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Ein Ignorant! Ignoranz ist ebenso Misshandlung wie Ohrfeigen! Das stimmt nicht, sage ich ernst, weil das ein Punkt ist, an dem ich über Klarheit verfüge. Ohrfeigen kannst du nicht unbewusst verteilen. Während man jemanden nicht wahrnehmen kann, ohne es zu merken. Etwas Unbewusstes kann keine Sünde sein. Um sich versündigen zu können, muss man wissen.

Sie schweigt eine Weile, dann sagt sie dunkeclass="underline" Das ist eine dumme Strategie. Eine ungeheuer dumme Strategie.

Ich bin nun ganz ruhig und sicher. Ich sage: Nein. Zu wissen, dass er versteht, also mitleidet, würde mein Leiden nur noch erhöhen.

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[Datei: alma]

G. lässt es nicht auf sich beruhen.

Sie sagt: Du gehst deswegen nicht zur Therapie, weil du dich zerstören willst. Du willst dich dabei beobachten, wie du zerfällst, so, wie du einem Apfel beim Verrotten zusehen würdest oder einem Kadaver beim Zerfall.

Nein, das stimmt nicht. Beziehungsweise: was könnte eine Therapie ausrichten bei einem zerfallenden Kadaver, einem rottenden Apfel? Na also. Aber so eine schlechte Meinung über mich selbst habe ich gar nicht. Ich rotte nicht. Das, was ich hier habe, ist auch eine Form der Existenz. Auch wenn sie schmerzhaft ist, bin ich mir nicht sicher, ob eine andere Form wirklich besser wäre. Die anderen sehen auch nicht glücklicher aus. Außer natürlich D.

Das wäre die einzige Möglichkeit. Aber auch dazu muss man geboren sein. Oder du könntest zu einer Weisen werden. Ich kann nicht zu einer Weisen werden und mich gleichzeitig um ihn kümmern.

Warum sollte das nicht gehen? Wer sagt, dass man nur in der Einsamkeit zur Weisheit finden kann?

Ich sage das nicht, ich sage nur, dass es für MICH nur in der Einsamkeit zu finden wäre. Und dass diese Einsamkeit keine Option ist. Du trägst Verantwortung für den, den du gezähmt hast.

*

Sie geht auf die Knie. Ich sitze auf einem Stuhl, sie geht auf die Knie, nimmt meine Hände, schaut mir ins Gesicht.

Entschuldige. Ich will doch nur Gutes. Sei nicht böse. Ich bin nicht böse.

Sie legt ihren Kopf auf meine Knie und bleibt eine Weile so. Ich streichle ihr Haar. Manipulative bitch, die ich bin.

«Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts und verdienen nichts als das Chaos.«

Thomas Bernhard

›575/Kapitel 18 — Flora

22

Silvester vorbei, die ersten Tage des neuen Jahres auch. Es ist wieder kälter geworden, es schneit auch, aber nicht so sehr, dass es einen wirklich einsperren würde. Die Pomeranzenbäume sind weiß und grün, die Straßen sind schwarze Schlieren. Auf der Terrasse gibt es eine Ecke, in der noch der alte Schnee liegt, und eine andere, in der nie Schnee liegen bleibt. Der Nordpol auf meiner Terrasse und der Äquator. Am Dreikönigstag kommen die Kinder und malen auch über die Tür der Mansarde C + M + B. Mit hellblauer Kreide. Efcharisto, sagt Darius Kopp.

Irini fragt, Christina übersetzt: Wirst du hier sein, wenn ich in 2 Wochen wiederkomme?

Weiß nicht, kann sein, lautet die freundliche Antwort.

Es ist doch zu kalt hier oben, sagt Christina. Du könntest in Aristidis' Zimmer wohnen, wenn du willst.

Ach, sagt Darius Kopp lächelnd. Ein Deutscher wärmt sich doch am Eisblock.

Steht lächelnd in der Tür, bis er sie hinter ihr schließen kann.

Fernseher wieder an. Forscher arbeiten an Methoden, Eisberge mit Schiffen dorthin zu schleppen, wo es Trinkwasserknappheit gibt. Sie bauen einen Schutzmantel aus Textil und legen einen Wasserpuffer drumherum, um das Abschmelzen zu verlangsamen. Alte und junge Männer mit 3D-Brillen schauen sich die Computersimulation an und freuen sich wie kleine Kinder.

Die letzte Eintragung hat sie anderthalb Jahre vor ihrem Tod gemacht. Gerade über das Ende weißt du nichts. Das ist das, was unteilbar ist. Ätomo. Den Laptop, den ich ihr geschenkt habe, seit geraumer Zeit nur mehr gelegentlich für Internet benutzt. Der Aufwand, festzustellen, welche Websites jemand häufiger besucht, ist minimal für jemanden vom Fach. Darius Kopp kam in Berlin an, bevor für die meisten dort der Tag überhaupt angefangen hätte. Die Sonne geht auf der anderen Seite des Hauses auf, im Zimmer, das sie zuletzt vor Monaten und er auch schon seit Wochen nicht mehr betreten hatte, war das Licht noch blau. Alles ist langsam und gedämpft, als läge es unter Wasser. Bücherregale, ein Liegestuhl, ein antiker Kartentisch, auch von mir, der Laptop passt genau darauf. Grauer Laptop. Eine gesunkene Bleikassette. Das Zimmer, die ganze Wohnung sieht aus wie etwas, das man verlassen hat. Wir haben sie bereits verlassen, so sieht es aus, obwohl wir für die Behörden immer noch hier wohnen. Eine diffuse Wut nach mehreren Seiten erwachte wieder in Darius Kopp. Gegen die Bauern, gegen Flora, sogar gegen die Bayern, gegen Juri und die Kumpel. Dabei, was können die dafür?

Dieses erste Mal griff er noch nicht auf ihre Dateien zu. (Aber welche wann zuletzt aufgemacht worden ist, kannst du auch so, aus dem Augenwinkel, sehen.) Er verfolgte ihre Aktivitäten im Internet nach. Planst du eine Bombe zu bauen? Hast du sexuelle Geheimnisse? Hast du Freunde, die ich nicht kenne? Besuchst du Dating-Sites? Nichts davon. Nachrichten, Wetter, Boulevard. Seiten, die sich mit Depressionen befassen, Seiten, die sich mit Literatur befassen. Kochrezepte, Pflanzenpflege, Fortpflanzung. Ihr Zykluskalender. Die Tage mit Geschlechtsverkehr sind mit einem extrakleinen Symbol markiert: einer kleinen Blume. Das letzte Blatt ist vom August, jetzt ist Dezember. Eisberge vom Nordpol an den Äquator bringen, bevor sie schmelzen. Warum kann ihr Geheimnis nicht komplizierter sein als nur das: sie hat schwache Nerven? Was machst du eigentlich hier?

Wie hat er es geschafft, ohne ein Geräusch einzutreten?

Ich habe geklingelt und auch geklopft, sagt Stavridis. So mieser Laune, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Balkendicke Zornesfalten über der Nase.

Ist was passiert?

Die Frage wird durch eine Gegenfrage ignoriert: Gehst du auch manchmal raus, oder schaust du nur den ganzen Tag fern?

Komm mit. Ich geh zu meiner Mutter. Sie hat heute Geburtstag und du hast sie noch gar nicht gesehen.

(Ich dachte, seine Mutter wäre tot? Was ist das schon wieder für eine Geschichte?)

Warte, ich wechsle schnell das Hemd.

Steht zwei Schritte neben mir und schaut zu. Kopp wusch sich dennoch, als wäre er alleine, Achseln, Nacken, Hände. Meine Plauze in einem labberigen weißen Unterhemd.

Auf der Straße ein kleiner Menschenauflauf.

Die stehen immer noch da. Dabei ist er schon seit früh um 7 abgeholt. Wer?

Es ist jemand erfroren.

Hier?

Genau hier. In der Garageneinfahrt. Kannst du dir vorstellen. Will einer rausfahren. Zum Glück keiner, den man kennt. Ein Obdachloser. Oder ein Alkoholiker. Aber ein Grieche.

(Und woher weiß man das? Frag nicht.)

sagen sie im Menschenhaufen. Kivernißi, Kivernißi.

Kivernißi heißt Regierung. Soviel habe ich auch schon gelernt. Dass die Regierung schuld ist.

Es ist eine Schande, sagt Stavridis düster. Wo steht dein Auto? Dabei sieht er es.

21

f

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[Datei: maradék]

Kein Auslöser

Aus dem Nichts, ohne Vorwarnung.

Nicht, dass [ich] keine Lust [hätte] auf dieses oder jenes und stattdessen auf etwas anderes. Nichts.