Der Pope Mamedow erstarrte in heiligem Zorn, als er Jankowski nicht allein in der Schlucht
vorfand.
Korbflechterin in der steinigen Grube eines Geologen zu suchen hatte. Eine berufliche Interessengemeinschaft war auf jeden Fall zu verneinen.
«Muß sie dabei sein?«fragte er streng und zeigte auf Rimma wie auf eine neugierige Ziege.»Ist sie bei deiner Arbeit sehr vonnöten? Das zu beurteilen, obliegt nicht mir, mein Sohn.«
«Rimma Ifanowna gab mir einen Hinweis«, sagte Jankowski.
«Soso.«
«Sie zeigte mir einige bisher unbeachtete Stellen.«
«Aha. «Akifs Bart sträubte sich. Der Pope war versucht, Rimma niederknien und ihre Reue laut aussprechen zu lassen, aber in Anbetracht der anderen wichtigen Klärungen verzichtete er auf strengere Gewissenserforschungen.»Das gute Mädchen!«
«Ich bin sehr zufrieden mit ihr.«
Akif Victorowitsch bezwang sich, diese Ungeheuerlichkeit ruhig zu schlucken. Es war schon eine enorme Leistung von Selbstbezwingung damit verbunden, Rimma mit umflorten Augen anzusehen und sich vorzustellen, wie dieses herrliche Geschöpf sich im Wald, in einer Steinschlucht, auf einem Klappbett unter einem Holzdach frohgemut vergaß. In Mamedows Händen zuckte es. Der heilige Zorn drängte ihn geradezu, mit Jankowski eine Schlägerei anzufangen. Er griff sich an die Brust, fühlte unter dem Priesterkleid den länglichen, harten Gegenstand und war zufrieden. In der Notwehr ist eine Pistole immer der beste Freund. Die Zeit der Märtyrer ist vorbei… oder besser gesagt: Man soll Seligsprechungen solcher Art tunlichst aus dem Wege gehen.
Akif wartete, bis Rimma Ifanowna die Leiter hinaufgeklettert war, wobei sie viel Bein und Schenkel zeigte, dann hörte man das Knattern eines schweren Motorrades. Jankowski ging unter das Dach zu dem Klappbett.
«Nun sind wir allein«, sagte er.
«Ja, nun sind wir allein. «Der Pope kam auch unters Dach, zögerte, mied das Lasterlager und setzte sich auf die Kiste.»Eine große Stunde.«
Victor Semjonowitsch sah AkifVictorowitsch fragend an. Dieser faltete die Hände.
«Wir sollten offen miteinander sprechen«, begann er in gütigem Ton.»Mein Sohn, wir haben beide die gleichen Namen… das sollte uns verpflichten und einander näherbringen. Jegliche Lüge sollte von uns abfallen, die Reinheit einer Taube sollte unserem Gemüt eigen sein, die Brüderlichkeit sollte unsere Herzen öffnen. «Er beugte sich vor und starrte Jankowski wie ein Gewürgter an.»Was hast du mit Stella Gawrilowna getan, mein Sohn?«
«Sie versorgt mich mit frischen Blumen«, antwortete Jankowski freimütig.
«Und sonst?«
«Ab und zu mit Töpfen.«
«Und darüber hinaus?«
«Sie ißt so gerne Blinis mit Essigpilzen. Da habe ich sie zum Essen eingeladen. Ich habe eine besondere Art, Blinis zu backen.«
«Nicht nur das!«unterbrach Väterchen Akif gereizt.»Was war mit der japanischen Kirsche?«
«Damit? Stella Gawrilowna besorgte sie mir. Hat sich das schon herumgesprochen?«
«Und wie es sich herumgesprochen hat!«erklärte Mamedow mit Betonung.
«Ein Prachtexemplar. «Jankowskis Miene strahlte.»Wenn man sie richtig pflegt, entwickelt sie eine Blüte.«
Väterchen Akif tastete nach seiner Pistole unter dem Kittel und seufzte verzweifelt. Er wußte, welch ein Prachtexemplar Stella Gawrilowna war, dazu benötigte man nicht die Erkenntnis eines Jankowski. Aber es war interessant zu erfahren, welcher besonderen Pflege es bedurfte, sie noch mehr aufblühen zu lassen. In Mamedows Inneren spannte sich alles, als er fragte:»Gehört Fotografieren dazu?«
«Selbstverständlich habe ich sie auch fotografiert«, erwiderte Jankowski ahnungslos.»So etwas muß man im Bild festhalten! Ich fotografiere alles, was mit Schönheit zusammenhängt. Wir sind ja eine Gemeinschaft der Blinden, wir sehen gar nicht mehr, wieviel Herr-lichkeit es um uns herum gibt. Die kleinsten Dinge, und mögen sie noch so nackt sein, verbergen in ihrer Form einen Rhythmus.«
Mamedow zuckte schmerzhaft zusammen. In seinem Kopf brodelte es. Welche Schamlosigkeit! Welche Infamie!
«Ich will ein Buch über die Schönheit herausbringen«, fuhr Jankowski fort.»Über die unbemerkte Schönheit um uns herum. Die Vollendung der Nichtigkeiten. Haben Sie schon mal einen einfachen Pflasterstein genau betrachtet, Väterchen? Oder einen Pflaumenkern? Dieses Wunder der Natur? Oder ein Stück Birkenrinde? Oder einen Käfer, der ein Blättchen zersägt? Das sind Wunder, an denen wir achtlos vorbeigehen.«
«An Stella Gawrilowna geht niemand achtlos vorbei«, sagte Akif rauh.»Sie kommt auch in dein Buch, mein Sohn?«
«Vielleicht. Die Auswahl der Fotos nehme ich erst im Winter vor. Vorläufig suche und fotografiere ich noch.«
«Aha. Es geht also so weiter?«
«Es soll ein besonderes Buch werden, Väterchen.«
«Das wird es bestimmt.«
Akif Victorowitsch kämmte mit beiden Händen seinen Bart.»Hast du keine Angst, daß dir bei der Ausübung deines Berufes etwas zustößt?«
«Damit muß man immer rechnen.«
«Du gehst gefahrvolle Wege, mein Sohn.«
«Im Augenblick nicht. Rimma Ifanowna hat mich auf etwas hingewiesen, das sie von ihrem Vater weiß und das in keiner Karte verzeichnet steht: Hier in der Gegend muß es ein kleines Bergwerk gegeben haben. Ein winziges nur, betrieben von ein paar Abenteurern, bis der letzte wegstarb. Sie schürften nach Edelsteinen. Diamanten! Rimma weiß die genaue Stelle nicht, aber diese muß hier in den engen Schluchten zu finden sein. Ich habe genug zu tun.«
Akif hatte wenig Interesse an Steinfunden, er hörte nur heraus, daß Jankowski entgegen aller Vermutungen nicht so bald abreiste.
«Du bleibst also noch länger hier?«fragte er.
«Nowo Korsaki ist ein idealer Ort. Geologisch interessant. und ich habe daneben auch noch Zeit genug, mein Fotobuch herauszubringen. Später will ich einen Erlebnisbericht schreiben.«
«Auch das noch! Du bist ein fleißiger Mensch!«Väterchen Ma-medow atmete heftig.»Alle Erlebnisse?«
«Ja. Man wird staunen.«
«Das ist zu erwarten. Victor Semjonowitsch, ich werde für dich beten müssen. Du wandelst auf gefährlichem Pfad. Warum beschränkst du dich nicht darauf, Diamanten zu suchen?«
Jankowski betrachtete den Popen mit Ehrfurcht und in stillem Staunen. Ihm war völlig unklar, was Akif mit seinem Gerede ausdrücken wollte. Noch weniger verstand er, daß sein Beruf so gefährlich sein sollte. Zugegeben, es konnte vorkommen, daß ein alter Stollen einstürzte und man verschüttet wurde, aber dagegen traf man Vorkehrungen, indem man die Gänge erst einsturzsicher abstützte, ehe man in die Tiefe vordrang. Immerhin war es rührend, daß der Pope sich um sein Wohlergehen solche Sorgen machte und ihn extra in der Schlucht aufsuchte. Vom Fotografieren schien Väterchen Akif allerdings gar nichts zu halten, obgleich Jankowski ihm einige sehr gute Bilder der Kirche geschenkt hatte, die auch bei ihm an den Wänden hingen, zusammen mit den Aufnahmen von Babajew. Der Plan mit dem Fotobuch begeisterte ihn offensichtlich dennoch nicht.
«Vielleicht werde ich später nur noch Bücher herausbringen«, sagte Jankowski ahnungslos.»In der künstlerischen Fotografie liegt eine große Zukunft.«
Akif Victorowitsch brachte es nicht übers Herz, Jankowski jetzt und hier niederzuschießen und dann ein großes Geschrei anzustimmen, eine Bande von Wilderern habe den guten Mann ermordet. Ja, wäre es zum Streit gekommen, hätte man im rasenden Zorn gehandelt, wäre das Blut in den Adern zum Wildbach geworden; hätte Jankowski z. B. Einzelheiten seiner Exzesse mit Stella Gawrilowna preisgegeben, dann hätte Mamedow seine Pistole gezogen und ohne Reue abgedrückt. Aber nichts dergleichen war ja geschehen. Jankowski war ein freundlicher Junge, erzählte von seinen Plänen, erklärte unbefangen, daß es hier Diamanten geben könne, kündigte seinen Er-lebnisbericht an. Väterchen Akif sah sich außerstande, bei soviel Freundlichkeit zu töten. Der Bursche war von einer solch teuflischen Brüderlichkeit, daß Akifs Hand davon gelähmt wurde.