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Nicht schlafen und nicht wachen.

Nicht das Flaubertsche ennui. Kein Lebensekel, kein Überdruss. Keine Melancholie, wenn alles schmerzlich wird. Sondern NICHTS.

Schaue aus [dem] Fenster, sehe eine Reihe Häuser, aber das ist nur wie auf die Scheibe gemalt. Aber selbst wenn da wirklich etwas wäre, wäre es egal. Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Jetzt möchte ich nichts mehr.

Das Nichts, aus dem nichts wird.

Und warum lebst du dann noch?

Aus Trotz, aus purem Trotz?

Ach wo. Das wäre schließlich auch ETWAS.

Ich habe den Moment verpasst. Als ich wach wurde, war er schon vorbei. Selbst der Tod ist, soweit er freiwillig ist, eine Tat. Ich töte nicht und werde nicht getötet, weil ich nicht bin.

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[Datei: éget]

Alle Oberflächen sind brennend. Das Bücherregal. Du kannst nichts anfassen, alles ist mit einer Paste beschmiert, die sich auf deiner Haut in Säure verwandelt. Nicht so, dass du daran stirbst, nur so, dass es schmerzt und man es dir ansieht, du wirst rot und wund, und alle sehen es und wenden sich ab mit Grauen. Was du anfasst, soll zu Stein werden. Oder noch besser zu Scheiße. Wenn du sprichst, soll dir für jedes Wort eine Schlange aus dem Mund schlüpfen.

Wenn du Wasser trinken willst, soll es sich in Gift verwandeln. Jeder Schritt soll dich wie Messerstiche schmerzen.

Und du sollst hässlich werden. Vor allen Dingen sollst du hässlich werden, dass keiner deinen Anblick erträgt.

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[Datei: egy_olyan_este]

So ein Abend, an dem du weißt, dass nicht einmal mehr das Einschlafen helfen wird. Dass, wenn du die Nacht überstehst, es nur noch schlimmer wird, dass der morgige Tag noch schlimmer wird. Ich möchte die Augen geschlossen halten. Ich habe Angst, man schüttet mir Kalk hinein.

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[Datei: véres_mancsok]

Als würden überall blutige Tatzenabdrücke zurückbleiben, wo ich auch gehe, was ich auch anfasse. Hund oder Katze, ich kann den Unterschied nicht erkennen.

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[Datei: Dokument1]

Ampaampaampabim owaowaowawim

benebenebeneben sssssssssuuuuuuuuuuu

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[Datei: jáf

Fáj. Es tut weh. Jáf. Das Ungeheuer.

Lieber ließe ich mich von einem afrikanischen Wurm auffressen.

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[Datei: negativ-pozitiv]

Du kannst es negativ formulieren: das Leiden hat nur mit mir ein Ende.

Oder positiv: Die gute Nachricht ist: die Seele löst sich mit dem Tod auf, wie der Körper.

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[Datei: Schrott]

Nicht einmal krepieren lassen sie einen.

Der Fahrer einer Altmetallverwertungsfirma, die nicht genannt werden möchte, hat am Montagmorgen gegen acht Uhr von einem Parkplatz in einer besseren Wohngegend ein Schrottauto abgeholt. Fuhr es zum Schrottplatz, lud es vor der Metallpresse ab. Zwei, die dort arbeiten, machten sich sofort daran, es nach Verwertbarem zu untersuchen. Dies ist eine unerwartete Wendung, denn vor ihnen lagen rund zwei Dutzend andere Schrottkarren, und normalerweise, obwohl es egal ist, geht man nach der Reihe vor. Aber das ist ein außergewöhnliches Auto einer unbekannten Marke, es weckt die Neugier der Demonteure. Sie klopfen das Auto ab, entfernen sämtliche Metallteile und sind fast schon fertig, als sie zwischen der hinteren Sitzreihe und dem Kofferraum auf einen Hohlraum stoßen. Als sie die Sitzreihe und eine Abdeckung herausreißen, fällt ihnen ein lebloser Mann vor die Füße. Zusammengerollt wie eine Made liegt er in der ausgeweideten Karosserie. Da der Leblose noch atmet, wird er ins Krankenhaus gebracht, wo ihn ein dort arbeitender Arzt als einen Kollegen identifiziert, den Psychiater Dr. Adil K., den er vom Sehen kennt. Was ist geschehen?

d

Der Friedhof ist beinahe nicht zu sehen, so weiß ist er. Auf den Wegen schlieriger Schnee, Rinnsale, an anderen Stellen schaut die kalkweiße Erde hervor. Sehr hart aussehende Erde. Gräber werden heutzutage mit kleinen Baggern ausgehoben. In einem Grab mit zwei Liegeplätzen ist der zuerst Verstorbene so tief zu legen, dass beim Ausheben des zweiten Grabes vom ersten nichts ans Tageslicht kommt. Bei vier Plätzen wird links unten, rechts unten, links oben, rechts oben bestattet. Das Grab von Stavridis' Mutter ist ebenfalls schneeweiß, statt einer Grabplatte liegen hühnereiförmige Ziersteine darauf. In der Mitte ein immergrüner Busch, links neben dem Grabstein eine Laterne für die Kerze. Aris hat eine in der Manteltasche mitgebracht und zündet sie an.

Als Kind durfte ich auf dem Friedhof immer die Kerzen anzünden.

Eleni Milona. 93 geworden. Das emaillierte Foto zeigt sie in ihren besten Jahren. Feinknochiges Gesicht. Ein Spatz. (Das schönste Foto aussuchen, nicht das typischste. Und keines, das zu lebendig aussieht. Als hätte sie gerade noch etwas sagen wollen. Ein fernes, schönes Abbild sollst du sein.)

Stavridis betrachtet das Grab mit Zufriedenheit. Da liegt sie schön. Neben Zoi, Elektra, Ekatarini und Agni. In der ganzen Reihe, soweit Kopp es überblicken kann, nur die Gräber einzelner Frauen. Ein jedes mit Foto. Zoi ist 99 geworden, auch sie ist weiß, überall weiß. Während Stella keine 30 geworden ist. Eurydiki starb mit 17 Jahren, Pinelopi hatte einen Doppelnamen, von dem der eine Clark war. Julia, Magdalini und Xeni verschweigen ihr Alter. Kein Geburtstag, nur Todestag. Vasiliki war ein Punk, deswegen muss ihr Foto bunt sein, Kiki ist dargestellt als Gemme. Als hätte sie 100

Jahre früher gelebt. Alles ist fremd, nicht nur die Buchstaben.

Wieso liegen hier nur Frauen?

Hat sich so ergeben.

Und dein Vater?

Er ist mehr als 25 Jahre vor ihr gestorben. Sein Grab ist schon aufgelöst. (Knochenreste im Aushub. Was sind schon 25 Jahre. Es ist doch besser, dass du Asche bist.)

Komm mit.

Sie gehen ein halbes Dutzend Gräber weiter, und Stavridis holt auch aus der anderen Manteltasche eine Kerze und stellt sie in die Laterne am Grab von Ruth Meyer-Fornano. Mit lateinischen Buchstaben. Auch 93 geworden.

Meine Lehrerin im französischen Gymnasium. Eine Freundin meiner Mutter. Sie hat sie um einen Monat überlebt und ist genau an ihrem Geburtstag gestorben. Ich habe sie immer besucht. Meine Mutter war ja am Ende verwirrt, aber mit ihr konnte man bis zum Schluss klar reden. Ich habe ihr immer die Zürcher Zeitung vorgelesen. Sie war Schweizerin, weißt du. Nacheinander mit 3 Griechen verheiratet. Der erste starb '62 an der Grippe. Den letzten hat sie nicht mehr geheiratet, weil sie schon 77 war, aber sie lebten zusammen. Leider ist er schon nach 1,5 Jahren gestorben. Ein bisschen mehr hätte es schon noch sein können, sagte sie, aber so ganz fröhlich. Sie hatte keine eigenen Kinder. Für mich war es, als hätte ich zwei Mütter.

Das Foto zeigt sie im Alter von etwa 70 Jahren. Blaue Augen, grauer Nackenknoten. Ausnehmend schön. (Wirst du, wenn du 70 sein wirst, dein Haar auch so…? — Ein Nadelstich voll Glück, weil die Vorstellung immer einen Augenblick schneller ist als das sie vernichtende Wissen. Und die Erinnerung an dieses Glück, so kurz es auch gewesen sein mag: bleibt.)

Die Erinnerung an Ruth Meyer-Fornano und ihre Männer scheint auch Stavridis wieder etwas fröhlicher zu stimmen. Und stolz, nicht zuletzt.

Ich hab ihr das Grab hier in der Nähe meiner Mutter besorgt und alle ihre Schüler zum Begräbnis eingeladen. Es sind fast 200 gekommen. Ich habe eine Rede gehalten. Zwei große Begräbnisse in einem Monat. Kannst du dir das vorstellen?

Fast fängt er an, vor sich hin zu pfeifen. Summt stattdessen nur ein bisschen. Spaziert lächelnd die Gräberstraße entlang. Zunächst nahm Kopp an, sie würden Richtung Ausgang schlendern, aber Stavridis wandelte den Hügel hinunter, dann wieder hinauf, ging Schleifen in den Schnee und atmete tief. Manchmal zeigte er was: Schau, das war ein berühmter Sänger. Eine Statue mit Sonnenbrille und ausgebreiteten Armen. Seine Locken ringeln sich klassisch.