Rimma Ifanowna saß im Garten in der Sonne unter einem Schirm, arbeitete an einem großen Rundkorb und sah Dr. Lallikow mit ihrem bekannten Grinsen an. Ihre Schönheit war so umwerfend, daß selbst Lallikow eine leichte Unsicherheit verspürte. Rimma trug eine tief ausgeschnittene Bluse, die man gewissermaßen als ein Fenster-chen zur unantastbaren körperlichen Vollendung empfinden konnte.
«Das ist aber selten«, sagte Rimma Ifanowna sofort.»Sie machen Besuche? Was soll das? Hier liegt niemand im Sterben.«
Sie konnte sich eine solche Sprache erlauben, man nahm sie ihr nicht übel. Von jeher, seit Jahrhunderten, nehmen in Rußland die Idioten eine gesellschaftliche Sonderstellung ein. Es gab sogar eine Zeit, in der man die Stammler und Epileptiker Heilige nannte und ehrfurchtsvoll um sie herum saß, wenn sie ihre Anfälle hatten. So etwas wurzelt tief und läßt vieles erklären, was an Rußland unverständlich erscheint.
Dr. Lallikow lachte väterlich, setzte sich neben Rimma auf die Holzbank, blickte in den tiefen Blusenausschnitt und stellte fest, daß Rimmas rote Haare wie dünnste Seide waren. Der leichte Wind hielt sie in ständiger Bewegung.
«War Victor Semjonowitsch schon da?«fragte er geradeheraus. Bei
Rimma Ifanowna waren keine diplomatischen Umwege nötig. Ihr unkomplizierter Geist begriff nur das Direkte.
«Wer ist Victor Semjonowitsch?«fragte Rimma zurück.
«Jankowski.«
«Nein.«
«Was heißt nein?«
«Er war nicht da.«
«Nicht mit seinem Apparat?«
«Mit welchem Apparat?«
«Mit dem Fotoapparat. Er wollte doch fotografieren.«
«Mich? Schon wieder?«
Dr. Lallikow spürte, wie es heiß in ihm aufwallte. Die Dinge komplizierten sich, das war nun offensichtlich. Er hatte von Rimma auch hier ein Nein erwartet; nun stellte sich heraus, daß der hyperpotente Jankowski auch Rimma vor die Linse bekommen hatte. Es gab also nicht nur ein Opfer — Galina Iwanowna —, sondern zwei, und damit war die Frage wieder völlig offen, wer nun die unbekannte Nackte ohne Kopf auf den Fotos war. Außer Zweifel stand, daß alle Aufnahmen die gleiche Person zeigten. so völlig ähnlich hätten zwei Frauenkörper nicht sein können.
«Schon wieder«, wiederholte Dr. Lallikow mit einem heiseren Beiklang.»Wann hat er denn.?«
«Ich weiß nicht. Mich interessiert kein Kalender.«
«Aber es war erst vor kurzem?«
«Ja, das war es.«
Rimma grinste lieb und blöd. Dr. Lallikow verstand die Schöpfung nicht mehr, die in eine solche Schönheit so wenig Gehirn investierte.
«Wo hat er dich fotografiert?«fragte Lallikow direkt.
«Auf der Wiese. Ich mußte einen Strauß weißer Margeriten halten und mein Haar darumlegen. >Das sieht wunderbar aus<, hat er gesagt. >Die weißen Blüten und deine roten Haare. Das Bild verkaufe ich an eine Illustrierten Er will mir dann die Illustrierte schenken.«
Dr. Lallikow nahm die dicke Brille ab und putzte die Gläser. Hier stimmt etwas nicht, dachte er. Von einem Blumenstrauß war auf den Fotos nichts zu sehen. Außerdem waren sie schwarzweiß. Hochglänzend. Da muß ein Irrtum vorliegen. Auf jeden Fall weiß man aber jetzt, daß Rimma Ifanowna ein williges Modell gewesen ist. Einen Film hat der raffinierte Jankowski mit den Blümchen verknipst, den anderen Film hat er dann mit anderen Flächen belichtet. So wird es gewesen sein, ohne Zweifel.
«Es war ein Farbfilm?«fragte Dr. Lallikow leichthin.
«Ja, natürlich.«
«Der zweite Film auch?«
So etwas nennt man eine Fangfrage. Wer da nicht höllisch aufpaßt, tappt in die Falle. Rimma Ifanowna in ihrer Einfalt merkte die Grube nicht. Sie sagte unbefangen:»Ich nehme es an.«
Dr. Lallikow atmete rasselnd aus. Überführt! Der Triumph der Logik! Man konnte jetzt sogar rekonstruieren, wie Jankowski vorgegangen war, um die naive Rimma zu solchen Fotos herumzukriegen. Über den Umweg eines Margeritenstraußes. Einfach genial, das mußte man zugeben.
«Mein verführtes Kind«, sagte Dr. Lallikow in ehrlicher Erschütterung. Er wagte gar nicht, ins Detail zu gehen und zu fragen, wie Jankowski es Rimma erklärt haben mochte, daß eine Rasur den künstlerischen Eindruck noch verstärkte. Seine Fantasie reichte aus, sich diese Szene auszumalen — sie war von atemberaubender Dekadenz.»Du hast es nicht überblickt. Du brauchst dich nicht zu schämen.«
«Warum sollte ich mich schämen? Weil ich in eine Illustrierte komme?«
«Natürlich! Das rothaarige Blumenkind! Hach!«Dr. Lallikow stand auf und strich Rimma Ifanowna wie tröstend über das herrliche Haar.»Wer weiß noch von diesen Fotos?«
«Niemand. Ich will damit alle überraschen.«
«Das wird dir gelingen. «Dr. Lallikow blickte noch einmal in ihren Blusenausschnitt und dann in ihre grünblauen Augen. Ihr ewiges, dummes Lächeln war für einen Eingeweihten erschütternd. Welch ein Lüstling, dieser Jankowski, dachte Lallikow. Er scheut vor gar nichts zurück.»Sprich auch nie darüber«, sagte er zu Rimma und tätschelte ihr die Wange.»Und vergiß das alles schnell. Und wenn Jankowski kommt, laß ihn nicht mehr in dein Haus.«
«Was soll ich ihm denn sagen?«
«Schick ihn zu mir.«
«Gut. «Rimma Ifanowna wandte sich wieder ihrem großen Rundkorb zu.»Ich werde ihm bestellen, daß er Sie auch fotografieren soll.«
Dr. Lallikow wollte noch etwas sagen, wischte die Worte dann aber mit einer Handbewegung weg in dem Bewußtsein, daß Rimma keinen Zugang zur Logik hatte.
Die schöne Witwe Alla Philippowna Sitkina tat so, als habe sie Dr. Lallikow erwartet. Sie brachte duftenden Tee, einen kleinen Butterkuchen und eine Flasche Moosbeeren-Likör, setzte sich dann ihm gegenüber, und es genierte sie nicht im geringsten, daß ihr Morgenrock dabei über den Knien aufklaffte und ihre schönen, schlanken Beine bis zu den Hüften sehen ließ. Lallikow wagte einen schnellen Blick… die Witwe Sitkina trug ein enges, fliederfarbenes Höschen. Das Corpus delicti war also verborgen. Daß Alla Philippowna noch am frühen Nachmittag im Morgenrock und darunter ziemlich entblößt herumlief, erstaunte Dr. Lallikow kaum. Der Ruf der Sitkina hatte sich nach dem tragischen Tod ihres Mannes rapide verschlechtert. Bis nach Swerdlowsk sollten sich ihre Liebhaber verteilen.
«Unser Freund Jankowski«, sagte Dr. Lallikow gemütlich.»So vielseitig begabt und unermüdlich. Die Fotos, die er von Ihnen machte, meine liebe Alla Philippowna, sind wahre Kunstwerke.«
«Sie haben sie gesehen?«rief die Sitkina ohne die geringste Hemmung aus.»Das freut mich, lieber Doktor! Ich finde sie wundervoll!«
Dr. Lallikow wackelte mit der Nase, mußte seine Brille putzen und bescheinigte innerlich Jankowski eine geradezu phänomenale Männlichkeit. Galina Iwanowna, Rimma Ifanowna und nun auch noch Alla Philippowna, und das alles in einer Woche. Hut ab, Victor Semjonowitsch! Der Beruf eines Geologen muß unheimlich kräftigend sein. Viel frische Luft, das Blut dadurch voller Ozon, immer draußen in der Natur — das wirkt sich aus.
«Die Fotos sind erstaunlich«, sagte Lallikow, mit der Zunge schnalzend.
«Und vor allem so natürlich.«
«Das wollte ich damit sagen.«
«Zum Hingreifen plastisch.«
«Das ist nicht zu leugnen.«
«Was haben Sie gedacht, Doktor, als Sie die Fotos sahen?«fragte die Sitkina sichtlich begeistert.»Sagen Sie es mir. Was haben Sie spontan gedacht?«
«Spontan?«
«Ja.«
«Donnerwetter!«
«Wirklich?«
«Ja, Donnerwetter!«Lallikow sah die Sitkina sichtlich erschöpft an.»Was soll man anderes dazu sagen?«