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[Datei: atlag]

Durchschnitt.

Sep 0 Okt 0 Nov 0 Dez 447 Jan 400 Feb 418 Mar 292

Apr 800 Mai 1000

Jun 969

Jul 1200 Aug 1200 Sep 400

Okt 0

Nov 0 Dez 0

ca. 445/Monat

Das Problem zeigt sich nicht in den Monaten, in denen ich unter Aufbietung all meiner Kräfte etwa 1000 EUR verdienen kann. Das Problem sind die Zeiten, in denen ich nicht arbeiten kann.

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[Datei: inflat]

Die Verzweiflung ist wie eine Superinflation. Du kannst dir für deine Arbeit nichts mehr kaufen.

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Solange man in Bewegung ist, ist alles gut. (Hättest du nicht einfach» ja «sagen können? Jetzt schaut er dich an und nickt wissend:) Wie die Nelke bei Zahnweh.

(Was für eine Nelke?) Kopp stellt sich eine Blüte vor, die man im Mundwinkel hält. Aber habe ich jemals jemanden mit einer Nelke im Mundwinkel gesehen? Einer roten, einer weißen, einer gescheckten?

Meine Großmutter trug manchmal wochenlang eine Knoblauchzehe im Ohr, sagte Stavridis. (Ah, eine Gewürznelke! Gegen Zahnweh!) Auf eitrige Wunden legte sie Tomatenscheiben. Sogar der Katze hat sie Tomatenscheiben an den Fuß gebunden. Mit so einem großen Männertaschentuch. Aber du kippst mir ja gleich um. Komm, ich zeig dir dein Bett. Kein Hotel, keine Sorge. Weißt du, was das für ein Haus ist?

Ein gelbes Wohnhaus mit vier Stockwerken.

Ich bin nicht darin aufgewachsen, aber es gehört mir.

Gratuliere.

Väterliches Erbe, meine Mutter war ja arm.

Stavridis hatte nach dem Tod seiner Mutter nicht vor, in Athen zu bleiben, aber ich habe jemanden kennengelernt, warte, du lernst sie auch gleich kennen, hier, wir klingeln mal, da ist sie. Meine Mieterin und Freundin in Athen, Christina.

Sie lächelt, man sieht die Lücke zwischen ihren oberen Schneidezähnen, ihr Haar ist blond gesträhnt, sie trägt eine Brille mit schwarzem Rand. Obenherum sieht sie aus wie jemand viel Jüngeres, aber ihre Schenkel sind die einer Mutter, ein kleiner Junge hält sich an ihnen fest.

Hellou, sagt Darius Kopp.

Willkommen, sagt die Frau.

Christina kann besser deutsch als du und besser französisch als ich! Sie ist Lehrerin. Meine Mutter war auch Lehrerin. Und das ist der kleine Jorgo. Er kann bis jetzt natürlich nur griechisch, aber das lernst du auch noch.

Kopps Zimmer ist eine Etage höher, auf dem Dach. Ein sogenanntes Penthouse. Also eine Hütte auf einem Flachdach. Eine einzige, halbhohe Wand aus Steinen, der Rest sind Fenster und Schiebetüren, im Sommer gegen die Hitze, im Winter gegen die Kälte mit bunten Gardinen verhängt. Wenn du die dritte von links beiseiteziehst, siehst du weit, weit hinten die Akropolis, wenn die vierte, auf Kniehöhe einen Olivenbaum im Topf. Warmes Wasser gibt es nur, solange es hell ist. Das Klopapier wirft man bitte in den Eimer neben der Toilette. Auf einem Tisch steht eine Mikrowelle, daneben ein gigantischer Weinkühlschrank. Life is too short to drink cheap wine. Nimm dir davon, was du willst.

 auf einen Kühlschrankmagneten geschrieben.

Ich weiß, dass ich nichts weiß, sagt Christina. Von Sokrates. Wieder ihre Zahnlücke. Sie verströmt eine natürliche Fröhlichkeit, ganz anders als die, die Kopp zuletzt an Oda erleben durfte, aber nicht weniger intensiv, und um die zwanzig Jahre, die sie älter ist, reifer, also zugänglicher für jemanden wie Darius Kopp. Auf einer Magnettafel Fotos von ihr und insgesamt drei Kindern in verschiedenen Lebensaltern.

Komm her! schreit Stavridis. (Ich bin schon so müde, dass sich seine Stimme wie aus einem Traum anhört.) Komm auf die Terrasse! Vorsicht, da liegt Schnee. Da, schau, ist das nicht großartig?

Hausdächer in pomeranzenfarbenem Licht und eine briefmarkengroße, angestrahlte Akropolis. Es wird schon wieder Abend. Ist das nicht großartig? Sag schon! Doch, sagt Darius Kopp.

Das Klimagerät ist auf 28 Grad eingestellt, summt und macht Wind. Christina hat zusätzlich einen Heizstrahler neben das Bett gestellt. Das Design erinnert fern an einen Kamin. Das Bett scheint ungeheuer hoch zu sein.

Und hier hast du CDs und DVDs und einen Fernseher!

Danke, sagte Kopp, legte sich mit Jacke und Schuhen aufs Bett und schlief.

Einmal, als Student, war es zu spät geworden, beziehungsweise früh, betrunken war er natürlich auch, aber wie, in den Bereich hinein, in dem man, wenn man so vor sich hin geht, fast nüchtern wirkt, nur ankommen kann man nirgends mehr, weil die Welt um einen herum vollkommen verrückt zu sein scheint. Da sind Straßen und Häuser, angeblich in der Stadt, in der man lebt, aber alles sieht anders aus. Es öffnen sich Pfade, die man zuvor dort nie wahrgenommen hat, Plätze blähen sich riesenhaft auf, und die Beleuchtungen (spärlich, damals, meist sehr spärlich) ergeben ein kitzelndes (ja, kitzelndes) Muster. Getrunken hatte er wohl mit anderen zusammen, durch die Stadt ging er alleine. Er kam an ein Hochhaus, es schwante ihm, dass dieses nicht weit vom Wohnheim stand, in dem Darius Kopp damals mit drei anderen ein Zimmer teilte, und plötzlich war ihm sonnenklar: bis dorthin würde er es unmöglich schaffen. Die Tür des Hochhauses stand offen, er ging hinein, der Fahrstuhl stand offen, er stieg ein, die Tür schloss sich, der Knopf für die oberste Etage drückte sich. Oben, zwischen Flachdach und Lift geklemmt, gab es eine winzige Kammer. Diesmal stand die Tür nicht offen, aber ausgehend von den letzten positiven Erfahrungen mit Türen probierte Kopp, ob sie sich öffnen ließ. Und: ja. Das Kabuff war leer, bis auf einen braunen Pullover, der dort auf dem Boden lag. Der Raum war gerade groß genug, dass ein Mann zusammengerollt darin schlafen konnte. Den braunen Pullover benutzte er als Kopfkissen. Niemals zuvor und niemals danach habe ich so gut geschlafen. Als er ging, hätte er gerne den braunen Pullover mitgenommen, damit er sich den Rest seines Lebens so heimelig hätte fühlen können, aber er traute sich nicht.

Niemals davor und niemals danach, bis zu dieser Nacht im Dezember auf dem Athener Dach. Das Bett war übrigens wirklich hoch und zudem instabil, weil man auf das ursprüngliche Bett, das vielleicht zu hart war, eine weitere Doppelmatratze gelegt hatte. Sie war etwas zu groß, und so wackelte das Ganze wie eine Rettungsinsel auf hoher See. Bei Tageslicht trat die Zusammengewürfeltheit des Mobiliars noch mehr hervor, ein Sammelsurium aus bekannten und unbekannten Elementen, das unweigerlich Heimeligkeit erzeugt. Als würde einer nach langer Zeit zurückkehren von den Rändern des Orients oder woandersher, und manches noch wissen und anderes nicht mehr so genau. Manche Vorhänge sind mit Wäscheklammern befestigt und nicht alle Schiebetüren sind dicht, Wasser läuft herein, auf einen vorsorglich hingelegten Lappen. Er ist orange wie der zu Hause bei mir unter der Heizung. Daneben steht die gleiche Kleiderstange wie in Juris Kammer, und die winzige, fensterlose Küche mit Duschecke riecht wie Floras Bad. Das kommt von der Olivenseife auf dem Rand des Wasch- und Spülbeckens. Das Geschirrspülmittel riecht nach Zitrone, der Duschvorhang ist weiß mit bunten Punkten, die Duschtasse ist grün. Im Kühlschrank und auf dem Tisch das halbe Dutzend Sachen, die man fürs Erste braucht. Toastbrot, Margarine, Orangenmarmelade. Kopp nimmt einen Löffel und kostet. Süß und bitter. Stavridis sorgt für dich. Nein, eigentlich Christina, aber Stavridis hat sie darum gebeten. Er selbst ist nicht mehr da, er hat nur noch auf dich gewartet, damit er wieder aufbrechen konnte. Er arbeitet immer, aber ich glaube, er liebt es auch einfach herumzufliegen, sagte Christina, ihre Zahnlücke blinkte. Er verbringt den Heiligabend mit seinen Enkelkindern in Paris und kommt später wieder her. Wir feiern ja nach dem Orthodoxen Kalender.

Darius Kopp weiß nicht, was das konkret bedeutet, aber was auch immer, es soll mir recht sein. Warten wir eben wieder eine Zeit, bis die Spuren etwas verblasst sind, die die tagelange Fahrt durch das verschneite Anadolu, Akdeniz Ege sowie Attiki in unserem Körper hinterlassen hat, und/oder Stavridis wieder da ist. Solange dürfen wir noch ein wenig langsam bleiben. Ich mag dich, aber wo du bist, ist Hektik. Während ich in Wahrheit immer einer war, der die Dynamik nur simulierte. Weil ich das für die Aufgabe hielt. (Was wäre geworden, wäre ich der gewesen, der ich in Wirklichkeit bin? Einer, der Orangenmarmelade mit dem Löffel isst. Langsam. Aber auch dann wärst du nicht mehr bei mir. Das ist die Wahrheit. Es hielt nur solange, bis jeder sich als ein anderer zeigte.)