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»Du weißt jetzt alles«, sagte der Sumpfmann. »Mehr als je ein Mann eures Volkes von dir erfahren hat, mehr, als Vela oder Gowenna auch nur ahnen. Es ist eine schwere Last, die du auf dich genommen hast, Skar.«

»Ich ... werde schweigen«, antwortete Skar stockend, obwohl er wußte, wie überflüssig diese Worte waren. Cosh hätte nicht mit ihm geredet, hätte er seine Antwort nicht schon vorher gewußt. »Meine Brüder sind bereit, aufzubrechen«, fuhr El-tra fort. »Du hast noch Zeit, dich zu entscheiden. Ich weiß, daß du dir die Schuld an dem gibst, was geschehen ist. Aber ganz egal, wie es wirklich war - es ist nicht mehr dein Kampf. Du kannst gehen. Wohin du willst.«

Skar schüttelte den Kopf. »Ich begleite euch«, sagte er mit fester Stimme.

Plötzlich hatte er das Bedürfnis zu schreien. Aber natürlich tat er es nicht.

23.

Sie trafen am nächsten Tag nicht auf Velas Streitmacht; wohl aber auf ihre Spuren. El-tra und er hatten die kleine Heerschar angeführt, die zwei Stunden nach Mitternacht die Lichtung im Herzen Coshs verlassen hatte: sechsundvierzig Reiter, Gowenna und Skar mitgezählt. Ein erbärmlicher Haufen, bedachte man den Gegner, gegen den sie zogen, und doch eine ungeheure Streitmacht, wußte man, was Skar in dieser Nacht erfahren hatte.

Gowenna hatte kein weiteres Wort mehr mit ihm gewechselt, und er war froh darüber gewesen. Sie und der Bruder El-tras hatten sich ans Ende der Kolonne gesetzt, so wie Skar die kleine Heerschar anführte, aber es waren nicht nur die zweihundert Schritte Entfernung, die sie trennten. Was in Combat und Tuan geschehen war, hatte sie zusammengeführt, doch nur für kurze Zeit. Skar spürte, daß sie sich trennen würden, ganz egal, wie die Begegnung mit Vela ausging, einfach so, weil es richtig und die einzige Möglichkeit war. Und obwohl seine Furcht vor einer erneuten Begegnung mit Vela und Del mit jedem Schritt, den sie weiter nach Norden ritten, wuchs, sehnte er den Augenblick beinahe herbei.

Die Sonne ging auf, als sie auf die Spur der Errish stießen: eine gewaltige, mehr als fünfzig Fuß breite Bresche, die der Drachen und die gepanzerten Reiter in den Wald gebrochen hatten. Wie ein gewaltiger Riß schnitt sie, von Norden kommend und in sanftem, kaum wahrnehmbarem Bogen nach Südwesten abbiegend, durch den Dschungel, Bäume, Unterholz und Gras zermalmt habend, als wäre ein Felsbrocken durch den Wald gebrochen und hätte alles Lebende niedergewalzt. Zurückgeblieben waren Schmutz und Morast und die breiten, tiefen Spuren der Drachenfüße, flankiert von einer gewaltigen Allee geborstener, mit brutaler Gewalt zur Seite geschobener und geknickter Bäume.

Keiner der Sumpfleute sprach auch nur ein Wort, während sie am Rand der gewaltigen Spur standen und die sinnlose Zerstörung betrachteten, aber Skar glaubte zu spüren, was in ihnen vorging. Vielleicht war es so, wie El-tra immer wieder behauptet hatte: Er hatte nicht nur gegeben, er hatte auch empfangen. Er fühlte den Zorn, die kalte, entschlossene Wut, die von den Sumpfmännern Besitz ergriff, spürte, wie sich in ihrem Verhalten etwas änderte, wie Entschlossenheit zuerst Verzweiflung und ohnmächtige Wut, schließlich Haß und dem kalten, berechnenden Willen zum Töten Platz machte. Es war nicht der Zorn von vierzig Individuen, den er spürte, sondern der lautlose Aufschrei Coshs, dieses Wesens aus Grün und Blättern und Sumpf - Leben, Leben vielleicht in der reinsten Form, die es jemals gegeben hatte. Für einen kurzen Moment fühlte er sich an das Volk von Cearn erinnert, an diese Menschen, die in und mit ihrem Wald, der zugleich ihr ganzes Universum darstellte, lebte, aber dieser Vergleich stimmte nicht. Vela hatte nicht allein ihren Lebensraum zerstört, sie hatte einen Teil von ihnen getötet, sie verletzt. Und sie würde dafür bezahlen. El-tra hatte recht gehabt; dies war nicht mehr sein Kampf. Skar löste sich mit einem Ruck aus seiner Erstarrung, zwang sein Pferd herum und ritt ans Ende der Kolonne, zu Gowenna. Sie saß wie die Sumpfmänner aufrecht im Sattel und starrte mit steinernem Gesicht auf die Bahn der Zerstörung hinaus. Vielleicht ahnte sie den Zorn der Sumpfleute, aber Skar bezweifelte, daß sie ihn wie er spürte. Als er näher kam, lenkte sie ihr Pferd aus der Kolonne heraus und ritt ihm entgegen, weit genug, um aus der Hörweite der Sumpfmänner zu sein.

»Sie kommen noch schneller voran, als ich befürchtet habe«, begann sie übergangslos. »Als ich gestern auf ihre Spur stieß, war sie noch mehr als dreißig Meilen entfernt.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie muß ihre Leute buchstäblich zu Tode hetzen. In diesem Gelände ist das Tempo mörderisch. Das Ganze sieht mir fast nach einer Flucht aus.«

Flucht... Skar dachte wieder an El-tras Worte. Sie ist eine Gejagte wie du. Aber Flucht? Vor wem?

»Vielleicht«, sagte er unsicher, »hat sie eingesehen, daß es ein Fehler war, hierherzukommen. Und jetzt versucht sie, die Sümpfe so rasch wie möglich zu durchqueren.« Er fühlte selbst, wie wenig überzeugend seine Worte klangen, aber es war das Beste, was ihm im Moment einfiel.

Gowenna zuckte die Achseln. Die Bewegung schien sich wie eine schattige Welle über das erstarrte Fleisch ihres Gesichts fortzusetzen. Im unsicheren Licht des Waldes wirkte ihr Gesicht, als trüge sie auf einer Seite eine Maske aus Horn. »Vielleicht«, murmelte sie, so wenig überzeugt wie Skar. »Aber warum ist sie von ihrem Weg abgewichen. Ist dir aufgefallen, daß die Spur nach Westen führt?«

Skar nickte. »Was liegt dort?«

»Der Besh«, antwortete Gowenna nach kurzem Überlegen. »Einer seiner Quellflüsse. Er führt nicht viel Wasser, jetzt im Winter. Der schnellste Weg, hier wieder herauszukommen. Aber das ergibt keinen Sinn.« Sie starrte eine Weile nachdenklich zu Boden, drehte sich dann im Sattel um und winkte El-tra zu sich heran. Skar sah, wie schwer es dem Sumpfmann fiel, sich vom Anblick des zerstörten Waldes zu lösen. Sein Schattengesicht war in Aufruhr, als er sein Pferd neben dem Gowennas zügelte. Skar konnte seine Erregung fast sehen.

»Wie alt ist die Spur?« fragte Gowenna.

»Nur wenige Stunden. Vier, vielleicht drei. Wir könnten sie in der gleichen Zeit einholen.«

»Ihr könntet?« wiederholte Gowenna betont. »Soll das heißen, ihr tut es nicht?«

El-tra verneinte. »Nein. Es wird zum Kampf kommen, aber nicht hier und nicht jetzt. Cosh ist schon zuviel Schaden zugefügt worden.«

Gowenna blickte überrascht. »Aber ihr könnt sie nicht entkommen lassen!« sagte sie. »Sie ist in der Falle. Hier im Wald kann sie ihre Reiterei nicht einsetzen, und die Sümpfe sind eure Heimat. Einer von euch wiegt zehn ihrer Krieger auf.«

»Das mag sein. Doch Cosh ist ein Ort des Friedens, nicht des Krieges. Es ist schon zuviel Gewalt über seine Grenzen getragen worden. Und du vergißt den Drachen.«

»Unsinn!« begehrte Gowenna auf. »El-tra hat ihn schon einmal ausgeschaltet.«

»Der Ruf ist eine Waffe, die schon beim ersten Gebrauch stumpf wird«, belehrte sie der Sumpfmann sanft. »Du bist eine Errish wie sie, Gowenna. Du solltest wissen, daß sie die Sprache der Tiere beherrscht wie wir. Wir konnten sie überraschen, doch das wird nicht noch einmal funktionieren.« Er schwieg einen Moment, sah an Skar vorbei auf die zertrampelte Schneise hinaus und richtete sich dann im Sattel auf. Die Bewegung schien sich lautlos und unsichtbar durch die Reihen der Sumpfmänner fortzupflanzen. »Es wird zum Kampf kommen, doch nicht hier«, sagte er noch einmal. »Ihr Weg führt nach Westen, zum Besh und zu den Bergen hinauf. Wir haben es vermutet, doch ihre Spur ist der letzte Beweis - es gibt ein altes Kastell in den Bergen, dicht oberhalb der Stelle, an welcher sie an unsere Sümpfe grenzen. Sie wird dorthin wollen, um in seinem Schutz den Winter abzuwarten. Die Pässe nach Elay sind verschneit.«