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Du lässt es aber auf jeden Fall wegmachen, sagte er nach einem ungeschützten Akt. OK, sagte ich, ich lass es wegmachen.

Ich war 17, er war noch keine 30. Ein Lehrer.

Wenn du einen guten Rat von mir annehmen willst: habe niemals Kinder. Die Kinder ruinieren einem nur das Leben. Besonders das der Frauen. Aber auch das der Männer.

Wenn ich es wegmachen lassen will, muss ich Großmutter um Erlaubnis fragen, sage ich boshaft.

Dann sinkt meine Laune, weil mir einfällt, was das für eine Apokalypse wäre. Und dass ich sie alleine durchstehen müsste. Ich fing an, ihn zu hassen, in dem Moment.

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[Datei: vonatok_szaga]

Kannst du den Geruch der Züge vergessen?

Sag ein Bild für Osteuropa: Lungenentzündung in einem dreckigen Zug.

Ein anderes ist, dass ich zwischen Schienen liege, auf öligem, rußigem Schotter, nachts, wenn es auf dem Dorf kaum mehr Geräusche gibt. An meinem Mund ein Unkraut» von seltsam süß-herbem Geschmack«. Ich spüre, wie es zwischen meinen Zähnen knirscht. Ich bin ein Kind, winters, im Dunkeln, komme ich vom Bus herein. Er hält draußen, an der Fernstraße. Das Kind ist gekleidet mit einem stahlfarbenen Wattemantel. Dass er an Armeeuniformen erinnert, wirkt beruhigend auf den, der ihn trägt. Der Nieselregen bildet kleine Tröpfchen auf dem imprägnierten Stoff und bedeckt das Gesicht, die Lippen, die Wimpern, die Haare. Die Straße ist unbeleuchtet. Es riecht nach Melasse. Es gibt einen Mond. Es gibt die silbrigen Streifen der sich krümmenden Schienen. Das Gefühclass="underline" das von Angst und der Freude, alleine und ungesehen zu sein. Außerhalb der dunstigen, fettigen, nach Kohlenbrand stinkenden Luft des einzigen geheizten Zimmers im Haus der Großeltern, wo alle um den Tisch sitzen, bevor sie sich in eiskalten Betten schlafen legen. Schmerz.

Das ist niemals vorbei. Nägel, die man in junge Bäume schlägt.

Dennoch sehne ich mich.

Nicht nach dem Haus, aber nach den Gleisen.

Steine, Öl, summende Leitungen.

Mein Zuhause ist in den Gleisen am Rande des Dorfs.

Ich bin zur S-Bahn gegangen. Neben der Brücke hinunter. Schaute lange zu.

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Er tastete sich eine halbe Straße lang, bevor ein italienisches Restaurant auftauchte und sich Darius Kopp unbesehen hinein flüchtete. Er wurde nicht enttäuscht. Drinnen war es dunkel und kühl, er bestellte — ebenfalls unbesehen — eine Pizza Speciale, auf der hier alles, aber auch wirklich alles auf dieser Welt versammelt war, sogar grüne Erbsen. Er stopfte sie in sich hinein und trank einen halben Liter Wein dazu, danach ging es einigermaßen. Er bestellte noch mehr Wein und Wasser und öffnete nacheinander alle Anwendungen auf seinem Handy. Sah sich an, wie das Wetter werden würde. Las, während er in großer Schlucken nicht das Wasser, sondern den sehr wohltuenden grünweißen Wein trank, die Nachrichten. Vergaß sie wieder. Die E-Mails. Ich bekomme immer noch alle Newsletter. Dass die Welt untergegangen sein könnte, aber die Newsletter immer noch kamen, stellte sich Darius Kopp vor. Weil Menschen nichts mehr damit zu tun haben, alle Neuigkeiten werden von Maschinen erstellt, die laufen, solange es Strom gibt. Solange es Strom gibt, ist die Welt nicht untergegangen. Mein Handy ist zu 93 % aufgeladen. Er schaute sich alles an, Spiele, die er noch nie gespielt hatte, bis nur noch die Fotos übrig waren.

Das Bild einer lebenden Person betrachten, das Bild einer erst seit Kurzem toten Person betrachten.

Dass es keine Fotos von Flora aus der Zeit vor ihm gab, fiel Darius Kopp auch erst gegen Schluss auf. Das erste gemeinsame Foto wurde auf unserer Hochzeit aufgenommen, von Juri, auf der Straße vor dem Restaurant. Kopp trägt einen grauen Anzug, sie ein schwarzes Kleid. Außer diesem Bild gab es nur noch einpaar verwaschene Handy-Aufnahmen. Da beschloss er, ihr zum Geburtstag einen Fotoapparat zu kaufen, und für die nächsten Stunden dachte er, damit eine Lösung für alles gefunden zu haben. Ich schenke ihr einen Fotoapparat zum Geburtstag, und alles wird gut. Er verbrachte den Rest des Tages damit, nach einem guten Modell zu recherchieren, bei so etwas lässt sich Darius Kopp nicht lumpen. Als die Kamera zwei Tage später geliefert wurde, war Flora schon tot. Kopp schenkte sie später Nadia, die geholfen hatte, Floras Sachen für die Einlagerung zu packen. Die Bücher, einpaar Ordner, noch aus ihrer Studienzeit, die könnten jetzt endgültig weg, aber Nadia packte sie behutsam in extra dafür gemachte Kartons. Sie fasste die Unterwäsche meiner Frau an und ihre Oberbekleidung, darunter das Hochzeitskleid, das sie danach noch häufig trug. Jedes Mal zu einem besonderen Anlass trug meine Frau ihr Hochzeitskleid, und ich fragte jedes Mal (weil ich es wirklich nicht wusste): ein neues Kleid? Und sie sagte: das ist mein Hochzeitskleid, Schatz. Und irgendwann fragte ich immer: Ist das das Hochzeitskleid? Und sie sagte ja oder nein, und wir lachten.

Auf Darius Kopps Lieblingsfoto trägt Flora nur einen Rock und sonst nichts. Ich habe dich selbstverräterisch so fotografiert, dass dein Kopf abgeschnitten ist. Deine Brüste in der Sonne. Wie, warum war der Rock übrig geblieben? Keine Erinnerung daran. Weder daran noch an sonst etwas von jenem Tag — scheinbar befinden wir uns auf einer Wiese — manchmal bleibt von einem ganzen Tag nur ein Bild übrig, das so stark ist, dass es den Rest zu Recht in Vergessenheit drängt. Dein Oberkörper ist wie der klassischer Statuen. Meine Göttin. Ich schäme mich nicht, das zu denken.

Darius Kopp sah sich das Foto ohne Kopf an, und anstatt dass ihn der Schmerz umgebracht hätte, ging es ihm, im Gegenteil, jetzt um einiges besser. Er war sogar so gesammelt, dass er den Kellner fragen konnte, ob sie ihm etwas vom Tischwein verkaufen könnten. Unter einem Arm den Laptop, in der anderen eine Flasche Frascati mit Bügelverschluss, so ging Darius Kopp auf sein Hotel zu.

Der Wein tat gute Arbeit gegen den Kaffee — ein Nervengift gegen das andere — es ging ihm sogar unverschämt gut jetzt, nur schlafen war nicht möglich. Den Laptop fasste er nicht mehr an, lieber sah er sinnlos fern, solange, bis er vergaß, dass der Laptop tabu war.

Öffnete den Browser, starrte drauf, weil er nicht mehr wusste, was er wollte, ob er etwas wollte, und dann tippte er» Flora Meier «in die Suchmaschine ein. Dann löschte er das wieder heraus, denn so hieß sie ja gar nicht. Mit erstem Vornamen hieß sie Teodora, auch das erfuhr er erst, als es darum ging zu heiraten. Theo, machte er einen Versuch. Bitte nicht, sagte sie. Ich mag diesen Namen nicht. — Die Grausamkeit der Kaiserin Theodora wird in Schulen unterrichtet.

Oh, Tee-oh! Wenn dein Name zum Schimpfwort wird. Kay-sehrinn! Kay-seh-rinn-Tee-oh! Aus dem Munde von welchen, die man So-sind-eben-Jungs nennt. Für Grausamkeiten von Königen empfindet man Respekt. Mächtige Königinnen werden verflucht. Oh, Tee-oh! — Darius Kopp verstand das (Wenn mich meine Mutter Hansi nannte, dachte ich irgendwo tief drinnen, in Wahrheit macht sie sich lustig über mich), aber einer Suchmaschine kannst du so etwas nicht erklären. Er gab also ein: Theodora Teodora Meier»Meier Teodora«, und bekam, was sonst kaum passiert, ein einziges Ergebnis: das Bild eines Mädchens in einer Matrosenbluse, kurze Haare, Stirnfransen, kräftige Augenbrauen, mit Retusche begradigte Nase, schmaler Mund. Darius Kopp rutschte vom Bett, kniete sich davor, der Fernseher lief hinter seinem Rücken, und er starrte den Rest der Nacht das winzige Schwarzweiß-Foto in der linken oberen Ecke des Laptopbildschirms an. Die Wölbung deines Halses.

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Das Foto war gespeichert auf der Internetseite einer Schule. Name, Adresse. In der Werkstatt hatte man Kopp zu seiner Information und Unterhaltung die beiden Einstichstellen im alten Reifen gezeigt. Alter Hut. Keiner, der informiert ist, hält an den und den drei Tankstellen usw. Darius Kopp war das schon egal. Er übertrat die Grenze eine halbe Stunde später. Ein kleiner Triumph. Ja, ich empfinde ihn durchaus dir gegenüber. Durch die unbekannte Kleinstadt bewege ich mich dank meines Navigationsgeräts spielerisch, kaum anders als mit dem Finger über eine Straßenkarte. Das nächste Mal werde ich etwas Reales wahrnehmen, wenn ich direkt vor dem Gebäude stehe.