Выбрать главу

Unerwartet, aus dem Nichts, tauchte eine kleine Tankstelle auf. Nicht so schön neu wie alle anderen, die er bis jetzt gesehen hatte, im Gegenteil, sie war winzig und sehr alt, in zwei kleinen Fenstern brannte Licht. Kopp dachte erst, er wäre womöglich eingeschlafen, aber die Tankstelle war real und in Betrieb. Er hielt an. Ein alter, unrasierter Mann kam heraus, tankte ohne eine einzige Frage zu stellen das Auto auf und reinigte die Scheiben und die Lampen. Im Inneren des Häuschens ein Raum, darin ein Sammelsurium aus allen möglichen Waren, ein Vorhang trennte einen hinteren Bereich ab. Wohnt er dort? Wo sonst soll er hier wohnen? Eine Ölheizung verbreitete großen Gestank und kaum Wärme. Auch das ist eine Existenz, dachte Darius, während er Geld und Wechselgeld mit dem Alten austauschte.

Im Bauernhaus war es leidlich warm gewesen, inselweise um die Öfen herum, während es in manchen Ecken und Durchgängen eisig kalt blieb. Die Öfen waren aus Eisen, man durfte ihnen nicht zu nahe kommen oder sich gar gegen sie lehnen. Kopp hatte seine Klamotten beim Holzhacken durchgeschwitzt und fror. Eigentlich hätte er gleich wieder umkehren müssen, hätte er es rechtzeitig zurück nach Bayern schaffen wollen, aber das konnte er einfach nicht. Er konnte ebenfalls nicht mit seiner Frau darüber sprechen, dass das so nicht gehen wird, in diesem Winter, hier draußen. Denn es ging ja. Er wollte es nicht gleich wieder kaputt machen, schließlich hatten sie unter der dicken Decke, unter der es, wie überall im Haus, zugleich warm und kalt war, guten, wortlosen Sex, und so blieb er nicht nur den ganzen Sonntag — erneutes Holz hacken — sondern auch den Montag — Endlich darf ich auch mal mit meiner Frau Schnee schippen —, fuhr in der Nacht und war erst am Dienstagfrüh bei der Arbeit. Bin nicht durchgekommen.

Meine Frau kann einfach nicht mehr in die Stadt kommen, sagte Kopp zu Gero, während sie ihren Imbiss aßen.

Man hat uns ein Kind angeboten, sagte Gero. Ein Mädchen. Aber es ist behindert. Jetzt wissen wir nicht, ob wir es nehmen sollen oder nicht.

Sie knüllten ihre Becher zusammen und machten weiter.

Den Alten nach einem Kaffee fragen. Oder einem Tee. Warum trinken Sie bei diesem Sauwetter nicht einen Tee und bieten auch mir einen an? Es soll Ihr Schaden nicht sein. Aber steif, wie er sein kann, fragte Darius Kopp nicht nach einem Tee, obwohl er diesmal sogar das Wort dafür gewusst hätte. Stattdessen fragte er: Jerewan? Und zeigte hinaus auf die Straße. Der Alte nickte heftig und wiederholte Jerewan und sagte noch etwas von Snjeg, was mal halt so sagt, das Offensichtliche: es schneit. Das Entscheidende war, wie er es gesagt hatte: mit einer Unbekümmertheit, dass sich auch Darius Kopp wieder beruhigte. Es schneit, ich sehe nichts, ich kenne mich nicht aus, aber ist das nicht normal? In einer kleinen, verglasten Kühlvitrine lagen in Frischhaltefolie eingeschweißte Sandwiches. Zu helles, zu weiches, geschmackloses Brot, dazu noch gekühlt, danach verlangt es mich nun wirklich nicht, aber er kaufte eins. Aus Dankbarkeit, Mitleid und Sicherheitsdenken. Er legte das kalte Sandwich auf den Beifahrersitz. Die Sitzheizung ist an. Ich habe mein zu kaltes Sandwich während eines Schneesturms auf dem armenischen Hochplateau mit der Sitzheizung mundgerecht erwärmt.

Eine weitere Stunde durch Schneefall und Dunkelheit. Der Fluss war jetzt links, er dröhnte, der Asphalt war mittlerweile weiß geworden. Es ging nur mehr im Schneckentempo vorwärts, aber wenn du anhältst, schneist du ein, und das war's dann. Stell dir lieber nicht vor, wie es bei Tageslicht wäre, auch nicht viel anders, höchstens, dass man mal einen Ausblick auf den Fluss hätte, wie viel Wasser, welche Farbe, was schwimmt alles mit. Einmal ging eine Brücke links ab, eine schmale Brücke, unvorstellbar wohin, ins Nichts. Immerhin war soviel zu sehen, dass das Wasser nicht bis zur Brücke hochreichte. Und dann, hinter einer Kurve, tauchte das große, helle Haus auf.

So groß und hell wie aus einem Märchen, einem Traum. Ein neues, weißes Gebäue, weißer als der Schnee, gelb erleuchtete Fenster und eine rote Leuchtschrift: Sauna. Kaum hatte er sie erblickt, wurde auch schlagartig die Straße besser, auch das wie in einem Märchen, das letzte Stück wird dir leicht gemacht, etwas lockt dich und du lässt dich, du bist nicht in der Position, dich nicht locken zu lassen. Kopp fuhr direkt vor die zweiflügelige Eingangstür. Sie ging sofort auf und ein Page kam heraus, als hätte man nur auf ihn gewartet.

Nicht direkt auf ihn, sondern offenbar auf jemanden mit dem Namen Nazar.

Auf Armenisch:…? Auf Russisch: Sind Sie Nazar Soundso? I am sorry, sagte Darius Kopp.

Er ist es nicht, wird vom Rezeptionisten durch eine offene Tür nach hinten gegeben, an jemanden, der nicht zu sehen ist. Und zu Kopp: Was können wir für Sie tun? Sie wollen ein Zimmer?

Ja, wenn Sie eins haben.

Für eine Nacht?

I think so.

Eine Person?

Ja.

Sind Sie mit dem Auto da?

Ja. (Sie können es von hier aus sehen.)

Wir parken Ihren Wagen. Haben Sie Gepäck?

Er holte es selbst.

Wollen Sie in die Sauna gehen?

Ja, sagte Darius Kopp, dessen Augen vor Dunkelheit, Helligkeit, Kälte, Wärme und Trockenheit schmerzten. Oh ja. Aber gibt es vielleicht auch etwas zu essen? (Das kalte Sandwich auf dem Beifahrersitz. Dort bleibt es auch, bis er es, am nächsten Tag, wegwerfen wird.)

In der Saunabar gibt es ein Buffet. Essen und Trinken sind im Eintrittspreis inklusive, Massagen kosten extra.

Excellent, sagte Darius Kopp.

Die Saunabar war schön wie Weihnachten, die Flüssigkeiten in den Flaschen glänzten in allen Farben der Christbaumkugeln, das Buffet lagerte gleich daneben. Üppig dahingegossen auf einem purpurnen Tisch öffneten Obstsorten unbekannten Namens ihre Mitten. Über das Fleisch hingegen war schon hergefallen worden, die Teller waren größtenteils angegessen, aber es war immer noch genug da, um sich durch den Breiberg fressen zu können. Die nächste halbe Stunde war Darius Kopp in einem Tunnel. Spieße und Köfte, gefüllte Paprikaschoten und Börek, Gulaschartiges und Kebab, Tomaten, Koriander, Kreuzkümmel, Pfeffer, Senf und Sesam. Okraschoten, Bohnen, Kartoffeln, Auberginen, Bulgur, scharfer Käse und milder Käse und Käsebällchen, die sie vergessen hatten, rechtzeitig aufzutauen, so dass sie immer noch so kalt waren, als wären sie aus Schnee gemacht. Egal. Nach 8 Stunden im Schneesturm nur mit einem Hüfttuch bekleidet bin ich bereit, jeden um seinen Reichtum zu fressen. Kreisrundes Brot, salzige Oliven, scharfe Würstchen, gefüllte Weinblätter, Kichererbsenpaste und Mandeln, geschmorter Kürbis, Rosinen, Aprikosen, Äpfel und Zimt. Jemand hier kocht noch besser als Dawit aus Tbilisi. Ein Moment des Glücks. Do you like the food?

Mann an der Bartheke, ungefähr von Kopps Statur, nur dunkel. Bisher nur als Schemen wahrgenommen, ebenso wie die anderen, denn es gab da noch andere, verteilt im Raum, in unvermeidlichen ledernen Sitzecken, immer zwei Sofas und zwei Sessel, beleuchtet von unvermeidlichem Stimmungslicht und einem (hier: elektrischen) Kamin: wohl genährte Männer in Hüfttüchern und schlanke Frauen in Bikinis, die bei diskreter Saxophonmusik an langen Gläsern nippten.

Darius Kopp lächelte und bejahte aufrichtig. I really do.

Good armenian food.

Yes, sagte Darius Kopp und wischte sich mit einer sonnengelben Serviette den Schweiß von der Stirn. Das gute Essen und die Hitze. Die gute Hitze einer Saunabar nach einem langen Tag mit Autoheizung.