, sagte der Sumpfmann. »Was immer du El-tra sagen willst, er wird es wissen.«
Skar schüttelte den Kopf. »Ich weiß«, murmelte er. »Aber ...«
»Ich verstehe«, sagte der Sumpfmann, als Skar nicht weitersprach. »Ihr Menschen seid es gewohnt, mit Namen zu reden, nicht mit Personen. Komm.« Er wandte sich um, machte eine einladende Geste und führte Skar über den Platz. Andere Sumpfmänner kamen ihm entgegen, und obwohl Skar sich einzuhämmern versuchte, daß es nicht so sei, glaubte er einen stummen Vorwurf in ihren Blicken zu spüren.
El-tra erwartete ihn am jenseitigen Rand der Lichtung. Sechs andere Sumpfmänner standen bei ihm, doch sie gingen, als Skar näher kam, und auch sein Führer entfernte sich rasch, um ihn und El-tra allein zu lassen.
»Du wirst uns also begleiten«, begann El-tra.
»Ja«, sagte Skar. »Aber das ist es nicht, worüber ich mit dir reden wollte.«
»Ich weiß, Bruder.«
Skar senkte den Blick und scharrte betreten mit der Fußspitze im Boden. »Können wir ... irgendwo hingehen, wo wir allein sind?« fragte er.
»Wir können es. Aber ...«
»Ich weiß, daß ich zu euch allen rede, wenn ich mit dir spreche«, sagte Skar hastig. »Aber es wäre mir trotzdem lieber.«
El-tra nickte. Sie verließen die Lichtung und drangen ein paar Schritte weit in den Wald ein. Der Boden federte unter Skars Schritten, und ein schwerer, süßlicher Geruch schlug ihm entgegen, der Geruch von Feuchtigkeit und Leben und Verwesung, gemischt mit Dunkelheit und den verwobenen Geräuschen des nächtlichen Waldes. Erst als die roten Lichtpunkte der Fackeln hinter ihnen erloschen waren, drehte sich El-tra um und blieb stehen. »Wir sind allein, Bruder«, sagte er. »Sprich.«
Etwas Seltsames geschah. Die Dunkelheit hatte den Sumpfmann vollends verschluckt, und Skar erkannte nur noch am Klang seiner Stimme, wo er stand. Aber selbst diese Stimme schien plötzlich nicht mehr die eines einzelnen Mannes zu sein; es war, als spräche der Wald selbst mit ihm, als forme das Wispern und Raunen der Blätter Worte und Gedanken, die von überallher gleichzeitig auf ihn eindrangen.
»Gowenna hat mir erzählt, daß euer Volk klein ist«, begann er, »und daß -«
»Gowenna weiß nicht alles, Skar«, unterbrach ihn El-tra sanft. Aber war es überhaupt noch El-tra, der da sprach? Oder hörte Skar die Stimme des Sumpfes?
»Unser Volk ist klein, doch was zählt, sind nicht seine Männer, Skar. Auch die Satai sind nicht viele.«
»Es ist nicht euer Krieg, den ihr führen wollt«, widersprach Skar. »Erinnerst du dich an das, was du selbst zu mir gesagt hast? Ihr könnt diesen Kampf für mich verlieren, aber nicht gewinnen.« El-tra (El-tra?) schwieg einen Moment. »Und was willst du tun, Bruder?« fragte er.
»Das, was ich schon lange hätte tun sollen«, sagte Skar. »Gebt mir ein Pferd und einen Mann, der mir den Weg weist. Ich werde mich Vela stellen.«
»Ein Mann gegen vierzig Krieger und den Drachen?« El-tra lachte leise, aber es klang nicht verletzend, sondern eher gutmütig. »Jetzt überschätzt du dich.«
»Ich weiß, daß ich sie nicht besiegen kann«, sagte Skar ruhig. »Aber vielleicht geht sie, wenn sie hat, was sie will.«
»Und du glaubst, du wärst das?« Wieder lachte El-tra, und jetzt war Skar sicher, daß das Geräusch nicht allein aus seiner Kehle kam. »Du täuschst dich, Bruder. Sie wird versuchen, deiner habhaft zu werden, doch der wahre Grund für ihr Eindringen in unser Land ist ein anderer. Sie kam aus dem gleichen Grund, aus dem sie ihre Festung im Herzen Tuans verließ. Ihr seid euch ähnlicher, als du weißt. Auch sie ist eine Gejagte. Und es ist nicht mehr dein Krieg, Skar. Sie hat den Frieden unseres Landes gestört, und sie weiß, welche Strafe den erwartet, der den Krieg nach Cosh trägt.«
»Euer Volk wird einen hohen Preis für diesen Sieg zahlen müssen«, murmelte Skar.
»Keinen so hohen, wie du glaubst«, antwortete El-tra. »Vielleicht sterben einige von uns, vielleicht alle. Doch wir fürchten den Tod nicht so wie ihr. Cosh wird weiterleben, auch wenn wir sterben.«
»Und dafür wollt ihr euch opfern?«
»Willst du es nicht auch, Bruder? Bist du nicht mit mir hierhergekommen, um mir dein Leben anzubieten? Ich hätte dein Opfer angenommen, hätte es Sinn. Doch es hat keinen. Du kamst hierher, um mit mir zu sprechen, mit dem Körper, den du als El-tra kennst. Doch es gibt mich nicht, nicht so, wie du mich siehst. Ich bin El-tra, doch ich bin auch Kor-tel, auch der Teil El-tras, der in Combat verbrannte, und jeder einzelne Sumpfmann, den du gesehen hast. Du hast es nie verstehen wollen, Skar, doch wir sind eins. Solange Cosh existiert, wird auch das Volk der Sumpfleute leben. Vielleicht fallen viele von uns in der Schlacht, vielleicht alle. Ich will ehrlich zu dir sein - wir wissen nicht, ob wir Vela besiegen können. Der Drachen ist stark, und auch wir sind nicht gegen seinen Atem gefeit. Vielleicht schlägt sie uns, doch wir werden weiterleben in jedem Strauch, in jedem Fußbreit Boden, in jedem Baum von Cosh. So wie auch du weiterleben wirst. Denn du bist ein Teil von uns.«
Etwas Unsichtbares, Körperloses und unglaublich Weises berührte Skars Seele. Es war ein zeitloser Moment, zu kurz, um ihn wirklich wahrzunehmen, aber plötzlich wußte Skar. Plötzlich verstand er alles, jede Andeutung, jedes Wort, das er für eine leere Phrase gehalten hatte, jeden Blick, die Bedeutung jeder Geste. Das Volk von Cosh - das waren nicht die Sumpfmänner, nicht die schattenhaften, kleinen Gestalten, die Furcht und Schrecken verbreiteten, wo immer sie auftauchten. Sie waren seine Hände, seine Arme und Beine und Münder, mehr nicht. Und plötzlich begriff er auch, was Gowenna gemeint hatte, als sie ihm erzählte, Cosh hätte ihr die drei El-tra geschenkt. Es war ein Geschenk, eine Gabe, die Cosh - nicht die Sumpfleute, sondern das wirkliche Cosh, das Wesen, das in diesem Land lebte, dieses Land war - ihr mit auf den Weg gegeben hatte.
»Jetzt weißt du es«, sagte die Stimme des Sumpfes. »Was morgen geschieht, hat keine Bedeutung. Wäre mehr Zeit, könnten wir ihr Tausende von Kriegern entgegenwerfen, doch wir würden es nicht tun. Vielleicht wird sie uns schlagen, aber sie wird einen hohen Preis dafür zahlen, Skar.«
Skar nickte mühsam. »Und ... Del?«
»Ich werde versuchen, ihn zu schonen«, antwortete Cosh. »Um deinetwillen. Du bist ein Teil von uns, und er ist ein Teil von dir. Doch ich kann es dir nicht versprechen.«
»Ist er ... schon bei ihr?«
»Noch nicht. Doch er wird sie erreichen, lange bevor wir auf sie stoßen. Versuche ihn zu schützen, Skar. Ich werde dich dabei nicht behindern. Doch ich kann dir auch nicht helfen. Diesen Kampf mußt du allein führen.«
Skar sagte nichts mehr. Er spürte, daß Cosh nicht mehr antworten würde, daß alles gesagt war, was zwischen ihnen gesagt werden mußte.
»Wir müssen jetzt gehen, Skar.« Es war wieder El-tra, der sprach. Der Zauber des Augenblicks war verflogen, und der Wald um sie herum war wieder zu Dunkelheit und schweigenden Bäumen geworden. Irgendwo platzten Gasblasen im Sumpf; ein monotones, seltsam gleichmäßiges Geräusch, fast wie der Takt einer Melodie. Für einen Moment fragte sich Skar, ob er all das wirklich erlebt oder nur geträumt hatte. Aber schon El-tras nächste Worte bewiesen ihm, daß es nur zu wahr gewesen war.