Er eilte aus dem Zimmer.
«Solch ein Unsinn!«raunzte Malloy.»Die Verantwortung liegt bei mir, und mit mir ist's sowieso aus. Ich merke es. Aber ein Vierteljahrhundert umsonst gearbeitet zu haben…«
«Wir kümmern uns um das Triom.«
Er lächelte erleichtert. Da verkrampfte sich das faltige Gesicht. Auf dem Kontrollschirm des Steuergeräts wetterleuchteten die Lämpchen einen schicksalsschweren Moment lang, dann unterlag die Elektronik, und die Zeiger fielen in die Ruhelage zurück.
Die Tür ging auf. Harald und die zwei Assistenten kamen herein. Auf halbem Weg blieben sie stehen.»Schon?«
«Schon.«
«Als ob er gewußt hatte, daß ihm keine Zeit mehr blieb«, meinte der Arzt nachdenklich.»Vielleicht ist es so am besten. — Helft mir, die Anschlüsse abzumontieren!«
4
Ich setzte mich an Malloys Schreibtisch. Wo lagen die Daten über das Triom? In diesem Wust durcheinandergeworfener Papiere spezielle Unterlagen zu finden war eine Sisyphusarbeit. Das dauerte Stunden. Andererseits mußte ein Forscher wie er ein Expose haben, um selbst den Überblick zu behalten. Erfahrungsgemäß war das eine dicke Heftmappe.
Ach, da lag doch… die Große Direktive, wie wir es nannten: ein dünnes Buch mit fünfhundertzwanzig Paragraphen des IGRP. Ich blätterte: 410, das Verbot unkontrollierter Versuche, 415, die Strafandrohung für Gesetzesbrecher. Welcher Absatz betraf die Produkte genetischer Manipulationen? Da, 412!
Harald trat ein, sah mich an. Er sagte nichts.
Ich studierte den Text. Die Details hatten mich nie interessiert. Schweigend wies ich ihm den Artikel vor.
«>Nach Absicherung des Terrains sind illegal synthetisierte Produkte unter Beachtung der Sicherheitsvorschriften adäquat zu liquidieren. Eine Dokumentation ist der Bezirksbehörde vorzulegen.< Also Liquidation… Wie und womit?«fragte er.
«Mit einer größeren Dosis Thanatin. Ich habe allerdings nur die Normalpatrone im Gepäck. Bei einem so unklaren Metabolismus empfiehlt sich wohl eine Spraydose. Ich möchte das Triom nicht quälen.«
Auf den Lippen kauend, legte ich das Büchlein zurück und schnippte unsichtbare Stäubchen vom Kostüm.
«Thanatin muß ein sehr spezielles Gift sein, wenn ich es nicht mal dem Namen nach kenne.«
«Es blockiert selbst den abartigsten Zellrhythmus schlagartig. Bei synthetischen Wesen kann man sich nicht auf Blausäure verlassen; darum wurde diese Chemikalie erfunden.« .
«Und deine Dosis reicht nicht?«
Ich zuckte die Achseln. Neunundneunzig Prozent unserer Einsätze bezogen sich auf manipulierte Biomaten. Ein Triom war etwas anderes.»Ich müßte jemand herbitten…«
«Tue es, Schachschwester. Das Monster muß beseitigt werden!«
Ich schwieg. An sich gab es nichts zu bedenken. Paragraph 412..»adäquat liquidieren!«Dennoch, das Zitieren von Gesetzen ersetzte nicht das Wissen um ihre Gründe. An einiges erinnerte ich mich aber doch; vielleicht war es sogar gut, sich diese Hintergründe zu vergegenwärtigen. Die Routine hatte manches verschüttet.
«Müssen wir gleich entscheiden? Können wir entscheiden?«Hatte ich es gesagt oder nur gedacht?» Weshalb soll das Triom unverzüglich sterben?«
«Das Gesetz«, erwiderte er.»Du kennst es besser als ich. Da liegt das Buch!«
Vor zwei Minuten noch würde ich es blind unterschrieben haben. Jetzt aber hatte ich angefangen nachzudenken.»>Unverzüglich «steht dort nicht. - Wir sollten nachdenken, schon wegen der gewünschten Dokumentation.«
«Die Dokumentation ist gewiß nicht gemeint, sondern die über die Beseitigung.«
«Auch das steht nicht explizit dort. - Malloy behauptete, das Triom zeigt Ansätze von Intelligenz. Wenn es nun tatsächlich Verstand hat?! — Vielleicht ist das Wesen in ausgewachsenem Zustand so klug wie wir, nur eben ganz anders: Malloys Intention. Niemand wird ungehört verurteilt.
Um in deinen Worten zu reden, Schachbruder: Willst du jeden aus dem Club ausschließen, der eine unkonventionelle Eröffnung wählt?«
«Ja, willst du das Monster… großziehen?!«
«Das Triom existiert. Mir wäre bedeutend wohler, wenn man früher eingegriffen hätte. Aber es ist entstanden. In meinen Augen handelt es sich um…, um ein ungewolltes, wegen Unkenntnis falsch erzogenes, verkrüppeltes Kind… Oder stell dir das vor: Ein junger Mensch erwacht nach einem Unfall gelähmt und geistig irreversibel gestört. Willst du ihn töten, nur weil er zeitlebens jenseits unserer Gesellschaft stünde?«
Er senkte den Kopf und schwieg.
«Im übrigen sage ich eins: Ein Gesetz, dessen Berechtigung mir niemand verständlich darlegen kann, bindet mich nicht.«
«Ich bin nicht die Kommission«, warf er ein,»ich kann ihre Prinzipien nur schlecht formulieren.«
«Einverstanden. Aber das ist nicht schlimm. Sobald wir den Fall gemeldet haben, kreuzen die Experten auf.«
«Ich glaubte fast, du wolltest es verschweigen.«
«Harald! Nein, aber jenen Leuten gegenüber werde ich die Rechte des Trioms verfechten, und wenn ich vor den Internationalen Gerichtshof gehen müßte. Wir sind in diese Sache gestolpert, aber man muß sich mit Würde herausziehen.«
«Toni, du hast mich in eine Falle gelockt, aber matt bin ich noch nicht. - Unterstellt, wir sprächen dem Triom die üblichen Rechte zu: Dürfte es dann nicht Partner fordern? Selbstverständlich, denn jeder hat ein Recht auf Gemeinschaft. Weitere Triome müßten produziert werden. Willst du das?«
Ich zögerte. Keine leichte Frage.
«Weiter: Es kann ein freies Leben beanspruchen, aber wo? Die Erde mit ihren biologischen, klimatischen und geografischen Verhältnissen scheidet für solche Wesen wohl aus. Im ganzen Sonnensystem gibt's keinen geeigneten Planeten. Darüber hinaus wird unsere Raumfahrt in absehbarer Zeit kaum kommen. Die Hybriden müßten auf Generationen unter Glas leben — vegetieren. Ausgeschlossen.«
Unrecht hatte er nicht. Oder?» Halt, halt! Vorerst wissen wir beinahe nichts über die Umweltbedingungen, die ihm zusagen. Sie können sich kaum allzusehr von den unseren unterscheiden — das Triom entstand schließlich aus Erdwesen-Chromosomen. «Da er nachdenklich wurde, bekam ich Oberwasser.»Außerdem ist noch nicht sicher, daß es intelligent ist und somit Rechte besitzt.«
Harald schüttelte den Kopf.»Ein Kalmar, pfui!«
«Auch ein Häßlicher ist ein Mensch. Komm, schauen wir das Triom noch einmal an. Anschließend rufe ich meine Chefs an und löse die Lawine aus.«
Er folgte mir schweigend.
Handelte ich richtig, die Erfahrungen einer ganzen Generation zu attackieren? Sie hatten dem ungezügelten Wissensdurst scharfe Bremsen eingebaut. Aus triftigem Grund. Aber die Situation war heute anders. Und da niemand um nichts eine diesbezügliche Debatte anstoßen würde, kam der Fall Malloy gerade recht.
Wir standen an der Glasfront und beobachteten die lebende Skulptur.
«Eklig, abnorm. Das Ding muß eliminiert werden!«
«Und mir tut es irgendwie leid. Es hat doch noch gar nicht gelebt.«
«Leid? So etwas Widerliches!«Er lachte gereizt.
Zugegeben, der Anblick erregte Schwindel, ja Übelkeit. Ob es am kalten bläulichen Licht lag?
Ein Ruck ließ mich taumeln. Harald war gegen mich gestürzt und klammerte sich instinktiv fest. Grau war sein Gesicht und entsetzlich alt.
«Ich…, ich muß mich setzen. Mir ist so… schwindlig.«
Ich schob ihm den Stuhl zu und drückte ihn hinein.»Leidest du an Kreislaufschwäche? Ein schöner Arzt, der nicht auf sich achtgibt! Brauchst du die Nothilfe, deine Assistenten?«
«Nein… Gehen wir nach oben! Das muß das Triom sein.«
Das Triom? Ich blickte auf die nervös pendelnden Arme des Krakenwesens, auf sein Pseudoauge, spürte etwas wie.. einen lautlosen Ruf in mir, begriff und zog in instinktiver Reaktion den Folienvorhang zu.