«Die gesamte Komposition stammt von Jankowski.«
«Das habe ich mir gedacht. So etwas fällt auch nur ihm ein.«
«Genau das habe ich ihm auch gesagt.«
«Und wie hat der gute Victor Semjonowitsch darauf reagiert?«
«Er hat gelacht. Er kann so herrlich lachen. So jungenhaft. So bezwingend.«
«Das ist der richtige Ausdruck: dieser liebe Junge. «Dr. Lallikow sprang auf. Die Sitkina blickte erstaunt zu ihm empor.
«Sie wollen schon wieder gehen, Doktor? Nicht noch ein Likör-chen?«
«Heute war ein anstrengender Tag.«
«Wenigstens einen Schluck Tee. Und ein Stückchen Kuchen. Mit bester Butter. Simon Michailowitsch, bei mir können Sie sich ausruhen. Hier stört Sie niemand.«
«Ich bin dessen nicht so sicher.«
«Aber ja. Wenn ich Besuch habe, lasse ich am Fenster über der Tür die Jalousie herunter. Da weiß gleich jeder: besetzt. «Die schö-ne Witwe Sitkina goß Tee nach und zerteilte den Butterkuchen.»So lange Sie bleiben, Doktor Lallikow, ist hier die Ruhe einer einsamen Insel um Sie.«
Sie läßt die Jalousie herunter, dachte Lallikow. Das ist ihr rotes Licht. Besetzt. Man lernt nie aus. Im gleichen Augenblick fiel ihm ein, daß man ihn beobachten könne, wie er nachher das Haus der Sitkina verließ und sie die Jalousie wieder hochzog. Freie Fahrt. Der Nächste. Böswillige könnten dabei selbst bei einem Arzt auf abwegige Gedanken kommen.
Lallikow wurde rot, trank im Stehen seinen Moosbeeren-Likör und ging zur Tür.
«Ein Arzt hat nie Zeit«, sagte er entschuldigend.»Wenn Sie wüßten, Alla Philippowna, was mich heute abend noch alles erwartet.«
«Ich glaube es Ihnen. «Die Sitkina erhob sich, ordnete ihren Morgenrock und brachte Lallikow zum Ausgang. Dabei zog sie die Jalousie hoch, was Lallikow wie eine Provokation empfand.»Nur eine Frage noch. Warum sind Sie überhaupt zu mir gekommen, Simon Michailowitsch?«
«Es ging um die Klarstellung einer Klarheit.«
«Wie bitte? Erklären Sie mir das, mein Lieber.«
«Es wäre zu kompliziert, Alla Philippowna. Nehmen Sie hin, daß ich mich nur erkundigen wollte, wie es Ihnen geht. Ich habe mich davon überzeugt, daß nichts auszusetzen ist.«
Auf der Straße blieb er ostentativ stehen, damit auch alle sahen, daß er aus dem Haus der Sitkina kam und er nichts zu verbergen hatte. Dann ging er würdevoll weiter, machte einen Abstecher zur Apotheke und ließ sich im Rezepturraum auf einen Stuhl fallen. Dudorow, der Apotheker, sah ihn besorgt an.
«Was haben Sie?«fragte er ihn hastig.
«Ich brauche einen großen Wodka«, sagte Dr. Lallikow erschöpft.»Am besten gleich 100 Gramm. O Himmel, fragen Sie nicht, Ak-bar Nikolajewitsch! Es gibt Dinge körperlicher Konsistenz, die auch medizinisch nicht erfaßbar sind.«
Daraufhin trank er den Wodka wie Wasser und versank in dump-fes Brüten.
Am Abend trafen sie sich wieder bei Väterchen Mamedow.
Sie traten, da sie sich auf der Straße begegnet waren, alle gemeinsam ins Zimmer, zuerst Kasutin, dann Babajew, am Ende Dr. Lallikow.
Der Pope saß regungslos auf seinem Stuhl und sah ihnen stumm entgegen. Er schien sich die Haare gerauft zu haben, denn deren sonst so gepflegte weiße Pracht wirkte unordentlich und irgendwie zerstört. Mit einem trüben Blick nahm er wahr, daß die drei sich setzten. Dr. Lallikow legte einen Bogen auf den Tisch: die verfluchte Liste der schönen Weiber von Nowo Korsaki.
«Gehen wir gleich zur Sache«, sagte Dr. Lallikow.»Die Frage ist gelöst, indem man sie nicht lösen kann. Die Ergebnisse der Nachforschungen sind deprimierend. Sie sprengen alle Vorstellungen, übertreffen selbst medizinisch die Erkenntnisse männlicher Physiologie. Ich bin glattweg erschüttert.«
«Sprechen Sie nicht weiter«, stöhnte Väterchen Akif voller Qual.»Ich durchleide seit Stunden das Fegefeuer. Ich büße ehrlich. Aber ich muß es sagen: Ja! Sie ist es!«
«Wer?«rief Kasutin und beugte sich vor.
«Sie hat es gestanden«, sagte Mamedow.»Mit der Wurzel einer japanischen Kirsche fing es an. Es ist Stella Gawrilowna.«
«Was ist sie?«fragte Dr. Lallikow und wurde bleich.
«Das unanständige Modell«, röhrte Väterchen Akif.
«Wer kann das noch ertragen?«stammelte Lallikow.»Ich kaum.«
«Ich werde daran zerbrechen«, stöhnte Akif Victorowitsch.
«Das ist unglaublich. «Lallikow hielt mit beiden Händen seine dicke Brille fest.»Jetzt sind es vier. Vier in einer Woche. Ob das wirklich die ozonhaltige Luft bewirkt?«
Kasutin hob beide Hände und wedelte mit ihnen in der Luft.»Ich weiß nicht, was ihr redet«, sagte er verwundert.»Der Fall ist doch ganz einfach. Durch einen Zufall, so im Vorbeigehen, habe ich ihn gelöst. Eine ganz simple Sache: Es ist Antonina Pawlowna Zwetkowa.«
«Nein!«stöhnte Dr. Lallikow.»Nein! Pjotr Dementijewitsch, bringen Sie mich nicht um! Widerrufen Sie das!«
«Es ist die Wahrheit: Der Körper ohne Kopf gehört der schönen Antonina.«
«Ich überlebe das nicht«, stammelte Lallikow.»Das ist schlimmer als in einem altgriechischen Drama.«
«Der Körper gehört Stella Gawrilowna«, sagte Väterchen Akif dumpf und wie schon jenseits dieser Welt.»Ich weiß es genau.«
«Wenn ein Pope das genau weiß.«, ließ sich der verschüchterte Babajew vernehmen.
«Und warum läßt sich die Zwetkowa Päckchen mit Enthaarungscreme schicken?«regte sich Kasutin auf.»Ist das kein Beweis?«
«Sie läßt sich.«, flüsterte Lallikow.»O nein!«
«Über Dudorow. Ich war dabei, als die Creme ankam. Enthaarungscreme! Wer kann da noch etwas sagen? Und Jankowski ist mindestens dreimal in der Woche bei Zwetkow zu Gast. Wollt ihr alle Logik auf den Kopf stellen?«
«Ja. «Dr. Lallikow strich mit beiden Händen über die Liste, als sei sie ein wertvolles Pergament aus grauer Vorzeit.»Ich kann es beweisen.«
«Ich auch«, schloß sich AkifVictorowitsch an.
«Gehen wir methodisch vor. Ich rufe die Namen auf. «Lallikow holte tief seufzend Atem.»Dunja Sergejewna — «
«Ist doch einwandfrei gestrichen!«rief Kasutin.
«Sie Glücklicher«, brummte Akif.
«Galina Iwanowna — hat gestanden«, sagte Dr. Lallikow laut.
«Wie man sich täuscht«, meinte Babajew.
«Stella Gawrilowna.«
«Hat gestanden«, stammelte Väterchen Mamedow.
«Rimma Ifanowna — hat gestanden.«
«Mir wird schwarz vor den Augen«, flüsterte Babajew, der plötzlich das ganze Ausmaß der Tragödie überblickte.
«Alla Philippowna Sitkina — hat gestanden. - Antonina Pawlowna Zwetkowa.«
«Hat mit dem Bezug von Enthaarungscreme gestanden«, fiel Kasutin ein.
«Das sind fünf. Alle fünf auf der Liste. «Dr. Lallikow lehnte sich weit zurück.»Alle fünf sind überführt, die unanständigen Modelle des Genossen Jankowski zu sein. Aber nur eine kann es wirklich sein! Nur eine auf diesem Film! Doch wer? Wer?« Lallikows Stimme wurde fast weinerlich.»Liebe Genossen, ich stelle fest: Wir sind genau an dem Punkt angelangt, an dem wir am Anfang standen. Wir wissen nichts. Wem gehört der Körper ohne Kopf?«
«Wir wissen nur eins«, sagte der unselige Babajew heiser.»Jankowski hat sie alle fotografiert… so fotografiert! Sie… sie haben ja alle gestanden.«
«Man muß ihn umbringen«, sagte Akif kaum hörbar.»Dieser Victor Semjonowitsch ist ja ein sexuelles Monster. Man muß die Welt von ihm befreien.«
«Er versetzt uns in diese Zwangssituation, ja. «Dr. Lallikow starrte Kasutin und Babajew mit hervorquellenden Augen an. Durch die starken Brillengläser sah das noch grausiger aus.»Was schlagen Sie vor, Genossen?«
«Man sollte Zwetkow einen Wink geben«, sagte Babajew.»Vielleicht vergiftet er Jankowski beim nächsten Abendessen.«
«Dann würde man Rassul Alexejewitsch als Mörder verhaften. Wäre das gerecht? Ich sage: nein!«Kasutin hieb mit der Faust auf den Tisch.»Man müßte Jankowski draußen in den Wäldern, wenn er nach seinen Steinchen sucht, überfallen und entmannen.«