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Er war Missionar, sagt Ilonka, als würde sie sagen: selber schuld. Aber das ist ja schrecklich, sage ich, so dämlich quieksig, wie ich eigentlich nicht bin (nicht sein will).

Woraufhin Frau Ilonka, mit einem Achselzucken und begleitet vom mörderischen Krach, der jede ihrer Bewegungen begleitet (irgendwelche Töpfe oder Stühle oder Kisten gibt es immer) Folgendes sagt: Shit happens.

Ich hätte nicht angenommen, dass Frau Ilonka auch nur ein einziges englisches Wort kennt.

Und als Nächstes scheucht sie die Essensabholer wieder auf eine Weise, dass sich ein Obdachloser beschwert. Der dicken Frau mit den beiden dicken kleinen Mädchen an der Hand, alle drei haben vorne schwarze Zähne, ist anzusehen, dass sie das auch gerne täte, sich aber nicht traut. Und ich? Lächle zum Ausgleich alle hilflos an.

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[Datei: alternativ]

«Alternativ «sollte ein jedes Leben sein. Es sollte Alternativen geben. Es sollte möglich sein, dass du, wenn du das eine nicht tun kannst (einer bezahlten Tätigkeit nachgehen), du etwas anderes tun kannst, das a) dein Überleben sichert und b) deine Würde erhält. Natürlich muss man Kompromisse machen. In der Lebensweise. Und auch, was die Utopien anbelangt. Du kannst das Paradies nicht zur Voraussetzung/zum Ziel machen. Du kannst dich für die Gemeinschaft nützlich machen und trotzdem am Leben leiden. Aber wenigstens hast du dich nützlich gemacht. Das ist mehr als Nichts. Es ist das Etwas.

Und natürlich gilt das so nur für hier. Die Minimalvoraussetzung für alle Welten muss lauten: Glück ist, wenn du wenigstens zwei Alternativen hast, am Leben zu bleiben. Blödsinn. Irrtum. Schönfärberei.

Die Minimalvoraussetzung ist: wenigstens eine. Aber in diesem Fall stellt sich die Glücksfrage anders. Hältst du die eine Möglichkeit aus und bist du bereit, sie weiter auszuhalten, dann hast du das maximale Glück, das du in deiner Situation haben kannst, erreicht. Wenn du aufgibst, also: stirbst, hat sich die Frage nach Glück erledigt. Statt einer vorübergehenden ist eine endgültige Lösung gefunden.

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[Datei: titok]

Er ist nicht ganz stumm. Es gibt Leute, mit denen er redet. Sie haben ihm die Zunge nicht herausgeschnitten. Er hat es geschafft, die Zunge zu behalten. Aber seitdem spricht er nur noch mit manchen.

Wer wird auserwählt, wer nicht? Ich war es nicht.

d

Das Sofa, der Fernseher. Aber wenn man eine Matratze hat, braucht man kein Sofa mehr. Maßangefertigt in Italien. Würde vielleicht noch das Geld für einen weiteren Monat einbringen. Das wäre dann nicht Wertverlust, sondern Gewinn. Was sie hinterlassen hat, bringt hingegen nichts mehr ein. Antiquarische Bücher, getragene Kleidung, ein gebrauchter Sessel. Dann kann ich ebenso gut dein Zimmer wieder einrichten. Deine Kleider in einen Schrank hängen. Ein roter Rock ist mir in Erinnerung und ein schwarzes Kleid. Ihre schmutzigen Knie unter einem schwarzen Kleid, wie bei einem Kind, ein leichtes X. Manchmal würde ich mich in den Sessel setzen und in Büchern blättern — Als ob du das jemals getan hättest/tun würdest. Herman Broder turned over and opened one eye? In his dreamy state, he wondered, whether he was in America, in Tzivkev, or in a German camp? Von wegen.

Sich selbst ertappt zu haben hielt Darius Kopp einen weiteren Vormittag seines Lebens auf das Rettungsinsel-Bett gedrückt, Kanäle über Kanäle, Reisen über Reisen, und als er sich schließlich, von Hunger getrieben, wieder erhob, war schon klar, dass er nicht fahren würde.

Da sind zum Beispiel die verkohlten Reste auf der Terrasse. Das muss aufgeräumt werden. Es sind nicht meine verkohlten Reste, aber dann doch. Also räumt er auf. Fegt, füllt Müllsäcke, wie es sich gehört. Schrubbt klebrigen Ruß von der Feuerschale und anschließend von den Händen. Eine Thermosflasche ist auch stehen geblieben.

Er klopfte nicht, er horchte nur, ob hinter der Tür der Familie Bewegung zu hören war. Nein. Er atmete aus und stellte die Thermosflasche auf die Schwelle.

Na, hast du schon griechisch gelernt? fragte der zurückgekehrte Stavridis.

Ich kann Atomo und Exodos sagen, sagte Darius Kopp.

Stavridis lachte. Seine perfekten falschen Zähne blitzten. Die Sonne schien aus tausend Rohren. Als wäre es schon weit im Frühling.

Ist das nicht herrlich? Stavridis warf die Arme in die Luft. Das sind die Alkionischen Tage!

Die Halkyonischen Tage sind im Januar, sagte Christina. Aber egal.

Sie freut sich. Man ist auf dem Weg nach Sounion, Silvester bei einem Freund von Stavridis zu feiern. Einem österreichischen Künstler. Woher kennt Aris Stavridis österreichische Künstler? Egal. Sie quetschen sich alle in Kopps Auto. Christina hat ihrs, wie sie fröhlich mitteilt, schon vor Jahren in der Pfandleihe verloren.

In der Pfandleihe? Ist das wahr? Kann man ein Auto in die Pfandleihe geben?

Natürlich kann man das. Und ein Haus?

Das nennt man dann wohl Hypothek. Zum Glück habe ich kein Haus!

Zu der Feier ist eine unübersichtliche Anzahl von Leuten geladen, Künstler, Zivilisten, Griechen, Nichtgriechen. Das Haus ist winzig, der Garten dafür ungewöhnlich groß. Unbekanntes Gemüse und Skulpturen. Niobe und ihre Kinder, die gerade von Zeus' Blitzen getroffen werden. Einige stehen noch, andere sind schon gefallen. Das zuerst getroffene Kind ist nur mehr ein Haufen pockigen Betons, ein zerfallendes Schwalbennest. Darius Kopp sieht lieber woandershin. (Schlechte Statuen, aber nicht deswegen kannst du sie nicht ansehen. — Heißt das, dass sie dann gar nicht schlecht sind?) Überall im Garten Brocken unbearbeiteten und vielleicht bearbeiteten Holzes, Stämme, Stümpfe, die sind schon eher ansehbar. Aber die Bäume, die sind die eigentliche Kunst, sagt Stavridis zu den Kindern und übersetzt es für Kopp: das sind nämlich alles verwandelte Nymphen. Das ist Philia, das Calypso, Doris, Thetis, und das Galatea, und das Amphitrite.

Und das: Ingeborg, schaltet sich der Österreicher ein.

Wer ist Ingeborg?

Der Österreicher und Stavridis lachen schallend. Das ist ihre ganze Antwort.

Warum bist du ausgestiegen? fragt Darius Kopp, um Konversation zu betreiben, den kallitechnis austriakös. (Ich habe seinen Namen sofort vergessen. Robert. Oder Jörg.)

Wer sagt denn, dass ich ausgestiegen bin? Ein Künstler kann nicht aussteigen. Er ist per se draußen. Verstehe, sagt Darius Kopp. Bist du ausgestiegen?

Nein. Ich fahr nur ein bisschen herum. (Der Karte nach befinde ich mich auf der Hälfte des Rückwegs. Was überhaupt nichts heißt. Immer noch ist mir, als säße ich auf dem Mars fest und müsste das geeignete Gerät, mit dem eine Rückkehr möglich wäre, noch erfinden. Aber das werde ich dir so nicht sagen. Weil ich dich nicht mag.)