Skar bildete zusammen mit einem El-tra die Spitze der kleinen Kolonne. Er hockte vornrüber gebeugt im Sattel, den Blick starr nach Süden gerichtet, und es fiel ihm zunehmend schwerer, sich noch auf dem Rücken des Pferdes zu halten. Der Schmerz in seinen gebrochenen Rippen war zu einem dumpfen, qualvollen Pochen geworden, und er hatte das Gefühl, langsam von innen heraus zu verbrennen. Es war Stunden her, seit er sich das letzte Mal im Sattel umgedreht und den Weg zurückgeblickt hatte, den sie gekommen waren. Sie mußten, obwohl sie nur langsam vorankamen und immer wieder Umwege zu machen hatten, schon mehr als zwanzig Meilen zurückgelegt haben, aber das lodernde Fanal am Horizont war bisher nicht sichtbar kleiner geworden. Der Anblick des brennenden Giganten gab ihm das Gefühl, zur Größe eines Insekts zusammenzuschrumpfen, und er hatte beschlossen, nicht mehr hinzusehen. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich irgendeinem Kampf zu stellen. Nicht einmal diesem.
Sein Pferd strauchelte, als seine Hufe auf dem glatten Boden plötzlich keinen Halt mehr fanden. Es fing sich sofort wieder, aber die abrupte Bewegung riß Skar schmerzhaft aus der Lethargie, in die er im Laufe der vergangenen Stunden versunken war. Er fuhr auf, tätschelte ihm mit einer unbewußten, zärtlichen Geste den Hals und legte die linke Hand mit sanftem Druck zwischen seine Ohren. Das Tier schnaubte, beruhigte sich aber beinahe augenblicklich wieder und fiel in normale Gangart zurück.
Skar sah besorgt nach rechts. Auch das Tier des Sumpfmannes lief lange nicht mehr so elegant und ruhig wie am Morgen. Es setzte zwar noch immer gehorsam einen Fuß vor den anderen, aber es schien vor jedem Schritt unmerklich zu zögern, und der Ausdruck in seinen dunklen Augen kündete eindeutig von Schmerz. Das Laufen auf dem Boden Tuans, der härter war als Stein, mußte den Tieren unsägliche Qualen bereiten. Ihre empfindlichen Fesseln waren für federnden Prärieboden, allenfalls für eine kurze Strecke über Felsen oder Sand, geschaffen. Die Tiere werden keine zwei Wochen durchhalten, dachte Skar. Nicht einmal zwei Tage.
El-tra sah seinen Blick, und er mußte auch spüren, was hinter seiner Stirn vorging. Aber er schüttelte nur stumm den Kopf und deutete nach Süden. Sie konnten keine Rast einlegen, weder jetzt noch in den nächsten Stunden, und Skar fügte sich stumm. Wäre es nur um ihn und die beiden Männer aus Cosh gegangen, wäre er trotz seiner Schwäche aus dem Sattel gestiegen und neben dem Pferd hergegangen. Aber es ging nicht nur um sie.
Er drehte sich halb im Sattel um, hob die Hand vor das Gesicht, als der Wind wie ein schneidendes Messer in seine Augen stach, und ließ sein Pferd ein wenig langsamer gehen, um an Gowennas Seite zu gelangen. Ihre Gestalt schien vor dem brennenden Hintergrund Combats zu flackern, und die Flammen versahen ihr Haar mit einem dünnen lodernden Kranz. Ihr linker Arm hing schlaff herunter, und als sie näher kam, drehte sie den Kopf ein wenig, um die verbrannte Hälfte ihres Gesichts abzuwenden. Ihre Miene war starr und ausdruckslos, aber es war jene Art von Ausdruckslosigkeit, hinter der sich Schmerz und ein fast übermenschliches Maß an Selbstbeherrschung verbargen. Um ihre Hüfte und ihren Oberkörper schlang sich ein Geflecht von dünnen ledernen Riemen; die Sumpfmänner hatten sie auf dem Rücken des Pferdes festgebunden, um zu verhindern, daß sie bei einem plötzlichen Schwächeanfall aus dem Sattel stürzte. Sie hatten bei den Medikamenten, die Tantor ihnen zurückgelassen hatte, auch einen Beutel mit einem schmerzstillenden Pulver gefunden, einem Mittel, das einen Menschen in die Lage versetzte, weißglühendes Eisen zu berühren und dabei zu lächeln, das aber auch die Gedanken vernebelte und die Sinne abstumpfte. Gowenna hatte sich geweigert, es zu nehmen.
»Wie fühlst du dich?« fragte er. Es war eine dumme und überflüssige Frage, doch der Anblick ihres zerstörten Gesichts lähmte ihn und ließ ihn Zuflucht zu einem Gemeinplatz suchen, um nicht nur wortlos neben ihr herzureiten und sie anzustarren.
Gowenna versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen, zur Hälfte gelähmt und starr, ließen eine Grimasse daraus werden. Eine plötzliche Windbö griff nach ihrem Haar und warf es nach vorne, so daß es wie ein dichter schwarzer Schleier vor ihrem Gesicht wehte. Sie hob die Hand, um es zurückzustreifen, führte die Bewegung aber nicht zu Ende.
»Ich glaube, ich fühle mich ungefähr so, wie du aussiehst, Skar«, antwortete sie mit einiger Verspätung auf seine Frage. Die gezwungene Fröhlichkeit in ihrer Stimme versetzte Skar einen schmerzhaften Stich.
»Wenn du willst, rasten wir eine Weile«, erwiderte Skar. »Den Pferden würde eine Pause auch guttun.«
Gowenna schüttelte den Kopf. »Nein. Wir müssen weiter. Wenn wir überhaupt eine Chance haben, lebend hier herauszukommen, dann nur, wenn wir keine Zeit verschwenden.«
Skar wollte widersprechen, aber Gowenna hatte recht - sie hatten genug Fleisch, und er war sicher, daß sie auch Wasser finden würden; das war nicht das Problem. Aber es war - und jetzt, als ihm dieser Vergleich einfiel, wunderte er sich fast, daß er ihm nicht schon viel früher eingefallen war - wie in Combat: Auch dort hatte es Plätze gegeben, an denen sie sicher und von keiner Gefahr bedroht gewesen waren, aber es reichte, dort zu sein. Ihre bloße Anwesenheit hier war ein Frevel, der nicht ungesühnt bleiben würde. Er war nie abergläubisch gewesen, und noch vor wenigen Tagen hätte er über diesen Gedanken gelacht, aber Tuan hatte mit der Welt, die er kannte, nichts gemein. Es war mehr als ein totes Land - es war fremd. Es würde seinen Preis fordern, wie Combat ihn gefordert hatte.
Er deutete mit einer Kopfbewegung nach Süden. »Was weißt du über dieses Land?«
»Nichts. Nichts jedenfalls, was uns weiterhelfen würde. Es ... gibt eine Menge Legenden, die sich um Tuan und seine Geister ranken, aber Enwor hat mehr Legenden als Menschen, und ich weiß sowenig wie du, was uns erwartet.«
»Aber du warst schon einmal hier.«
Gowenna schüttelte den Kopf. »Nicht hier, Skar. Ich war in Combat, aber ich nahm den gleichen Weg, den wir genommen haben - über die Berge. Auch zurück. Doch ich glaube nicht, daß wir etwas anderes finden als das, was wir bereits gefunden haben.« Skars Blick glitt eine Weile unsicher über die zerrissene, von Kratern und Ruinen und jäh aufklaffenden Spalten verstümmelte Landschaft. »Was mag hier geschehen sein?« murmelte er. Seine Worte waren nicht als Frage gedacht gewesen, aber Gowenna antwortete trotzdem darauf. »Der Atem der Götter, Skar. Die gleiche Macht, die Combat in Brand setzte.«
»Götter ...« Skar lächelte dünn. »Ich glaube nicht an Götter, Gowenna. Ich habe Enwor von einem Ende zum anderen durchstreift, aber ich habe nirgends einen getroffen. Vielleicht«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu, obwohl ihn der Gedanke fast selbst erschreckte, »war es eine Waffe.«
»Eine Waffe, die Stein zu Glas zerschmilzt und ein ganzes Land verbrennt?« fragte Gowenna zweifelnd.
»Was ist daran absurder als an der Vorstellung einer Stadt, die groß wie ein Land ist, absurder als an der Vorstellung einer Stadt, die brennt, ohne jemals zu verbrennen, oder eines Kristalls, der tötet, wenn man ihn berührt?« gab Skar zurück. »Diese Ruinen begleiten uns, seit wir die Berge verlassen haben, Gowenna. Diese Stadt muß mehr Einwohner gehabt haben als Besh-Ikne, Malab und Endor zusammengenommen.«
»Das hat sie sicher«, nickte Gowenna. »Combat war nur ihr Zentrum, das Herz Tuans, das Stadt und Land in einem war. Eine Festung. Weißt du, daß Combat in der Sprache der Alten nichts anderes als Kampf bedeutet?«