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Auf 40 mg hochgestuft worden.

Für wie lange?

Eine ganze Weile. Sie haben sich schon wieder heruntergewirtschaftet. Warum kommen Sie immer erst, wenn Sie schon in Flammen stehen? Und warum können Sie mich nicht heilen?

Sie haben eine chronische Krankheit. Wir nennen es: bipolare affektive Psychose. Früher manisch-depressive Störung genannt. Das kann man nicht in dem Sinne heilen.

Ich höre das natürlich nicht zum ersten Mal. Aber, wie jedes Mal, will ich es auch diesmal nicht glauben. Ich bin nie euphorisch. Manisch, nicht euphorisch. Ich bin auch nie manisch.

Dieses nicht zur Ruhe kommen können, die Wutausbrüche. Könnte es nicht sein, dass es nur eine agitierte Depression ist? Sie setzt ihre ärztliche Autorität ein und wiederholt, dass es ihrer Meinung nach eine Manie gewesen sei. Sie sagt (erneut), dass man das nicht heilen, aber behandeln kann, dass es zum Glück gute Medikamente und Therapien gibt, die unterstützend wirken können. Ich starte einen hinterhältigen Versuch und sage, dass mir der Verdacht gekommen sei, dass ich vielleicht nicht depressiv, sondern nur sehr unglücklich bin.

Eins, sagt die G.: das stimmt nicht. Sie haben eine bipolare Psychose. Die Diagnose gilt auch bei nur einmaligem Auftreten einer manischen Phase. Diese hatten Sie. Und zwei: auch mit Unglücklichsein kann man zum Therapeuten. Es muss keine medizinische Diagnose vorliegen. Ein Therapeut ist dafür da, Leuten in ihren Lebenskrisen zu helfen.

Ich sage: Ich beurteile den Bedarf als nicht so akut. (Lüge. Der Bedarf ist sehr wohl akut. Aber ich kann einfach niemanden mehr ertragen. Nicht noch ein Mensch!) Ich stammle etwas davon, dass ich meinen Frieden nicht machen könne mit der Tatsache, dass ich das nicht aus meinem Körper kriege.

Sie: Andere mit einer chronischen Krankheit werden sie doch auch nicht los und wissen auch nicht, wann es wieder schlimmer wird. Was würde es bringen, wenn der Zuckerkranke sich weigerte, anzuerkennen, dass er Insulin braucht? Sprechen Sie mit anderen darüber. Das hilft.

Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Wenn ich jemandem sage: ich bin zuckerkrank, fühlt er mit mir und fragt mich höchstens nach der Beschaffenheit meiner Diät oder wie sich die Spritzen anfühlen. Wenn ich jemandem sage: ich leide unter der manisch-depressiven Krankheit, bin ich auf der Stelle durch bei ihm, denn er hat keine Lust und auch wirklich keine Kraft, sich um die Probleme anderer Leute zu scheren, er ist zu müde für eine fremde Vergangenheit-GegenwartZukunft, ihm geht's doch auch nicht immer gut, neulich zum Beispiel war ihm ganz zum Heulen zu Mute, und er nimmt mir, noch bevor etwas passiert wäre, übel, dass ich offensichtlich auf Extrawürste aus bin, das ist es doch, was ich von ihm in Zukunft will, dass er mich schone, und wer schont ihn, bitte, natürlich keiner mehr, nachdem ich für mich in Anspruch genommen habe, sensibler zu sein als alle anderen, also er.

Der Hass derer, die keine Diagnose haben, auf die, die eine haben. Ja, ich finde auch, es sollte gerechter zugehen. Eine Diagnose für jeden! Damit sie einem nicht die Hölle neiden müssen, die Armen.

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Für die sogenannten Feiertage hatte Kopp ein Zimmer in einem sogenannten Wellnesshotel am nächstgelegenen Meer gemietet. Sie reisten mit einem Tag Verspätung an, denn Flora wollte wenigstens Heiligabend auf der Farm verbringen. Das halte ich nicht aus.

Aber er hielt es aus. Es ließ sich sogar ganz gut aushalten, da es weder Geschenke gab noch Lieder, es war, zunächst, gar nichts anders als sonst, jeder machte irgendetwas. Holz: immer, Reparaturen: immer, aber was macht dieser Dennis da? Fädelt Perlen auf eine Schnur. Mit Augen, als hätte er gerade geweint. Oder Klebstoff geschnüffelt. Manche sind schon mit 17 so fertig, dass kein Leben dafür reicht, sie aufzupäppeln. (Dass es die Mühe auch nicht wert sei, fiel Kopp ein, und er biss sich zur Strafe in die Innenseite der Lippe. Wir sind alle überflüssig, ich weiß, ich weiß. Langsam, ganz langsam nur, begreife ich. Dass der gelungene Mensch die Ausnahme ist, nicht die Regel, deswegen spricht man ja auch von einem Ideal. Ich liebe dich so, wie du bist. Du bist perfekt für mich. Du musst nichts tun, nur sein. Nur da sein, wo ich bin. Was ist daran so schwer?) Sie waren still und fasteten, bis sie aufbrachen, zu Fuß in die Ortschaft, zur Christmette.

Das mit dem Fasten fiel ihm gar nicht auf. Er aß hier, wenn ihm was vorgesetzt wurde. Wenn ihm nichts vorgesetzt wurde, aß er nicht. Als es jedoch hieß, man wolle nun also los zur Messe, wurde ihm flau. Bis jetzt gab es keine Anzeichen für religiösen Fanatismus — nein, nichts, sie meditieren nicht einmal, zünden keine Kerzen an, bejodeln keine Kräuter, spielen nicht die Gitarre, ihr Leben ist Prosa, am Tag wie in der Nacht — dennoch, der Verdacht, es handelte sich hier in Wahrheit um eine Sekte, war immer da. Oder du willst sie bloß diffamieren. Kann sein.

Der Gang zur Dorfkirche war schön, schau, Flora, man kann die Sterne sehen, und auch ihr Verhalten bei der Messe blieb unverdächtig. Was Kopp anbelangte, begriff er nur große Helligkeit und Musik, und dass ich beobachtete, was meine Frau macht. Sie machte nicht alles mit, nur ab und zu, wenn ihr etwas bekannt vorkam oder es ihr möglich war, es dort, vor Ort zu begreifen, tat oder sagte sie das eine oder andere. Einpaar Mal Amen und einmaclass="underline" Friede sei mit dir. Dabei reichte sie mir die Hand.

Friede sei mit dir, sagte Flora zu Darius und gab ihm die Hand, und einmal im Leben war ich schnell genug und hielt sie fest. Er hielt ihre Hand fest, ließ sie nicht mehr los, gab sie nur von der Rechten in die Linke hinüber, damit es bequemer war. So stand er mit ihr bis zum Schluss der Messe, so ging er mit ihr zum Hof zurück. Er ließ sie los für die Dauer des Essens und fasste sie wieder an, als sie sich im Geruch von Sauerkraut und Kartoffeln schlafen legten. Im Schlaf rutschten die Hände natürlich auseinander.

Für ein paar Stunden herrschte Ruhe und Frieden.

Genau so lange, bis sie an der Rezeption ihres gepflegten 4-Sterne-Wellnesshotels stehen blieben und auf die schnelle und freundliche Abwicklung warteten. In ihrem Rücken loderte Kaminfeuer, aus der Bar sickerten die Töne eines Jazzpianos herein, noch aus der Konserve, doch später am Abend würde jemand live spielen, und plötzlich sah Darius Kopp Flora. Sie stand etwas abseits mit ihren Vogelscheuchenklamotten, ihrem strohig gewordenen Haar, in einer seltsamen, geduckten Körperhaltung. Eine Wilde Frau. Als hätte ich sie entführt. Gerade jemandem abgekauft, der sie bis dahin in einer Hütte in einer Einöde gehalten hat. Was ist passiert, dass ihre Nase plötzlich so gigantisch ist? Die Brauen, dunkel und schwer, drücken auf die Augen, das Grün der Iris ist bräunlich-trüb. Kopp sah sich nervös um, ob sie auch andere sahen. Aber keiner schert sich um uns. Wir dürfen unbehelligt in den Fahrstuhl steigen. Genießen Sie die Zweisamkeit bei Ihrem romantischen 7-für-6-Arrangement. Nehmen Sie sich Zeit, sich von den Belastungen und Anstrengungen des Alltags zu erholen beim Romantikdinner, in der DuoBadewanne und der wohltuenden Aromaöl-Ganzkörpermassage, inklusive blablabla. Schade, dass man nicht auch eine Frisur buchen konnte. Sie ganz und gar runderneuern. Aber das war nicht im Angebot enthalten, und wäre es enthalten gewesen, hätte Kopp sich nicht getraut, es zu buchen. Du kannst gar nichts machen. Warten, hoffen, dass dieses andere Sein ihr Bewusstsein…

Und tatsächlich kam sie zum Abendessen durchaus angemessen zurechtgemacht aus dem Bad, in einem schwarzen Kleid (Ist das das Hochzeitskleid? — Aber er sah, dass es das nicht war), ein Großteil des unansehnlichen Haars in einem Knoten versteckt. Der Kerzenschein ließ ihre Haut auch wieder ein wenig leuchten, und sie aß sogar von jedem Gang etwa drei Gabeln voll.