«Die Schlechtigkeit der Menschen ist erschreckend«, sagte Antonina Pawlowna.»Ich hätte nie gedacht, daß in unserer kleinen, schönen Stadt solche bösen Elemente leben. Victor Semjonowitsch, nun wissen Sie alles… wie sollen wir uns verhalten?«
Jankowski aß seine Pastete zu Ende, trank einen Schluck Krimwein und tupfte sich die Krümel aus den Mundwinkeln.»Mein Rat wäre: ignorieren; Stolz zeigen, Erhabenheit gegenüber einer verfallenden Welt. Sie sind Zwetkow, Rassul, Alexejewitsch! Sie sind unangreifbar! Der Anonyme wollte Sie ja aufregen — tun Sie ihm nicht den Gefallen. Gehen Sie in die Offensive: Loben Sie öffentlich, in der Apotheke Dudorows, die Enthaarungscreme.«
«Ha! Das ist ein Gedanke! Victor Semjonowitsch, Sie sind ein Freund, nicht mit Gold aufzuwiegen. Ich möchte Sie küssen wie einen Bruder. «Zwetkow breitete die Arme aus. In solchen Augenblicken faltete ein Uneingeweihter still die Hände und wartete darauf, daß Zwetkow einem Schlaganfall erlag.»Ja, so mache ich es. Was hätte ich zu verlieren? Bin ich ein anderer Mensch mit oder ohne Haare? Ich werde es ihnen zeigen. Jankowski, Brüderchen, Sie haben mir mein Selbstvertrauen wiedergegeben.«
Um seine Wandlung zu beweisen, wälzte er sich zum Telefon und rief den Apotheker Dudorow an. Der arme Akbar Nikolajewitsch erschrak bis ins Mark, als er schon wieder Zwetkows Stimme vernahm, und lehnte sich mit schwachen Knien an die Wand.
«Wissen Sie, was eine hormonelle Störung ist?«schrie Zwetkow.
Dudorow verdrehte die Augen und verfluchte den schwatzhaften
«Ich möchte Sie küssen wie einen Bruder!«Zwetkow breitete die Arme aus.
Kasutin. Mit vorsichtiger Stimme antwortete er:»Genosse Zwetkow, wir sollten darüber in aller Ruhe reden.«
«Ich habe eine! Mir wachsen wallende Haare dort, wo ich sie nicht gebrauchen kann. Können Sie sich das vorstellen?«
«Ja«, krächzte der Apotheker Dudorow, nur irrte er sich gedanklich in der Richtung.
«Und ich bekämpfe den Wald mit Creme.«
«Warum sagen Sie mir das, Genosse?«stammelte Dudorow.
«Damit Sie das Mittel weiterempfehlen können, Akbar Nikola-jewitsch«, antwortete aufgeräumt Zwetkow.»Es könnte ja jemand zu Ihnen kommen, der auch Mühe mit solchem Haarwuchs hat. Nennen Sie mich als Referenz, ich habe nichts dagegen.«
Er warf den Hörer auf die Gabel, drehte sich zu Jankowski und Antonina Pawlowna um und blähte sich auf.»Wie war das?«fragte er.»War das richtig? Hat das hingehauen?«
«Du warst fantastisch!«rief Antonina und klatschte in die Hände.»Grandios! Man muß dich bewundern!«
«Und jetzt das Dessert!«verlangte Zwetkow.»Vanille-Eis mit kandierten Preiselbeeren! Und ein Mokka-Likörchen! Ha — fühle ich mich befreit!«
Eine Stunde später sangen Jankowski und Antonina Pawlowna ihre Duette. Jankowski begleitete sie beide selbst am Klavier.
Es klang sehr gut, die Liebesszenen spielten sie mit aller gebotenen Diskretion — es war wirklich nur die Kunst, die sie zusammenführte.
Zwetkow hing in einem tiefen Sessel, hatte die Augen geschlossen und schlief. Satt, zufrieden, erlöst.
Kasutin hingegen wurde bestraft. Da er die Liste der Verdächtigen besaß, wurde er von Dr. Lallikow aus dem Bett aufgescheucht.
«Streichen Sie sofort Antonina Pawlowna!«bellte der Arzt.»Sie hat dort nichts zu suchen! Ihre Ehre steht außer jedem Zweifel! Ich verbürge mich als Arzt dafür!«
«Sie haben sie heute untersucht, Genosse?«Kasutin kratzte sich das Kopfhaar.
«Ich weiß es!«schrie Lallikow.»Mein Erinnerungsvermögen hatte nur nachgelassen!«
Verwirrt ließ Kasutin den Telefonhörer fallen.
Kapitel 4
In der Chronik von Nowo Korsaki verzeichnete man bisher sechs Überfälle, die Ruhestörungen in diesem paradiesischen Ort darstellten. Da war zunächst der historische Kosakeneinfall, der nach einiger Zeit dank der Aktivität und der Vorzüge der korsakischen Frauen kläglich in Desertion und Kolonisation endete und dem kleinen Ort zu einem unerwarteten Aufschwung verhalf. Die Überfälle Nr. 2–4 gingen auf das Konto herumstreifender Banden ausgebrochener Sträflinge und Abenteurer, die Sibirien als das große Land der Freiheit ansahen, wo jeder jeden umbringen konnte, wenn daraus nur Nutzen zu ziehen war. Diese Überfälle endeten ebenfalls kläglich. Die Nachkommen der Kosaken setzten den Banditen nach, fingen sie ein, gruben sie bis zum Hals in die Sümpfe ein, bestreuten ihre Häupter mit Zucker und wünschten dann den Delinquenten alles Gute. Nach zwei Wochen waren die Köpfe von riesigen Mük-kenschwärmen und Ameisenheeren abgenagt, und auch Füchse und Marder hatten die Abwechslung im Speiseplan geschätzt.
Überfall Nr. 5 war ein Irrtum: Rote Revolutionstruppen durchzogen das Gebiet von Nowo Korsaki, fanden es sehr destruktiv, daß im ganzen Ort keine rote Fahne aufzutreiben war, dagegen eine Kirche ihre Augen beleidigte, plünderten als Beitrag zur Aktion Befreiung vom Zarenjoch< den Ort und schenkten ihm dann eine rote Fahne. Sie stand noch heute im Parteihaus. Kasutin blickte sie ab und zu sinnend an und hütete sich, sie bei offiziellen Feiern ans Licht zu tragen.
Der sechste Überfall galt einem Transport. Aus Magnitogorssk hatte man die Lieferung von Strümpfen, Pullovern, warmen Hosen und anderen schönen Dingen angekündigt. Nowo Korsaki freute sich schon Tage im voraus auf diesen Segen der Planwirtschaft, der nun endlich auch diesem Teil Sibiriens zuteil werden sollte — aber der Lastwagen kam nie an. Suchtrupps, die verzweifelt die Gegend durchkämmten, entdeckten endlich den völlig ausgeraubten Wagen in einer Schlucht, doch auch die beiden Fahrer blieben verschwunden, was sehr verwunderlich war. Im allgemeinen läßt man Tote bei solchen Überfallen liegen. Man hat gar keine Zeit, sich um eine Beseitigung zu kümmern. So ergab sich also der Verdacht, daß die beiden Fahrer selbst das große Geschäft gemacht hatten und nun irgendwo im Süden zufrieden lebten. Da aber die nächste Sonderzuteilung für das Magazin in weiter Ferne lag, betrachtete man den sechsten Überfall als einen der schlimmsten, denn der Verzicht auf warme Unterhosen schmerzt jeden.
Und nun geschah in Nowo Korsaki der siebte Überfall. Eine kleine Sache, mehr intim und privatim, aber immerhin. Eine unbekannte Anzahl von Eindringlingen warf sich in tiefer Nacht auf den in seinem Bett schlafenden Geologen Jankowski, stülpte ihm einen Sack über den Kopf, fesselte ihn und stieß ihn aufs Bett zurück. Das geschah alles sehr schnell, fast lautlos, und Jankowski war auch viel zu überrascht, um an sofortige Gegenwehr zu denken. Bis er die Überlegenheit seiner sportlichen Muskeln ausspielen wollte, war er bereits bewegungsunfähig. Um Hilfe zu schreien, war ihm zuwider. erstens hätte es niemand gehört, und zweitens paßte es nicht zu seinem Charakter.
Er wartete, lag still, lauschte auf verräterische Geräusche, hörte Männer keuchen und hüsteln, schnaufen und murmeln. Stiefel scharrten, jemand setzte sich ächzend und rieb sich die Hände an den Hosenbeinen.
«Wenn ihr glaubt, Genossen, bei mir sei ein Haufen Rubel zu holen, dann kennt ihr nicht den sozialen Status eines kleinen Geologen«, sagte Jankowski, als niemand einen Laut von sich gab.»Mich aus-rauben zu wollen, ist geradezu lächerlich.«
«Wo haben Sie die Bilder?«fragte eine dumpfe, sichtlich verstellte Stimme. Es war die von Väterchen Akif, der eine Nuß zwischen die Zähne geklemmt hatte, um jegliche Ähnlichkeit mit seiner normalen Stimme zu unterbinden. Dr. Lallikow hatte sich vorgenommen, mit einer Fistelstimme zu sprechen. Kasutin wollte grunzen. Babajew, der vor Angst zitterte, hatte sich für eine dünnere Frauenstimme entschieden.