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aber ich hab nur ein zimmer, die ganze wohnung ist nur 20 qm,

kein platz für noch eine matratze

was ich denn für eine egoistin sei

dass kein fitzelchen hilfsbereitschaft in mir sei

aber siehst du denn nicht? siehst du denn nicht?

über so etwas darf man nicht weinen

man darf nicht weinen

und was darf man?

schön still und leise vor sich hin leben

solche kinder mögen wir

die schön leise sind, aber wenn man sie aufruft, alles können dass man sich mit dir immer beschäftigen muss! wir lieben dich nur, wenn du ein braves mädchen bist

noch nicht einmal dann

was denn noch

wir tun dir nur nicht weh, wenn du ein braves mädchen bist

die jungs auch

alle sollen brave mädchen sein bis in den tod

arme pädagogen

lehrer, postfräulein, priester geben wir keine widerworte

priester, arzt, postfräulein geben wir trinkgeld

beim priester nennt man das eine gabe

wenn ich deinen hund noch einmal auf der straße sehe,

erschieße ich ihn

sie haben sämtliche katzen vergiftet

paradeiser auf den angeschossenen fuß

eine rote katze stiehlt uns unser glück

ich hege keine gefühle für tiere

ich habe keine angst und ich bin nicht sentimental

als wären sie gar nicht da

hundescheiße auf schritt und tritt

aber als gäbe es keine hunde dazu

als gäbe es nur die scheiße

logisch

warum sollte es nicht so sein, dass es nur die scheiße gibt

gottgegebene scheiße

damit ihr so leben müsst, dass ihr immer darauf achten müsst,

wohin ihr tretet mit sandalen in zerbrochene bierflaschen

was jammerst du?

der dreck, das ist das normale

was für eine dekadente ansicht, dass man den dreck wegmachen

müsste, was musst du in sandalen herumrennen

lumpenschuhe sommers wie winters

das wäre korrekt

wenn ich in lumpen ginge

alles andere ist eine lüge

und die haare wie lumpen und die haut wie lumpen

und die zähne? Hätte ich zähne?

Ich weiß nicht.

ich kann es mir nicht vorstellen

wenn ich mir vorstelle, keine zähne zu haben, heißt das,

ich bin tot dabei habe ich gar keine guten zähne

alle gefüllt nichts fault

aber dass sie nicht gut sind, bleibt

ali hat den frauen die hände und füße abhacken lassen,

er hat ihnen die zähne ziehen lassen

wurden sie auch geblendet? ich weiß nicht mehr

folter

blei in vazuls ohren

seine augen mit einem glühenden eisen

klára zách haben sie die nase abgeschnitten

leila haben sie die nase abgeschnitten

mustafa haben sie die nase abgeschnitten

d

12 Uhr mittags, die Glocken läuten, das Air ungarischer Siedlungen wird vom Duft der Hühnersuppe erfüllt — Darius Kopp stürmte vom Turm herunter.

Er wusste es nicht und wusste es gleichzeitig mit absoluter Sicherheit, dass das Gebäude hinter der Kirche jenes Wohnheim war, in dem Flora 6 Jahre lang mit 11 anderen Mädchen in einem Zimmer gewohnt hatte. Unten rechts die Mensa, zu den Studier- und Schlafräumen kommt man über ein gotisches Treppenhaus — der erst vor Kurzem eingefügte Handlauf aus Holz, der Flur, die Türen, die Klinken, die Etagenbetten, der Hausaufgabenraum und die Waschräume; als würde man es wiedersehen anstatt zum ersten Mal. Es sei denn, die nicht ganz schlanke und nicht ganz fröhliche Frau in der Portierskabine — nennen wir sie: Viola — siebt einen vorher aus. Was denken Sie sich eigentlich, das ist ein Mädchenwohnheim, meine Frau, das kann jeder sagen. Betteln erweicht sie nicht, bezirzen glaubt sie nicht — dreißig Jahre zu spät, Söhnchen, dreißig Jahre zu spät — bestechen lässt sie sich nicht. Noch einmaclass="underline" was denken Sie sich eigentlich?

Aber soweit kam es gar nicht. Kein verstohlener Blick in die Mensa — auch das kenne ich im Grunde schon: die Tische, die Stühle, die Bodenfliesen, das Ausgabefenster, den Geruch — keine Diskussion mit Viola. Die schwere hölzerne Eingangstür war verschlossen, ebenso alle Fenster, wenn Teller geklappert haben, dann nicht hier, wenn es die Mädchen wirklich gegeben hat, dann sind sie nicht hierhergegangen, das Wohnheim ist für die Ferienzeit nicht in ein Jugendhotel umfunktioniert worden. Sobald die Mittagsglocken verklungen sind, herrscht wieder taube Stille überall, selbst die Männer, die mit Presslufthammern das Pflaster aufbrechen, machen Pause. Die Kellnerin steht immer noch unter der Markise, ich könnte ihr einziger Gast sein.

Er entschied sich dagegen. Er lief einfach weiter. Fand über einen anderen Weg die Schule wieder, das Theater, das Hauptpostamt, den Bahnhof, das Krankenhaus (Hier wurdest du geboren, hier wurdest du… Sinnlos), als er ans Feld mit den Shoppingzentren stieß, kehrte er um. Sah sich die Fotos in den Auslagen der Fotografen an. Unbekannte Babys, Brautpaare, Abiturienten, Familien, Familienähnlichkeiten. Pappmachesäulen im antikisierenden Stil werden heutzutage nicht mehr benutzt. Keine Vase mit Kunstblumen wird mehr auf ausgebreitete Petticoats gestellt. Stattdessen posieren manche wie für ein Pornocasting. Dir sieht keine auch nur entfernt ähnlich. Er lief weiter. Copyshop, Porzellangeschäft (Hirte, Tänzerin, Mädchen mit Hund), Lebensmittel, Galerien, Reisebüros, eine alte Apotheke (die Wandmalerei neben der Tür zeigt einen Löwen vor arkadischer Landschaft), Uhren und Schmuck (warum ich dabei an dich denken muss, bleibt mir selbst ein Rätsel), kleine Butiken mit offenen Türen, in der Tiefe junge Frauen, ihre übereinandergeschlagenen Beine schimmern heraus — es leben also durchaus Menschen hier, auch Frauen, Geschäfte sind in Betrieb und Fahrzeuge fahren, aber alles in allem ist die Stadt zu, ich schleiche an den Außenmauern entlang. Solange, bis es dunkel zu werden begann. In der Bushaltestelle vor dem Hotel Pannonia sammelte sich und wurde im Fünfminutentakt abgeholt: das Volk. Übrig gebliebene Jausen in der Tasche. Darius Kopp, müde und hungrig geworden, dachte im Heulen der Busmotoren sehnsuchtsvoll an diese Hasenbrote — Darf ich Ihre Eintagesbutter haben? — und gleichzeitig begriff er, dass er aufhören konnte, hier zu suchen. Zwei Stunden lang heulen die Busmotoren zum Gotterbarmen, dann sind alle abtransportiert in die Dörfer, wo sie in Wahrheit leben, hier werden dann die Geschäfte geschlossen und nur die leere Straße bleibt zurück und Darius Kopp. Er hätte einen Hamburgerladen vor der Nase gehabt, aber er schleppte sich lieber zurück zum Hauptplatz. Die Kellnerin vom Mittag war noch da und erkannte ihn auch wieder. Er bestellte eine Pizza und ließ sich ein Hotel empfehlen, etwas oberhalb der Stadt, am Rande der Wälder. Er schlief eine Nacht bei offenem Fenster unter schattigen Pinien und gab am nächsten Morgen in die Suchmaschine ein: Zuckerfabrik, Thermalbad.

Meine Frau kam nicht mit dem Bus, aber mit dem Zug aus einem Dorf, das sowohl eine Zuckerfabrik als auch ein Thermalbad besaß. So viel hat sie mir erzählt. Die Gegend strotzt natürlich nur so von beidem, wohin du dich auch wendest, entweder eine Zuckerfabrik oder ein Thermalbad, aber nur einer, ein einziger Ort hat beides. Entfernung von Ihrem gegenwärtigen Standort: 30 km, Fahrzeit über die Landstraße Nr. 85, wenn kein Schwertransporter dazwischenkommt: 38 Minuten.

So ein Dorf, für das du 1 Minute brauchst, wenn du auf der Durchfahrt bist. Ach, was. Noch nicht einmal 1 Sekunde. Es liegt abseits der Landstraße. Wenn man hineinfährt ins Dorf und einmal durch jede Straße, weil Kopp nicht weiß, nach welcher er genau sucht, braucht man auch kaum mehr als 10 Minuten. Ein Kirchturm, eine Kneipe, ein Thermalbad. Keine Zuckerfabrik mehr. Der hellblaue Eisenzaun ist noch da und das Tor, ein überdachter Fahrradparkplatz mit Platz für 200 Fahrräder, rostfleckig und leer. Zwei riesige, silbrige Silagebehälter dürfen noch als Zuckerlager dienen, und das extra Schienenpaar, verlegt nur für die Züge voller Zuckerrüben, wird es noch geben, wenn es uns nicht mehr gibt. Kopp musste anhalten, um zwei Schwertransporter vom Gelände zu lassen. Einer der Fahrer hieß Laci. Sie fuhren in die Richtung weg, aus der Darius Kopp gekommen war. Er rollte langsam weiter. Die Hauptstraße endet nach wenigen hundert Metern, natürlich, an der Kirche, im romantischen Stile, der letzte Anstrich ist zu kanariengelb geraten. Kurz bevor man durch die Tür gefahren wäre, geht es rechts ab, in die sogenannte Herrengasse, du erkennst sie an den größeren Häusern, drei Fenster statt nur zwei, und die Vorgärten sind breiter als die Straße dazwischen, sie sind nicht umzäunt, freigiebig Blumen und sogar Gemüse. Walnussbäume. Der Geruch von Walnussblättern. Wenn sie liegen, wenn sie verbrennen. Kopp fuhr im Schritttempo, wie einer, der etwas aus dem Kofferraum zu verkaufen hat. Manche Tore waren durchsichtig, andere nicht. Hinter jedem der Tore ein Bastard an die Kette gelegt. Manche bellen den vorbeischleichenden nachtblauen Kombi an, andere nicht. Menschen, auch hier: keine. Nur vor einem langen Haus an der Einmündung einer kleinen Straße saß eine Großfamilie. Vier übergewichtige Frauen auf drei Bänken. Sie sehen mich schon zum zweiten Mal und schauen dementsprechend. Anhalten, sie ins Bild setzen, fragen. Erinnern Sie sich an Teodora Flora Meier? Aber er fuhr weiter. Der Dorfteich, ein öffentlicher Brunnen, und dann geht es schon wieder zurück Richtung Fabrik. Keine Kugelakazien nirgends. Auch das eine Information, irgendwo unterwegs, isoliert aufgegabelt, sie gingen wohl einmal an Kugelakazien vorbei, und sie fragte, wie heißt dieser Baum. Er wußte es natürlich nicht. Bei uns in der Straße standen solche. Heute: überall nur Sauerkirschbäume. 20 Jahre sind eine ausreichend lange Zeit, um Kugelakazien gegen Sauerkirschbäume zu tauschen.