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April-September: Aushilfe in der Bäckerei Olga Leonidovna. Beginn

in der Frühschicht um 5:30. Ich war in meinem Leben noch nie so glücklich. April, Mai, Juni, Juli, August, September: glücklich. Ich trage eine rote Schürze und verkaufe 4 Stunden am Tag Backwaren. Außerdem verkaufen wir: Milch, Buttermilch, Fassbutter, Wurstwaren, Käse, Eier, gekochte Eier, Semmelbrösel, Eis, Marmelade, Fruchtsäfte, Cappuccino etc. Ich schmiere Brote für die Bauarbeiter und immer samstags spendiert Olga 4 Milchbrötchen mit Marmelade und Kaffee nach Wunsch einem alten Mann aus der Nachbarschaft.

Der dasitzt und jeden anmotzt. Die Kunden, sie mögen vorsichtiger sein beim Abfüllen der Milch, und mich sowieso bei allem. Das sind nicht 2,52, sondern 2,62! Krakeelt. Aber er hat unrecht, hält nur alles auf.

Ich bitte Olga, ihm zu sagen, er möge mich in Ruhe lassen.

Sag's ihm doch selber.

Ich sag's ihm. Er beschimpft mich unflätig. Ausländerin. Olga ist auch Ausländerin.

Sie ist Russlanddeutsche! Die können arbeiten! Wie sieht dein Haar schon wieder aus! Bind dein Haar zurück! Keiner will dein Haar in seinem Kuchen haben! Und krakeelt und krakeelt: Haar! Haar!

Kunden kommen herein. Ich fürchte, er würde weiterkrakeelen. Aber er bleibt still.

Und dann, als der Laden leer ist, fängt er wieder an.

Olga bittet ihn lachend, doch nicht so viel zu tottern. Die Flora ist

ein nettes Mädchen. Lassen Sie sie in Ruhe.

Da wartet er immer, dass Olga nach hinten ins Büro gehen muss, und murmelt nur die Beschimpfungen. Ich bitte Olga, samstags nicht mehr kommen zu müssen. Sie sagt, ich stelle mich an. Und wann, wenn nicht am Samstag, denke ich, brauche sie Hilfe? Da müsse sie jemand anderen einstellen. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich einen armen Bettler deinetwegen vor die Tür setze. Nein, das kann ich nicht.

Schließlich gab es doch ein Arrangement. Ich arbeitete nicht mehr samstags.

20

Wie geht's dir, wie lange hast du gebraucht?

5 Tage.

Oben- oder untenherum? Unten.

Hin oben, zurück unten?

Ja.

Was hat dir besser gefallen? Beides hat seinen Reiz. Gab es Schnee? In den Bergen, ja.

Der Weg nach Ankara soll eingeschneit sein. Zum Glück musste ich nicht nach Ankara. Wie dann?

Nach Izmir und dann mit der Fähre. Im Winter gibt es keinen Fährverkehr.

Aber ich… (habe es doch erlebt. Das Ionische Meer im Winter. Etwas Angst und etwas Freude. Etwas mehr Freude, weil ich unterwegs zu dir war. Dem einzigen Anlaufpunkt, den ich mir im Moment denken kann.)

Stavridis, jünger, dünner, eleganter, als Kopp ihn in Erinnerung hatte, hielt ihn lange in den Armen, betastete seinen Körper, besah sich Gesicht und Kleidung (unrasiert, und seit einer Weile gehe ich im Grunde in Lumpen), und all das so unverhohlen und durchdringend, dass Kopp ihn leider gleich viel weniger mochte, als es ihm lieb gewesen wäre. Dabei ist er die Herzlichkeit in Person. Es interessiert ihn nur überhaupt nicht, was du sagst. Wenn sich Kopp auf eigenes Erleben beruft, winkt er quasi ab:»Ach, du!«Als wäre Kopp derjenige, der dafür bekannt ist, Geschichten zu erzählen. Egal, alles unwichtig, Hauptsache, du bist hier, damit er die Regie über dich übernehmen kann.

Einen Reisenden versorgt man innerhalb der ersten Stunde mit Trank und Speis und zeigt ihm den Platz, wo er sein müdes Haupt betten kann bringt ihn zum Frisör. Das ist Jannis, wir kennen uns jetzt genau 55 Jahre, kannst du dir das vorstellen? Als wir hier aufwuchsen, reichte das Meer noch bis ans Ende dieser Straße. Komm, rasier ihn mal, keine Widerrede, du wirst dich danach wie neugeboren fühlen. Na, hab ich zu viel versprochen? Heutzutage wird nicht mehr so viel rasiert, wegen Aids, weißt du.

Der orientalische Winter hat bis Athen gereicht, die Luft ist kalt an den zu zart gewordenen Wangen und in den enthaarten Hörgängen, aber es scheint auch schon wieder die Sonne, von den Pomeranzenbäumen tropft Schmelzwasser in seinen Kragen, und Darius Kopp lacht endlich, während sein Freund ihn durch das nicht mehr Sichtbare führt. Als ich ein Kind war, war hier X, heute ist hier Y.

Kopp ist müde, wie man nach einer langen Reise müde ist, er merkt sich nur die größeren Details. Dass dort, wo einmal das Meer war, heute Fußballplätze unter Schnee liegen. Daneben unter Pappeln drei Wohnwagen. Zigeuner gab es auch damals schon hier. Ob das die Enkel derselben sind? Wenn ja, bedeutet das wohl, dass sie genauso hier wohnen wie wir auch. Ah, die Kinder kommen von der Arbeit. Ein größerer Junge, vielleicht 9, mit einem Akkordeon vor dem Bauch, und ein kleinerer, vielleicht 5, mit einem Plastikbecher.

Die Marina hinter der Sportanlage ist nigelnagelneu und elegant wie ein gläsernes Kaufhaus, aber quasi ausgestorben. In einem Zelt eine Eisbahn ohne Gäste. Daneben ein Rummel für Kinder ohne Kinder. In einem Candyshop streckte sich gerade eine Verkäuferin in einem pinkfarbenen Minikleid, um etwas aus dem Regal zu holen: für niemanden. Ein einsamer Weihnachtsbaum mit roten Kugeln in der Größe von Menschenköpfen stand am Eingang der Mole. Die Feiertage verbringst du natürlich mit uns.

(Ist es denn schon so spät im Jahr? Aber wirklich:) Der Wievielte ist eigentlich heute?

Der Zwanzigste. Was dachtest du, dass wir haben?

Ich wusste, dass es Dezember ist.

Ach, du! (Schon wieder.) Weißt du, wen ich in Paris getroffen habe?

Nein.

Jerome. Weißt du, was er heute macht?

Nein.

Er verkauft Hockey spielende Pinguine.

Er verkauft Hockey spielende Pinguine?

Ja. Du kennst ihn ja.

(Nein.) Und, läuft's?

Wer könnte das schon sagen.

Stavridis selbst lebte die letzten Jahre gut von seiner Resterampe für alles Elektronische. Es wird ja so unglaublich viel entwickelt und wieder abgeschrieben oder noch nicht abgeschrieben, aber bald, und dann kommt eben Stavridis und verscherbelt sie an Märkte, für die der Preis wichtiger ist als die Aktualität. Das Unternehmen besteht im Grunde aus ihm und seinem Mundwerk. Du weißt, ich spreche 6 Sprachen und ich liebe das Reisen. Besonders Nordafrika. Du weißt, ich bin in Kairo geboren. Ich red dann ein wenig arabisch mit denen, und schon läuft's.

Sie sitzen in einer durchsichtigen Espressobar und sehen hinaus auf anderer Leute angebundene Boote.

Ich habe viel Meer gesehen auf dieser Reise, sagt Darius Kopp. Und viele Berge.

War das gut?

f

Am 15. September teilt mir Olga mit, dass sie den Laden verkauft

habe. Die neue Besitzerin kommt dann und dann.

Warum hast du nicht mich gefragt, ob ich ihn übernehmen wollen

würde?

Du bist die Aushilfe… Hättest du ihn übernehmen wollen?

Ich dachte, du wärst Übersetzerin und machst das hier nur nebenbei?

(Ich bin keine Übersetzerin. Ich bin eine Hochstaplerin. Soweit ist es gekommen.)

Jetzt ist es sowieso zu spät.

Olga nimmt mich in den Arm. Du wirst deinen Weg machen usw. Einen Dreck werde ich. Und außerdem hätte ich mich sowieso nicht getraut. Das ist die Wahrheit.

Wenigstens musste ich den Alten nicht wiedersehen.

Preisfrage: wäre ich die neue Besitzerin geworden, hätte ich den Alten

rausgeschmissen oder nicht?

Hör auf zu sagen, du wärst Übersetzerin. Einen Dreck bist du. Die korrekte Antwort lautet: ich jobbe als Kellnerin und Verkäuferin, ansonsten bin ich Hausfrau. Und offensichtlich ist mir das nicht fein genug. Snobistische Schlampe.

*

Beitrag in einem Internetforum: Wer so einen Scheiß wie Geisteswissenschaften studiert, ist selber schuld und soll krepieren.