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Solange sich die Wohnungsfrage nicht auf beruhigende Weise gelöst hatte, beschlossen sie, es selbst in die Hand zu nehmen. Sie hängten die Türen aus und schlugen Löcher in sämtliche vorhandene Wände. Sie schliefen zwischen Bauschutt, aber das machte ihnen nichts aus. Paps war glücklich, denn egal, wo sie sich aufhielten, er konnte tags wie nachts das gleichmäßige oder auch nicht ganz so gleichmäßige Atmen seiner Liebsten hören.

Sie hatte nur ein einziges Geheimnis, von dem Paps lange nichts wusste. Sie schämte sich dafür, aber sie hatte einmal eine Puppe gestohlen.

Sie hatte wochenlang auf die Gelegenheit gewartet, bis es endlich gelang. Es war zu Frühlingsbeginn, am Abend ging sie schon immer zu Fuß nach Hause. Auf dem Platz waren um diese Zeit nur noch ein, zwei Kinder, die in der Nähe der Klettergerüste tobten. Der Sandkasten war bereits leer, die Schaukeln waren noch nicht montiert. Ein frischer, lebhafter Wind wehte, alles war möglich. Das Frauchen mit seiner kleinen Tochter war auch an jenem Tag da. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, wollte aufbrechen, aber das Kind wollte nicht. Das Spiel war, dass das Mädchen manchmal angeflogen kam, der Frau ihre Puppe zuwarf und dann davonlief und wie der Blitz auf ein Gitter hochkletterte. Mama, Mama, kreischte es bösartig, und dann ging sie wieder hin und verlangte die Puppe zurück.

Sie hätte schwören können, dass die Frau genug davon hatte. Dass sie das Kind gerne losgeworden wäre. Mehr noch, dass sie sich in dem Moment wünschte, es möge abstürzen. Und dass es ihr überhaupt nicht zuwider war, als sie plötzlich von hinten an sie herantrat und ihr die Puppe aus der Hand riss.

Erst zu Hause bemerkte sie, dass der Ärmsten beide Beine fehlten. Macht nichts, sprach sie ihr Mut zu und band den Faden um ihren Hals fester. Du bist noch klein, aber ich bringe dir schon noch das Laufen bei. Und von da an zog sie, wohin sie auch ging, die Puppe am Faden hinter sich her. Am Abend badete sie sie, trocknete sie ab, setzte sie sich zärtlich in den Schoß und nahm ihr die Arme ab. Die hingen doch sowieso nutzlos da herum. Und dann lobte sie sie, dass sie tags wie nachts ununterbrochen lächelte.

(Auszug; aus dem Ungarischen von Flora Meier)

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Einmal sah ich einen auf der Trasse der Hochbahn sitzen. Seine Beine hingen in die Tiefe. Er klimperte nicht mit ihnen. Die Feuerwehr war schon dabei, eine Leiter aufzustellen. Weil ich dich noch nicht kannte, konnte ich nur daran denken, wie viel so ein Feuerwehreinsatz wohl kostet. Mit nur einem Unterkleid und Pantoffeln bekleidet, weinend unter winterlichen Bäumen entlangstolpern kostet nur die Selbstbeteiligung an Krankenhauskosten, das weiß ich mittlerweile. Erschrocken saß Darius Kopp an ihrem Bett. Sie drehte den Kopf weg. Er ging um das Bett herum. Sie ließ ihren Kopf liegen. Er küsste sie auf Schläfe und Stirn.

Rezidivierende Störung. Rezidivierend heißt: wiederkehrend. Eine Störung, die wiederkehren wird. In 9 Jahren dieser eine große und mehrere kleinere Zusammenbrüche. Wochentranquilizer. Mohnlutscher für Babys. Damit du nicht vor Hunger weinst, vor Kälte oder Verlassenheit. Kann auch mal schiefgehen.»Es ist immer mal was passiert«, O-Ton die Mutter des Helden, Greta Kopp, geborene Krumbholz. Aber so, dass man sie am liebsten zusammenschreien möchte. Wessen Tod nimmst du da, billigend oder auch nur ohne jedes besondere Interesse, in Kauf, nicht deinen eigenen, das ist der Punkt, kapierst du das?! Aber natürlich schreist du die Frau, deren Symbiont du für plus/minus neun Monate warst, nicht zusammen. Es würde sowieso nichts bringen. — Nicht ein Hauch von Verständnis, nicht ein Furz von Mitgefühl, niemals, kein einziges Mal. — Manche enden eben, wie sie begonnen haben. Wann stimmt das und wann nicht? Eine unbehandelte Depression dauert 6 Monate oder 4 Jahre. Eine behandelte auch, es erträgt sich nur leichter, für alle Beteiligten. Die Partner von Depressiven leben bei Weitem angenehmer als die von Alkoholikern. Die Ehefrauen von Alkoholikern sollten als eine eigene soziale Gruppe anerkannt werden, das hatte Flora irgendwo gelesen. — Nur die Frauen? Der Einwand ist berechtigt, ich sage auch nicht, dass man die Aussage nicht korrekter machen könnte, aber ein Zitat ist nun einmal ein Zitat. — Von Zeit zu Zeit hat sie mir erzählt, was sie gelesen hat. Meine Frau hat viel gelesen. Sie besaß nur Kleider und Bücher. Wie war dein Tag? Ich habe das und das gelesen.

Die Ruhe von jemandem, der liest. Die Nicht-Ruhe von jemandem, der nicht mehr lesen kann. Die… von jemandem, der nichts mehr tun kann. — Sie wirkte ganz ruhig, sagte eine der letzten Mitbewohnerinnen meiner Frau, eine alte Frau namens Eva. Ihr langes, graues Haar zu einem Knoten im Nacken gebunden. Legte ihre Hand auf meine Hand. — Darius Kopp gibt zu, dass es vorkam, dass er den Fernseher einschaltete und so tat, als dächte er, sie, in der unteren Etage, schliefe bereits. — Was weißt du schon davon, ob sie ruhig war? Nur, weil sie nicht in einer Aufwallung von Liebeskummer wegen eines Schlagerstars aus dem Fenster sprang? Und ob die, die sich darauf vorbereiten — Bilanzselbstmord. Was für Worte man lernen muss — in Frieden sind oder in etwas anderem, wer will das wissen? Und die, die sich ein Leben lang darauf vorbereiten?

Darius Kopp schnäuzte sich laut und ausgiebig, um zu verbergen, dass er weinte. Warum muss man es verbergen? Gehört sich so. In ein großes Männertaschentuch. — Das ist eklig, Schatz, weißt du? Ich liebe dich, aber diese Taschentücher. — Kopp stopfte sich die Rotzfahne schnell wieder in die Hosentasche, der Laptop kippte, fiel beinahe hinunter, er schob ihn schnell auf den zu kleinen Tisch —

Bistrotische! — , stieß gegen die Tasse, der Kaffee schwappte heraus, das ist das Nächste, das ich hasse, Getränk in der Untertasse, womöglich noch mit Unterlegserviette, Kopp fasst so eine Tasse nicht mehr an, die Gefahr besteht, dass die Situation eskaliert, eine Tasse aus einer zitternden Hand fliegt — das Geschepper, das Bersten, das Spritzen, die Spuren überall, die Temperatur, die auf der Haut übrig bleibt, nachdem heißer Kaffee durch Hosenstoff gesickert ist; ach was, ist sowieso schon ausgekühlt. — Beruhige dich, Schatz, tu mir den Gefallen, ja? Und lächelte ausnahmsweise nicht. — Er beruhigte sich, bestellte eine neue Melange, nein, lieber einen Espresso, und ein neues Wasser, nein, lieber einen frisch gepressten Orangensaft und ein neues Maronikipferl. Hier gibt es nur Süßspeisen. Den ganzen Tag, nur Süßspeisen. Geliebte, Geliebte, Geliebte.

Er las und las, mal interessiert, mal diszipliniert und teilweise unaufmerksam — bemerkenswert, dass man selbst in solchen Texten, den geheimen Texten deiner toten Frau, dazu neigt, manches zu überspringen. Manches las er genau, verstand es dennoch nicht, oder verstand es, konnte es aber nicht länger halten, als dass es dauerte, es zu lesen. Von manchem dachte er, er verstünde es nicht, aber sein Körper reagierte — Gegenstände, mit denen er in Berührung war, erzitterten — also verstand er es doch. Er durfte feststellen, dass es nicht die alltäglichen, erträglichen Dinge waren, die dazu führten, dass er sich beruhigte und weiterlesen konnte, sondern, im Gegenteil, die schmerzhaften oder peinlichen. Sie schneiden ihnen die Klitoris heraus. Mit dem Deckel einer Konservendose. Stück für Stück. Am Nachmittag um 4 hatte er etwa die Hälfte des Ausdrucks geschafft, 80 Seiten von 150, so viel habe ich noch nie in einem Zug gelesen. Er brach ab, als er selbst das erste Mal in den Aufzeichnungen auftauchte. Das wäre, das spürte er deutlich, zuviel für einen Tag. Sie hat diese Marotte, keine Namen zu nennen. Alles voll mit Gs und Js und Ms. Ich höre auf, bevor ich zu einem D werde.